Navigation auf uzh.ch
Auch wenn dieser Befund in diesen garstigen Zeiten etwas erstaunen mag: Manchmal kommt das Licht doch noch aus Amerika, genauer den USA. In diesem Fall in der Person von Martha C. Nussbaum. Die US-amerikanische Philosophin hielt am Mittwochabend im Rahmen ihrer Hedi Fritz-Niggli Gastprofessur an der UZH einen Vortrag zum Thema «Anger, Powerlessness and the Politics of Blame».
Nussbaum, die als Professorin an der University of Chicago lehrt, ging in ihrem Vortrag einen weiten Weg, von den griechischen Rachegöttinnen, den Erinnyen, über Helden des gewaltlosen Widerstands wie Martin Luther King bis zu den Auswüchsen des Populismus, um ihr Argument klar zu machen: Wut und das damit verbundene Gefühl, Unrecht rächen zu müssen, sind destruktiv und bringen uns nicht weiter. Ganz im Gegenteil: Rache schadet nicht nur dem tatsächlichen oder vermeintlichen Täter, sondern oft auch jenen, die ihn bestrafen. Das gilt für den Rosenkrieg wie für die politische Auseinandersetzung: Am Schluss haben alle allerhand Blessuren, aber das Problem ist nicht gelöst, das Unrecht nicht aus der Welt geschafft.
Nussbaum plädiert deshalb für eine Haltung, die sie als «Transition-Anger» bezeichnet, einen «Übergangs-Zorn». Dieser lässt zu, sich über Ungerechtigkeit zu ärgern, mündet aber nicht ins alttestamentarische «Auge um Auge», sondern in eine Haltung, die sich mit jener von wohlwollenden Eltern vergleichen lässt, die zwar den Unfug ihrer Kinder benennen, dann aber nach einer Lösung suchen, die dem Kind hilft, aus seinen Fehler zu lernen und es das nächste Mal besser zu machen.
Als Kronzeugen für den gütigen Zorn, der Wunder wirken kann, führte Nussbaum neben Gandhi Nelson Mandela und Martin Luther King ins Feld. Mandela bekannte, es sei ihm in den 27 Jahren im Gefängnis gelungen, sich von Zorn und Rachegelüsten zu befreien – was ihm ermöglichte, als eine Art gütige Vaterfigur Südafrika aus der Apartheid zu führen, ohne das Land zu zerstören. Martin Luther King weigerte sich in seiner berühmten «I Have a Dream»-Rede ausdrücklich, «den Durst nach Freiheit mit einem Schluck aus dem Becher der Bitterkeit und des Hasses zu stillen.» Stattdessen skizzierte er seine Vision, in der Farbige und Weisse Hand in Hand in die Zukunft schreiten.
Nussbaums idealer «Übergangs-Zorn», so erstrebenswert er ist, bedingt allerdings ein gerüttelt Mass an Selbstreflexion und Überwindung. Er setzt voraus, dass wir unsere Angst überwinden, oder wohl besser unsere Ängste, denn, so Nussbaum, «Wut ist das Ergebnis von Angst». Diese nimmt in Nussbaums Herleitung ihren Anfang bereits nach der Geburt, wenn wir als Baby darauf angewiesen sind, gefüttert und versorgt zu werden. Das Gefühl, macht- und hilflos zu sein, macht uns wütend, auch später, wenn wir erwachsen sind.
Diese Wut vieler Bürgerinnen und Bürger, von Populisten geschickt angefacht und instrumentalisiert, gefährdet unsere Demokratien. Nussbaum plädiert deshalb dafür, unseren manchmal durchaus berechtigen Zorn zu nutzen, um daraus etwas Konstruktives und Positives zu machen – den Erinnyen gleich, die am Ende von Aischylos Orestie-Trilogie zu Eumeniden («Wohlgesinnten») werden, die ihren Rachegelüsten abschwören.