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Susanna Elm hat einen herrlichen Blick auf den Hof vor dem Grossmünster. Bunte Scharen von Touristen ziehen vorbei, Asiaten fotografieren das Portal. «Ich hatte selten so ein schönes Büro», sagt sie überschwänglich und sortiert ihre Papiere auf dem Schreibtisch, um Platz für das Gespräch zu schaffen. Hier an der Kirchgasse im Theologischen Seminar ist die Historikerin mit Schwerpunkt altrömische Geschichte für ein Semester lang beheimatet. Als Hedi-Fritz-Niggli-Gastprofessorin ist sie eingeladen, über ihren wissenschaftlichen Werdegang zu sprechen. Die Hedi-Fritz-Niggli-Gastdozentinnen sollen Vorbilder sein für junge Wissenschaftlerinnen; sie geben Anregungen, wie man als Wissenschaftlerin Karriere machen kann.
Das Erste und Wichtigste für eine wissenschaftliche Laufbahn sei es, dass man wirklich wissenschaftlich arbeiten wolle. Das ureigene tiefe Interesse an der Forschung müsse der Leitfaden sein, sagt Elm. So könne man auch Durststrecken durchstehen, die es bei wissenschaftlichen Arbeiten immer gebe. Elm selbst brennt für die antike Geschichte, ein Fachgebiet, das lange eher von Männern erforscht wurde. Besonders faszinierend findet sie es, Bezüge der politischen, ökonomischen, religiösen und kulturellen Geschichte des späteren römischen Reiches zu heute zu ziehen und damit neue Lesarten zu finden. An der Theologischen Fakultät ist sie nun als Gastprofessorin für die Geschichte des Antiken Christentums angestellt.
Elm kam 1959 im westfälischen Münster zur Welt. Sie studierte an der Freien Universität Berlin Geschichte und klassische Philologie. Ihr Vater, ebenfalls Historiker, hatte einen prägenden Einfluss. In der Familie ging es lebhaft zu und her. Man diskutierte viel, vor allem über Politik, das hat sie geprägt. «In unserer Familie neigen wir dazu, uns ins Wort zu fallen», sagt Elm, selbst eine Schnellrednerin. Immer wieder gab es Diskussionen über Religion, auch deshalb, weil der katholische – aus dem Rheinland stammende Vater – anders dachte als die Mutter, die aus Prag stammte und reformiertes Gedankengut vertrat. Schlug der Vater zum Beispiel am Sonntag vor, die Kirche zu besuchen, setzte die Mutter sich durch. Sie wolle lieber im Schwarzwald Skifahren, so könne man Gott auch ehren.
Elm strebte zunächst keine wissenschaftliche Karriere an, ihr Studium der Geschichte und Altphilologie war auf das Lehramt ausgerichtet. Für eine Frau mit diesen Fächern war das damals üblich. Doch Rollenklischees wollte sie sich nicht fügen. «Ich wusste, dass die für Frauen vorgesehenen Kategorien nicht die allein massgeblichen sein können, weil sie auf mich nicht zutrafen», erzählt Elm.
Das Blatt wendete sich, als sie für ein Fellowship an die University of Oxford kam. «Hier wurde ich gefördert, das entsprach meiner Erfahrung von zuhause, weil in Oxford alle intellektuell gleichberechtigt waren.» 1986 promovierte Elm bei dem Althistoriker John F. Matthews an der University of Oxford über «The Organization and Institutions of Female Asceticism in Fourth-Century Cappadocia and Egypt.» Diese Arbeit war auch deshalb herausragend, weil Elm den Fokus auf Frauen in der Spätantike richtete. Später gibt Elm zusammen mit Barbara Vinken ein viel beachtetes Buch heraus: «Braut Christi. Familienformen in Europa im Spiegel der sponsa.» Die Autorinnen zeigen anhand der christlichen Revolution die Umwälzung herrschender Geschlechter-, Klassen und Rassenverhältnisse.
Noch in Oxford lernt Elm Freunde kennen, die für die amerikanische Bank «J.P. Morgan» arbeiten. Sie findet diese Arbeit auch deshalb reizvoll, weil sie ganz anders ausgerichtet ist, als ihre bisherige akademische Laufbahn. Sie bewirbt sich, doch noch während ihrer Managementausbildung bei J.P. Morgan wird ihr eine Professur in Berkeley angeboten, auf die sie sich auf Anraten eines Freundes zwei Jahre zuvor beworben hatte. «Ich hatte diese Bewerbung fast vergessen, als das Angebot kam». Mit – für europäische Verhältnisse – aussergewöhnlichen 28 Jahren wird sie Assistent Professor an der University of California, Berkeley, 1994 Associate Professor und seit 2002 hat sie eine Professur in Berkeley inne.
Zwischendurch arbeitete Susanna Elm für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der in Deutschland durch seine Bücher über den Nationalsozialismus bekannte Historiker Joachim Fest leitete damals ein neues Wissenschaftsressort für geisteswissenschaftliche Themen. Er berief Elm zum Mitglied der Redaktion. «In den Redaktionssitzungen habe ich viel über Verhandlungstaktik und über Machtpoker erfahren», sagt sie. «Und ich habe gelernt, dass es bei Konflikten sehr wichtig ist, gut zuzuhören und dann erst zu reagieren.»
Auf die Frage, wie wichtig Networking für junge angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sei, kräuselt Elm die Nase. Ihre Studierenden kämen häufig und sagten, sie müssten Kongresse besuchen aus dem einzigen Grund: «Ich muss doch netzwerken.» Elm schüttelt den Kopf, netzwerken um des Netzwerkens willen sei nicht immer hilfreich. Ihrer Erfahrung nach seien echte Freundschaften wichtiger. «Ich habe sehr viele Anstösse und Anregungen – auch für meine Karriere – von Menschen erfahren, die ich als Freunde kennengelernt habe. «Ein Netz ohne Fisch nutzt nämlich gar nichts.»
Könnte denn die Quote für Frauen den nötigen Anschub für wissenschaftliche Karrieren bieten? «Ich bin dafür», sagt Elm. Das gelte aber nicht nur bei Berufungen für Frauen. Bei der Zusammensetzung in Kommissionen oder anderen wichtigen Entscheidungsorganen sollten auch kulturelle Unterschiede oder Generationenunterschiede berücksichtigt werden. «Gremien arbeiten am besten, wenn sie durchmischt sind.»
Elm ist mit einem Juristen verheiratet, der eine Professur in Deutschland hat. Zusammen haben sie eine Tochter. Eine Familie über den grossen Teich hinweg. Ist das zu schaffen? «In den Semesterferien sind wir jeweils zusammen», sagt Elm. Und die Tochter wächst sowohl in Deutschland als auch in den USA auf. «Es geht uns gut», sagt sie zufrieden.