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Die Dent Medal 2018 der Royal Musical Association geht an Inga Mai Groote. Sie hält seit Februar diesen Jahres einen Lehrstuhl am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich. Groote erhält die weltweit bedeutendste musikwissenschaftliche Auszeichnung, die jährlich an Forschende – meist in der Mitte ihrer Karriere – vergeben wird, für ihre «outstanding contribution to musicology». «Mein Weg als Wissenschaftlerin, meine Art zu arbeiten und meine Themen stossen auf positives Interesse», sagt Inga Mai Groote. «Gleichzeitig zeigt es, dass Zürich bereits seit langem einer der aktivsten und attraktivsten Forschungsstandorte für Musikwissenschaftler ist, denn die Auszeichnung geht schon zum dritten Mal an unser Institut.» 1973 bekam Prof. Dr. Dr. h.c. Max Lütolf, 2002 Prof. Dr. Laurenz Lütteken die Medaille der britischen Königlichen Musikakademie.
Das Forschungsgebiet der 43-jährigen Groote ist gross: Es reicht von der Musikgeschichte der frühen Neuzeit in Deutschland und Italien und des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Frankreich, über die Geschichte der frühneuzeitlichen Musiktheorie und ihrer Buchkultur bis hin zu Musik im konfessionellen Zeitalter und zur Geschichte der Musikwissenschaft selbst. In ihrer Dissertation widmete sich Groote einem Aspekt der Institutionengeschichte, wenn sie die «Musik in italienischen Akademien 1543–1666» im Gegensatz zu der an den Höfen oder Kirche untersucht. In ihrer Habilitation «Östliche Ouvertüren. Russische Musik in Paris 1870–1913» hingegen erforschte sie, warum im Fin-de-Siècle-Paris Komponisten wie Musorgskij, Rimskij-Korsakow oder Borodin auf solche Begeisterung stiessen. Groote sieht darin ein Zeichen der Sehnsucht der Franzosen nach etwas Fremden, Andersartigem, das sie dem übermächtigen, zuweilen ungeliebten deutschen Einfluss entgegensetzen konnten.
Das Interesse am Historischen durchzieht Grootes Arbeiten. «Faszinierend ist die Kunst, der Komponist und sein Werk», sagt sie, «aber auch das Wissen um den historischen Kontext und die Art, wie es rezipiert wurde und wird.» Diese Perspektive stand auch am Beginn ihrer Begeisterung für das Fach. Als Schülerin im Sauerland (D) verstand sie die Musik Claudio Monteverdis «nicht auf Anhieb» und merkte, dass die Musikwissenschaft einen anderen Zugang und ein anderes Repertoire erschliesst. Daher hat sie ihr musikwissenschaftliches Studium in Bonn auch mit den Nebenfächern Mittelalterliche und Neuere Geschichte und Italienische Philologie flankiert, um Quellenstudium betreiben zu können: des «lesenden und denkenden Komponisten und Musikers» wegen, wie Groote sagt.
«Die Musikwissenschaft kann ein Kulturerbe erschliessen und bewahren», sagt Groote, die für die Forschung noch viele Aufgaben sieht. Ihr Gebiet ist dabei das kleinteilige, aber vielfältige Europa, das Groote auch wegen ihrer Sprachkenntnisse fundiert entdecken kann. Das bilinguale Universitätsleben lockte sie von Stationen in Hamburg und Lübeck 2014 auf eine Professur an der Universität Fribourg. Von dort wechselte sie 2015 auf den Lehrstuhl in Heidelberg und im Februar 2018 nach Zürich. Mit ihr kam auch ihre Forschungsgruppe im internationalen Projekt «Sound Memories» zu frühen Formen von Geschichtsbewusstsein in der Musik. Daneben geht es Groote auch um Wissensgeschichte, etwa wenn sie anhand der Notizen in alten Lehrwerken untersucht, wie um 1500 Musik unterrichtet wurde. Oder wenn sie die Bibliothek des Schweizer Universalgelehrten Heinrich Loriti durchforscht, der sich nach seiner Heimat Glarus «Glarean» nannte, um Rückschlüsse auf seine Methoden in Musikvorlesungen ziehen zu können. «Wir arbeiten nicht im abgeschlossenen Gärtchen, sondern mit anderen Disziplinen zusammen, denn Glarean war Musiker, Philologe, Historiker, Geograph und Mathematiker.»
Inga Mai Groote spricht euphorisch und euphorisierend von ihrer Arbeit: Ihr Forschungsgebiet sei so spannend, so bereichernd und so anregend, dass es sie in jedem Augenblick in Atem halte.