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Herr Selg, Sie waren lange Jahre Auslandskorrespondent von Radio SRF und Redaktionsleiter der Informationssendung «Echo der Zeit», Ihr Name steht für aufgeklärten, kritischen Journalismus. Gehören Sie zu einer aussterbenden Spezies?
Casper Selg: Ich hoffe nicht, aber ich fürchte ja.
Weshalb?
Selg: Qualitätsmedien haben es immer schwerer. Sogar die «New York Times» hat Mühe. Qualitätsjournalismus ist heute immer schwieriger zu finanzieren, weil das Geld von den Zeitungsverlagen ins Internet abfliesst und weil die Nutzer immer weniger bereit sind, für Information zu zahlen.
Herr Jarren, teilen Sie diese Ansicht?
Otfried Jarren: Ja, durch die Digitalisierung funktioniert die Finanzierung der klassischen Medien nicht mehr. Selbst eine Zeitung, die nur digital verfügbar ist, kann über das Internet nicht genügend Erträge erwirtschaften.
Was macht guten Journalismus aus im Zeitalter von «Fake News»? Und weshalb braucht es ihn?
Selg: Den Menschen steht eine immer grössere Flut von Informationen zur Verfügung. Da wird es immer schwieriger, sich zu orientieren. Doch Orientierungspunkte, auf die man sich verlassen kann, sind wichtig. Denken Sie beispielsweise an die Verhandlungen der Schweiz mit der EU. Da gibt es unendlich viele Meinungen und Informationen. Da Orientierung zu schaffen, ist aufwendig und teuer, aber dringend nötig.
Ist diese Informationsflut nur negativ?
Jarren: Wir haben einen Überschuss an Meinungen, das macht die Orientierung schwieriger, ist aber demokratiepolitisch gut. Die Aufgabe des Journalismus, die Reduktion von Fakten wie von artikulierten Meinungen und das Herausarbeiten wichtiger Themen und Positionen, ist angesichts dieser neuen Vielfalt wichtiger denn je. Die Frage ist, wie das unter digitalen Bedingungen zu finanzieren ist. Mit der digitalen Verbreitung von Informationen hat sich die Marktstruktur fundamental verändert. Vorher hatten wir einen Angebotsmarkt, da haben die Anbieter bestimmt, zu welchem Zeitpunkt und Preis die Produkte verbreitet werden. Klassisches Beispiel ist die Zeitung. Heute haben wir einen Nachfragemarkt: Der Einzelne entscheidet mit seinem digitalen Gerät wie etwa dem Handy selbst, was ihn interessiert und was er konsumiert. Und er zahlt allenfalls für einzelne Leistungen. Das hat Rückwirkungen auf das journalistische Selektionsprogramm, die Medienangebotsstrukturen und somit auch auf die Angebote selbst.
Bislang haben wenige Medienhäuser allein entschieden, was publiziert wird. Das Internet hat diese Monopole aufgebrochen. Ist das nicht auch eine gute Sache, weil man dadurch mehr Transparenz erhält, selbst wenn auch Hässliches an die Oberfläche gespült wird?
Selg: Dass dadurch mehr Transparenz entsteht, würde ich bestreiten. Der einzelne Nutzer weiss oft nicht, wer ihm welche Informationen und Meinungen anbietet und mit welchen Motiven. Meist weiss man nicht, wer im Hintergrund steht und die Fäden zieht.
Wenn wir uns online informieren, ist oft schwierig zu entscheiden, was Fakten, Meinungen, Propaganda ist. Was bedeutet das?
Jarren: Das Problem ist die Beglaubigung: Wer sagt uns heute noch, was sicheres Wissen ist? Bisher gab es ein ausgeprägtes institutionelles Vertrauen in den Journalismus und in die Medienhäuser, die dieses Wissen herstellten und vertrieben. Diese institutionellen stabilen und klaren Zuschreibungen werden in Frage gestellt durch die Möglichkeiten der Verbreitung von Informationen durch andere Akteure, die das Internet bietet. Meiner Ansicht nach stecken wir in einer Strukturkrise, denn es sind ja nicht nur die Medien, sondern auch andere Intermediäre wie Parteien, die ihre starken Vermittlungspositionen eingebüsst haben.
Was sind die Folgen dieser Krise?
Jarren: Die Medien als klassische Massenmedien werden nicht überleben. Zeitungen sind Produkte, die Themen aus Politik, Unterhaltung, Kultur mit Werbung kuppeln und integral zu einem Preis verkaufen. Diesen Markt gibt es so nicht mehr, weil die Digitalisierung es erlaubt, journalistische Inhalte anders abzusetzen und individuell und selektiv zu konsumieren. Die Werbung und die Nutzerinnen und Nutzer werden bestimmen, wohin die Reise geht.
Herr Selg, teilen Sie diese dramatische Analyse?
Selg: Ich habe sie in dieser Dramatik so noch nie gehört. Ich denke aber auch, dass Zeitungen längerfristig ohne Unterstützung kaum zu halten sind.
Unter Druck stehen nicht nur die Zeitungen, sondern auch das Schweizer Radio und Fernsehen, dem die Initianten der «No Billag»-Initiative den Geldhahn zudrehen wollen. Was sind Motive dahinter?
Selg: Einerseits steckt die Idee dahinter, dass mehr Spielraum für private elektronische Medien entsteht, wenn die SRG nicht mehr da ist. Die Leute, die die «No Billag»-Inititiative lanciert haben, sind der heiligen Überzeugung, dass der private Markt alles besser macht als der Staat. Andererseits geht es um politische Motive: Politiker und politische Parteien haben immer schon versucht, die Medien so zu gestalten, dass sie ihren Zwecken dienen. Das hat manchmal sehr gut funktioniert, wenn man sich etwa das Beispiel Berlusconi anschaut.
Für rechtskonservative Kreise ist die SRG Teil des «linken Medien-Mainstreams». Wie unabhängig ist sie tatsächlich?
Selg: Unabhängiger, als man denken mag: Im Vergleich mit anderen öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen etwa in Frankreich oder Deutschland ist die SRG sehr unabhängig. Wir wurden und werden immer hart kritisiert, aber es wurde bislang kaum versucht, uns direkt politisch zu beeinflussen. In Deutschland etwa werden nicht nur die Intendanten politisch bestimmt, sondern auch der Posten des Chefredakteurs wird nach dem Parteibuch vergeben. Das war bei uns nie der Fall. Der Vorwurf, die SRG sei Teil eines linken Mainstreams, war meiner Meinung nach immer Unsinn. Der Mechanismus ist ganz einfach: Wenn ich mit einem Rechten ein kritisches Interview führe, fühlt er sich einem Linken gegenüber und reklamiert entsprechend. Umgekehrt ist es aber genauso.
Was wären die Konsequenzen einer Privatisierung der SRG?
Jarren: Die Privatisierung steht gar nicht wirklich zur Diskussion. Es ist eine kleine Zürcher Gruppe, die hier politisch agiert. Die politische Resonanz ist jedoch gering. Tatsache ist aber auch, wenn die No-Billag-Intitiative angenommen würde, müsste die SRG, aber auch die privaten Radio- und Fernsehstationen, die ebenfalls Gebührengelder erhalten, ihr Angebot drastisch einschränken und vielleicht sogar geschlossen werden.
Selg: Das würde bedeuten, dass es in der Schweiz kein politisch und kulturell vernünftiges Radio- und Fernsehangebot mehr gäbe. Nicht in der deutschen Schweiz und erst recht nicht in den kleineren Regionen. Im Tessin für 350000 Menschen Fernsehen zu machen, das sich allein über den Markt finanziert, ist unmöglich. Es braucht meiner Ansicht nach weiterhin eine nationale Plattform – das kann die SRG, aber auch ein anderer Anbieter sein –, auf der man erfährt, was in diesem Land passiert. Wenn man davon ausgeht, dass es die anderen Qualitätsmedien aus wirtschaftlichen Gründen bald nicht mehr geben wird, wie das Herr Jarren prognostiziert, wird die Rolle einer solchen Institution umso wichtiger.
Welche Alternativen gibt es denn, wenn wir davon ausgehen, dass die klassischen Massenmedien aussterben, Herr Jarren?
Jarren: Wir sehen doch immer klarer, dass die Informationen, die es für eine funktionierende Gesellschaft braucht, ein öffentliches Gut sind, das sich unter digitalen Bedingungen über den Markt allein nicht mehr finanzieren lässt. Wir sollten deshalb publizistische, journalistische Plattformen schaffen, die von verschiedenen Anbietern genutzt werden könnten – etwa traditionellen Medienhäusern, Journalistengruppen oder Bloggern. Ein Herausgebergremium würde sicherstellen, dass die Anbieter gewisse journalistische Standards wahren.
Wer würde diese digitale Plattform betreiben?
Jarren: Das wäre eine öffentliche Infrastruktur, wie auch die Wissenschaft, die mit ihren Bibliotheken oder Museen und mit ihren Angeboten für Kinder, Senioren, also die ganze Gesellschaft, eine Art öffentliche Plattform darstellt. Die Wissenschaft wird zwar öffentlich finanziert, doch sie ist staatsfern und verwaltet sich selbst.
Das ist eine neue Idee, die Sie da lancieren?
Jarren: Die Idee ist am Entstehen, sie soll künftig noch weiter ausgearbeitet werden. Das Prinzip dahinter ist dasselbe wie in der Wissenschaft: Man hostet für die Öffentlichkeit zugängliche Informationen. Auf diese Weise ist man nicht mehr von Verlagen abhängig. In der Wissenschaft wurden Open-Access-Plattformen gegründet, weil die Wissenschaftsverlage die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jahrelang, hart und überspitzt formuliert, ausgeplündert haben. Zum Teil ist das heute noch so. Die Problematik ist im Medienbereich ähnlich. Nicht nur der Zugang zum Wissen, sondern auch zu zuverlässigen Informationen ist eine öffentliche Sache.
In der Medienwelt ist alles im Umbruch. Herr Selg, was heisst das für die Zukunft des Journalismus?
Selg: Ich glaube in der Tat, dass sich ganz viel verändert, dass in der Medienwelt kaum mehr ein Stein auf dem anderen bleibt. Ich hoffe aber, dass doch ein Paar Steine noch bleiben, wo sie sind. Wir brauchen Qualitätsmedien – sei dies nun die SRG oder eine mediale Plattform, wie sie Herr Jarren skizziert hat – die in dieser zunehmenden Flut von Informationen einen gewissen Halt, eine Orientierung und eine gemeinsame Basis ermöglicht und aufrechterhält. Wie sich der Journalismus weiterentwickelt, ist ganz schwer zu sagen. Wenn man von der aktuellen Situation ausgeht, müsste man annehmen, dass künftig immer weniger Journalisten mit immer weniger spezifischem Sachverstand immer mehr Produkte werden herstellen müssen und dass damit die Qualität weiter sinkt. Das ist weder für den Berufsstand noch für die Gesellschaft wünschenswert.
Wie sieht die künftige Medienlandschaft aus, Herr Jarren – Verlage scheint es, Ihrer Meinung nach, nicht mehr zu geben.
Jarren: Das traditionelle Geschäftsmodell der Medienverlage hat sich überlebt. Viele Verlage haben sich von ihren Idealzielen, von der Publizistik, verabschiedet. Es wird aber weiterhin Journalismus geben – den braucht die Gesellschaft. Er wird sich aber anders finanzieren müssen. Dazu gibt es auch schon Vorbilder – etwa Genossenschafts- oder Stiftungsmodelle. Zudem wird der öffentliche Bereich für Information und Kommunikation eine wichtigere Rolle spielen. Künftig wird sich der Journalismus weg vom Text zu anderen Formen der Informationsvermittlung entwickeln. Mediale Plattformen sind meiner Meinung nach die logische Konsequenz für die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen.