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Insekten machen es, das Faultier sowieso, und auch wir Menschen müssen es tun: schlafen. Dabei ist auch nach jahrzehntelanger Forschung immer noch nicht klar, warum der Schlaf überhaupt so wichtig ist. «Diese Ungewissheit spornt uns an», sagt Sebastian Holst, der soeben sein Postdoc am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich abgeschlossen hat.
Bislang galt die Hirnstrommessung EEG als die zentrale Messgrösse zur Beurteilung des Schlafs. Dank neuen molekulargenetischen Erkenntnissen und Methoden ergeben sich weitere Möglichkeiten, um Schlaf zu definieren und die Unterschiede zwischen Wach- und Schlafzustand zu beschreiben. Holst fokussierte in seiner Arbeit auf den metabotropen Glutamatrezeptor vom Subtyp 5 (mGluR5), der in die Membran von Hirnzellen eingelagert ist. Aufgrund von Tierversuchen vermutet man, dass der Rezeptor mGluR5 und bestimmte Proteine wie das FMRP, die durch die Bindung von Glutamat an diesen Rezeptor gebildet werden, als Indikator für Schlafbedürfnis angesehen werden können.
Um herauszufinden, ob diese Proteine beziehungsweise das dafür codierende Gen FMR1 auch für den Schlaf des Menschen bedeutend sind, und wie sie sich bei Schlafentzug verhalten, untersuchte Holst mit seinen Kollegen in der Forschungsgruppe von Professor Hans-Peter Landolt dreissig gesunde Versuchspersonen im Schlaflabor auf dem Campus Irchel.
Die Probanden mussten einiges über sich ergehen lassen und verbrachten drei aufeinanderfolgende Nächte im Schlaflabor. Die erste Nacht durften sie ganz normal schlafen. Am darauffolgenden Tag wurde ihnen eine sehr geringe Menge einer radioaktiv markierten Substanz gespritzt, die kurz an den mGluR5-Rezeptor bindet und diesen für die sogenannte Positron-Emissions- Tomographie (PET) sichtbar macht. Auf diese Weise konnte die Verteilung der mGluR5-Rezeptoren im Gehirn sowie gleichzeitig die EEG-Aktivität nachgewiesen werden. Vorgängig wurden im Blut der Probanden auch der FMRP-Spiegel sowie andere relevante molekulare Marker des Schlafbedarfs gemessen.
Die zweite Nacht im Schlaflabor mussten die Probanden durchwachen, waren also bei der zweiten Messprozedur nach ungefähr 31 Stunden Wachzeit übernächtigt. Nach dem wohlverdienten Erholungsschlaf in der darauffolgenden Nacht erfolgte die dritte Messung. Da sich der für die Messungen verwendete hochmoderne PET-Scanner der UZH nicht wie das Schlaflabor auf dem Irchel, sondern in Schlieren befindet, war das Projekt auch logistisch recht aufwändig. Sieben bis acht Forschende wechselten sich jeweils bei der Betreuung der Probanden ab. Die Resultate der Messungen werden immer noch ausgewertet und damit ist die Frage noch offen, wie mGluR5 auf Schlafentzug reagiert.
Die Arbeiten, die Holst während seines Doktorats ausführte, zeigen jedoch, dass die Verfügbarkeit von mGluR5 deutlich mit etablierten EEG-Messsungen der Schlaftiefe korreliert. Demzufolge ist mGluR5 als Biomarker für Schlaf von Bedeutung. Diese Schlussfolgerung wird auch gestützt durch eine Kollaboration mit der Universität Lausanne. Mäuse, die keinen mGluR5-Rezeptor besitzen, schliefen in dieser Studie nach Schlafentzug sogar weniger als vorher. Das individuell unterschiedlich ausgeprägte Vorhandensein von mGluR5 könnte also erklären, warum gewisse Menschen mit sehr wenig Schlaf auskommen, während andere Langschläfer sind.
«Neben dem EEG noch weitere Biomarker zu entdecken, ist für die Schlafforschung von grosser Bedeutung», meint Holst. Einerseits darum, weil das Rätsel Schlaf so vielleicht einmal gelöst werden könnte. Andererseits wären solche Biomarker auch für die Diagnose von Schlafstörungen oder von Erkrankungen wie der Depression, die oft mit Schlafstörungen einhergehen, sehr nützlich. Ferner eröffneten sich damit auch weitere Anwendungsgebiete. Neben Alkohol und Medikamenten sei nämlich Schlafmangel eine häufige Ursache für Verkehrsunfälle. Es sei deshalb denkbar, dass Verkehrssünder in Zukunft auch in ein Röhrchen blasen müssten, um ein eventuelles Schlafmanko zu überprüfen.
«Die Studie ist die erste ihrer Art, die PET und massenspektroskopische Verfahren vereinigt und gleichzeitig EEG-Messungen sowie molekulargenetische Verfahren anwendet», erklärt Holst und fügt an: «Zürich ist der beste Ort in Europa, um Schlafforschung zu betreiben.» Koryphäen wie Alexander Borbély und Irene Tobler hätten die Schlafforschung an der UZH geprägt und mit dem Zentrum für interdisziplinäre Schlafforschung (ZiS) seien hier viele Kompetenzen unter einem Dach vereint. Trotzdem ist Holst nun auf dem Weg zurück nach Dänemark, seinem Heimatland. An der Universität Kopenhagen wird er seine Forschung über den Schlaf weiterführen.
Ein neuer Forschungsansatz geht nämlich davon aus, dass das Hirn während des Schlafes «gewaschen» wird, es also auch im Hirn eine Art Lymphsystem gibt, welches schädliche Stoffwechselprodukte beseitigt. Auch wenn Holst Zürich wenigstens vorübergehend den Rücken kehrt, der Schlafforschung bleibt er weiterhin treu.