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Georg Bauer, im September eröffnen Sie und Ihr Team ein neues Zentrum für Salutogenese am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der UZH. Was ist Salutogenese?
Salutogenese ist das Gegenstück zur Pathogenese. Liegt bei der Pathogenese der Fokus auf der Krankheit, interessieren sich Vertreter der Salutogenese für den Ursprung von Gesundheit. Sie untersuchen gesundmachende individuelle und soziale Ressourcen des Menschen und das damit zusammenhängende positive Gesundheitserleben. Diese Sichtweise bringen wir jetzt verstärkt an der UZH mit ein.
Was macht uns denn gesund?
Die Salutogenese geht von einem Kohärenzgefühl als Grundlage für Wohlbefinden aus. Ein Mensch erlebt Kohärenz dann, wenn er sein Leben als verstehbar, handhabbar und sinnhaft wahrnimmt. Dieses Konzept geht auf den amerikanischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky zurück. Er konnte anhand von Studien belegen, dass die Gesundheit eines Menschen wesentlich von diesem Kohärenzerleben abhängt. Inzwischen wurde dies in über 50 Ländern wissenschaftlich bestätigt.
Welche Rolle spielt die Umwelt?
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir werden stark geprägt durch unsere Umgebung, zum Beispiel durch unser Arbeitsumfeld. Das Spannende am Salutogenese-Konzept ist, dass wir zwar einerseits das Kohärenzerleben des Einzelnen untersuchen, das teilweise von der Persönlichkeit geprägt ist. Zusätzlich interessieren wir uns für einen zweiten Aspekt: Antonovsky nannte ihn generelle Widerstandsressourcen. Diese schliessen Ressourcen in unserem sozialen Umfeld ein. So etwa die Einbettung in soziale Gemeinschaften oder positive Arbeitsbedingungen. Diese Ressourcen stärken das Kohärenzerleben, den Umgang mit Belastungen, aber auch eine positive Gesundheitsentwicklung. Schafft man also gute, ressourcenreiche Lebensbedingungen für alle, dann können auch diejenigen, die labiler sind, bestehen und sich positiv entwickeln.
Was ist der Mehrwert der Salutogenese für die Medizin?
Gerade bei der starken Zunahme chronischer Krankheiten ist zu beachten, dass auch viele gesunde Anteile vorhanden sind. Pathogenetische, abbauende Prozesse und salutogenetische, stärkende Prozesse finden immer parallel statt. Ihre Wechselwirkung zu verstehen ist eine wichtige Voraussetzung im Umgang mit Krankheit – seitens Patienten und Ärzteschaft.
Sie wollen im Zentrum für Salutogenese vor allem Arbeitsbedingungen untersuchen. Warum?
Die Arbeit ist für uns sehr prägend. Wir verbringen mehr Zeit mit unseren Arbeitskollegen als mit der Familie. Arbeit ist ein wichtiger Teil unserer Identität und unseres sozialen Umfeldes. Unser spezielles Forschungsvorhaben richten wir deshalb auf die Fragen zu Arbeit und ihren Wechselwirkungen, wie etwa: Welche Arbeitsbelastungen überfordern uns und führen dazu, dass wir krank werden? Welche Arbeitsressourcen stärken uns und führen zu hohem Engagement und nachhaltiger Leistungsfähigkeit bei der Arbeit? Besonders interessieren wir uns für Teamprozesse.
Warum sind Teams so wichtig?
In den meisten Unternehmen stellen Teams unser unmittelbares Arbeitsumfeld dar. Dort erleben wir Zeitdruck, ungeklärte Konflikte, unklare Rollenverteilung, Überforderung, mangelnde Flexibilität um nur einige Dinge zu nennen, die krank machen können. Wir werden aber vor allem die stärkenden Ressourcen untersuchen, wie zum Beispiel ein guter Umgang miteinander, Wertschätzung, gegenseitige Unterstützung, genügend Entscheidungsspielräume und Entwicklungsmöglichkeiten. Teams funktionieren übrigens sehr ähnlich über verschiedene Branchen hinweg. Insofern erhoffen wir uns auch eine breite Wirkung unserer Forschung.
Wie gelangen Sie an die Daten für Ihre Forschungsvorhaben?
Wir haben mit dem Spin-Off «Corporate Health Solutions» unserer Forschungsabteilung, der Schweizer Kaderorganisation und weiteren Projektpartnern das Online-Tool «wecoach» entwickelt. Mit diesem digitalen Coach erhalten Führungskräfte gezielt individuelle Unterstützung, um Arbeitsbelastungen und Ressourcen in ihren Teams zu analysieren und zu verbessern. Alle Prozesse und ihre Ergebnisse werden digital erfasst. Wir können auf diese anonymisierten Daten zugreifen und sie auswerten. Zudem gehen wir selbst in die Praxis und untersuchen aktuell die Zusammenarbeit von Teams in Gesundheitsberufen sowie den Umgang mit flexibler Arbeit.
Wie ist das Zentrum für Salutogenese international ausgerichtet?
Das Zentrum ist Teil einer Globalen Arbeitsgruppe von 20 Forschenden im Gebiet Salutogenese. Das Zentrum zielt darauf ab, das Konzept der Salutogenese mit dieser Arbeitsgruppe weiter zu entwickeln und durch eine neu zu gründende wissenschaftliche Gesellschaft für Salutogenese international weiter zu verbreiten.