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Artgenossen und Fremde als solche erkennen, miteinander kommunizieren und kooperieren, aber auch andere ausnützen, einander jagen und bekämpfen: Das gehört zum Repertoire des sozialen Verhaltens von Mensch und Tier. Dass Bakterien demselben Muster folgen, ist erst seit einigen Jahren bekannt. «Bakterien sind im Sozialverhalten ähnlichen Kräften ausgesetzt wie wir Menschen», erklärt Elisa Granato, die am Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie der UZH ihre Doktorarbeit schreibt.
In der Gruppe von Professor Rolf Kümmerli forscht Granato über das Bakterium Pseudomonas aeruginosa. Dieser Keim ist in der Umwelt sehr verbreitet und kommt auch gut ohne Wirt aus. Gelangt Pseudomonas aeruginosa jedoch in eine offene Wunde oder in die Lunge eines ohnehin geschwächten Wirts, kann dies schlimme oder chronische Infektionen verursachen. Besonders verheerend kann es für Patienten mit cystischer Fibrose sein, deren Lungen durch die starke Ansammlung von zähflüssigem Sekret ohnehin stark beeinträchtigt sind. Da Pseudomonas aeruginosa gegen viele Antibiotika resistent ist, drängt sich die Suche nach alternativen Behandlungswegen auf.
Ein möglicher Angriffspunkt könnte das soziale Verhalten der Bakterien sein. Gelangt nämlich ein Bakterium in einen Wirt, kann es nicht ganz allein eine Infektion verursachen. Das Bakterium muss erst wachsen und sich vermehren, erkennen, dass noch andere seiner Art in der gleichen Umgebung sind, mit diesen kooperieren und dann gemeinsam eine Infektion lancieren. Könnte man hier in dieses soziale Gefüge eingreifen, liesse sich im besten Fall eine Infektion verhindern, so die Überlegung. Doch dafür muss man erst die sozialen Interaktionen von Bakterien besser verstehen.
Aus Laboruntersuchungen weiss man, dass sich Bakterien oft kooperativ verhalten, das heisst, sie produzieren Moleküle wie Enzyme oder Toxine, die von der ganzen Bakterienpopulation gebraucht werden können, zum Beispiel um damit einen Wirt zu infizieren. Einige Bakterien aber mutieren und produzieren dann selber keine solchen Moleküle mehr, profitieren aber weiterhin auf Kosten der anderen.
Solche «Schmarotzer» haben einen Vorteil, da sie selber keine Energie zur Produktion dieser Moleküle aufwenden müssen. Je mehr Schmarotzer in einer Population vorhanden sind, desto weniger solche allgemein verfügbare Moleküle werden aber produziert, was schliesslich für die ganze Bakterienpopulation nachteilig ist. Die Vermutung ist deshalb, dass mit zunehmender Anzahl Schmarotzer die Fähigkeit der Bakterien abnimmt, einen Wirt zu infizieren, das heisst ihre Virulenz sinkt.
Gleichzeitig nimmt man an, dass Schmarotzer nur unter bestimmten Bedingungen überhaupt eine Chance haben, sich zu vermehren. Dann nämlich, wenn die Bakterien gut durchmischt sind und die Schmarotzer so gut an die von den anderen kooperativen Bakterien produzierten Moleküle herankommen. Solche Verhältnisse einer geringen räumlichen Struktur finden sich beispielsweise in fliessendem Gewässer oder im geschüttelten Reagenzglas im Labor. Ganz anders die Situation bei einer hohen räumlichen Struktur wie sie in Erdkrümeln oder in Biofilmen vorzufinden ist. Die Bakterien durchmischen sich hier nur sehr wenig, was es den Schmarotzern schwierig macht, die Produkte der anderen zu nutzen.
«Das Faszinierende an Bakterien ist ihre enorm schnelle Entwicklungs- und Anpassungsfähigkeit. Dies macht es möglich, innerhalb von wenigen Monaten die Evolution der Bakterien im Labor durchzuspielen», erklärt Granato. Diesen Umstand machte sich Granato zunutze, indem sie Pseudomonas aeruginosa mit oder ohne Wirtstier und in einer eher flüssigen oder einer eher festen Umgebung untersucht hat. Dabei ging Granato von einer Population mit ausschliesslich kooperativen Bakterien aus und hat beobachtet, was dann geschieht.
Die Vermutungen konnten mit Hilfe der Laboruntersuchungen bestätigt werden. Bei gut durchmischten Bakterien, die sich untereinander sehr gut austauschen können, setzten sich die Schmarotzer durch, die Kooperation nahm ab und die Virulenz ebenfalls. Demgegenüber hatten die Schmarotzer keine Chance in festen Strukturen, und die Virulenz blieb unverändert hoch.
Interessanterweise konnten sich die Schmarotzer ausserhalb des Wirtstiers viel besser durchsetzen als innerhalb des Wirtstiers. Eine mögliche Erklärung sieht Granato darin, dass die räumliche Struktur im Wirtstier sehr hoch und es deshalb für Schmarotzer schwierig sei, an die von anderen Bakterien produzierten Moleküle heranzukommen. «Ein Ansatz wäre also, zu versuchen, die Schmarotzer bei einer Infektion zu fördern, indem beispielsweise bei cystischer Fibrose das Sekret verflüssigt wird und so die Schmarotzer günstigere Bedingungen vorfinden», so Granato.
Zur Zeit widmet sich Granato im letzten Teil ihrer Doktorarbeit der Frage, was passiert, wenn Schmarotzer auf sich alleine gestellt sind. «Mich interessiert, ob sich Schmarotzer in einer solchen Situation wieder zu einem kooperativen Bakterium zurückentwickeln können», erklärt Granato. Dies würde bedingen, dass Schmarotzer die einmal abgeschalteten Gene reaktivieren. Ob dies tatsächlich so ist, weiss Granato vermutlich bald.
Nach dem Doktorat will Granato in einem Postdoc ihre Forschungen zum Sozialleben von Bakterien weiterführen. Nach der Kooperation beziehungsweise dem Schmarotzen steht dann aber ein anderes Verhalten im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit: Wie sich Bakterien gegenseitig bekämpfen. Auch dies ist für uns Menschen ein nicht ganz unbekanntes Thema.