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Moderne Computersysteme werden immer intelligenter: Sie können besser rechnen als der Mensch, sie erfassen komplizierte räumliche Systeme, sie können extrapolieren. Braucht es menschliche Intelligenz in Zukunft überhaupt noch? «Doch, auf jeden Fall», sagt Abraham Bernstein, Informatikprofessor und Mitglied des Direktoriums der Digital Society Initiative der UZH. «Die Kreativität und die kognitiven Stärken der Menschen werden wohl noch lange nicht alle von Maschinen ersetzt». Sein Forschungsinteresse richtet sich nun auf das Potenzial, das dann entsteht, wenn Mensch und Maschine sich ergänzen. Eines dieser Forschungsprojekte nennt sich «CrowdLang», eine Wortschöpfung aus Crowd und Language.
Konkret geht es darum, Bücher schnell und in qualitativ guter sprachlicher Form zu übersetzen. Bisher können Übersetzungsprogramme das nicht. In der Regel sind die Texte sprachlich holprig oder schlichtweg falsch, zuweilen liefern die Maschinen belustigende Satzkonstrukte, da der Computer von falschen Annahmen ausgeht und nicht die richtigen Zusammenhänge herstellt. Und doch ist ein Grundgerüst da, an dem gefeilt werden kann. Hier kommt nun der Mensch ins Spiel.
Auf der Crowdsourcing-Plattform «Mechanical Turk» von Amazon kann sich jeder anmelden und gegen ein Entgeld vordefinierte Aufgaben lösen. Der Name Mechanical Turk geht übrigens auf den so genannten Schachtürken zurück: Dabei handelte es sich um einen Schachroboter, den ein österreichischer Hofbeamte 1769 in der Form eines lebensgrossen, vor einem Schachbrett sitzenden Türken baute. Das Wunderwerk war allerdings eine Finte: Im Inneren der Maschine sass ein Mensch, der die Schachfiguren führte. Ganz so ist es heute nicht mehr und doch gibt auch bei CrowdLang der Mensch den Ausschlag.
Um ein Buch zu übersetzen, werden diejenigen, die sich via Mechanical Turk dazu angemeldet haben, aufgefordert, Übersetzungen von Google-Translate zu verbessern. Zu jeder Übersetzung werden mehrere alternative Sätze generiert. Via Mechanical Turk wird dann über die beste Formulierung eines Satzes oder Abschnittes diskutiert. Schliesslich wird dann der Satz, für den ein Konsens gefunden wurde, in die endgültige Übersetzung des Buches übernommen.
Die Teilnehmer benötigen dabei keine Qualifikationen oder weitere Ausbildung. Allein das Sprachgefühl und der Spass an der sprachlichen Auseinandersetzung mit anderen gibt den Ausschlag. Auch kann ein ganzes Buch parallel übersetzt werden, werden doch alle Sätze gleichzeitig von der «Crowd» bearbeitet. Im Gegensatz zu einer konventionellen Übersetzung, in der ein Übersetzer Satz für Satz den gesamten Text durchgehen muss, ein gewaltiger Vorteil. «Mit CrowdLang kann ein Buch so innerhalb von vier Stunden übersetzt werden. Und dies für insgesamt nur 67 US Dollar!», sagt Bernstein.
Selbstverständlich gilt das nicht für anspruchsvolle Literatur, Romane etwa, bei der eine sorgfältige Übersetzung über den ganzen Text hinweg weiterhin notwendig und wichtig ist. Und doch: Auf Dauer lernen Maschinen immer mehr, auch lernen sie immer besser, Texte zu übersetzen.
Wenn die mehrere Wochen in Anspruch nehmende Arbeit eines Übersetzers oder einer Übersetzerin innerhalb von vier Stunden für einen Bruchteil der Kosten fast genau so gut gelöst werden kann, wird menschliche Arbeit nicht auch in anderen Bereichen weniger gebraucht? «Menschliche Arbeit wird nicht durch Maschinen überflüssig, aber wir sollten uns darauf einstellen, dass sich die Art der Arbeit verändern wird», sagt Bernstein. Man müsse bedenken, dass über 50 Prozent der Arbeitstätigen in der Schweiz heute nicht mehr in dem Job tätig seien, den sie ursprünglich gelernt hätten. Flexibilität sei auch in Zukunft gefragt.
Neben dem CrowdLang befasst sich Bernstein unter anderem mit zwei weiteren Projekten, welche die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine im Fokus haben. Eines betrifft den moralischen Aspekt von Entscheidungen, die Maschinen treffen müssen. Manche dieser Entscheidungen können lebensentscheidend sein. Wann genau und mit welcher Geschwindigkeit soll ein Airbag im Auto aufgeblasen werden? Unter welchen Bedingungen soll ein Sensor in einem medizinischem Gerät Alarm schlagen? In einem weiteren Projekt analysiert Bernstein mit seinem Team, wie Statistiken in akademischen Berichten nachvollzogen werden können.