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Der Reisemarkt wächst in globalisierten Zeiten stetig. 2016 verzeichnete Europa 40 Prozent aller internationalen Ankünfte weltweit, das entspricht nahezu 500 Millionen Reisenden – Tendenz steigend. Oft bringen Reisende aber nicht nur schöne Erinnerungen nach Hause, sondern auch lästige Krankheitserreger. Diese hat Patricia Schlagenhauf fest im Blick. Schlagenhauf ist Spezialistin für reiseassoziierte Krankheiten und ihre Prävention – einem Gebiet, das angesichts unseres zunehmenden Hangs in die Ferne zu schweifen, immer wichtiger wird. Die Epidemiologin weiss, welche Krankheiten Menschen in ihrem Reisegepäck mit nach Hause bringen können. «Wer zum Beispiel als Migrant in Europa lebt und dann und wann seine Verwandten südlich der Sahara besucht, hat ein hohes Risiko, an Malaria zu erkranken», sagt die Forscherin, während junge Backpacker in Asien oft die von Mücken übertragene Viruserkrankung Denguefieber auflesen oder von einem Hund gebissen werden.
Am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der UZH sammelt und durchkämmt die Professorin Daten zu Zika, Grippe, Chikungunya und anderen Krankheiten und wertet diese aus. Als Co-Leiterin des Global Geosentinel-Netzwerks, dass rund um den Globus Fallmeldungen von Reisekrankheiten sammelt, versorgt sie unter anderem das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) mit Informationen zu aktuellen Bedrohungen.
Das Entzaubern von Reiseträumen gehört zu Patricia Schlagenhaufs Job: So wollten in den letzten Monaten viele Reisende wissen, welche Destinationen für Honeymooners oder schwangere Frauen vor dem Zika-Virus sicher sind. «Die Malediven galten immer als sicherer Hafen», sagt die Forscherin. Doch in der Geosentinel-Datenbank zeigte sich plötzlich, dass von dort ein Fall nach Deutschland importiert wurde. Schlagenhauf und ihr Team haben ihre Entdeckung sofort weltweit kommuniziert – damit die Empfehlungen für Reisende rasch angepasst werden konnten.
Auch als gehäuft Bilharziosefälle bei Kanadiern und Europäern auftauchten, funktionierte der GeoSentinel-Alarmmelder. Es zeigte sich, dass die Betroffenen alle Ferien auf Korsika machten. Bald wurde die Quelle gefunden: Die Infektion der von Schnecken übertragenen Wurmkrankheit ging vom Fluss Cavu im Süden der Insel aus.
Auf dem Radar hat Patricia Schlagenhauf neben alten Bekannten auch neue Pathogene. Momentan beobachtet sie Saudiarabien und den mittleren Osten besonders aufmerksam. Denn hier macht sich ein Virus breit, das zur Pandemie auszuwachsen droht – das MERS-Coronavirus, das ursprünglich von Kamelen stammt und eine Krankheit mit hoher Sterblichkeit auslöst.
Im Zentrum für Reisemedizin am Zürcher Hirschengraben berät Patricia Schlagenhauf selbst jede Woche Reisende. Die meisten Ratsuchenden seien bereit, fachmännischen Rat anzunehmen. Aber schlussendlich entscheide jeder für sich selbst. Dass ihre Beratungen Leben retten können, weiss Patricia Schlagenhauf nur zu gut. Hat die Forscherin doch anhand von Datenanalysen erstmals zeigen können, dass sich dadurch das Risiko von Reiserkrankungen stark reduziert. «Wer informiert ist, kennt die Gefahren und ist eher bereit zum Beispiel eine Malariaprophylaxe einzunehmen oder sich gegen Hepatitis impfen lassen», sagt sie.
Zu den Spezialgebieten von Schlagenhauf gehört die Erforschung des Malaria-Erregers: «Er ist faszinierend, aber leider auch sehr schlau», sagt die Forscherin, «nach dem Mückenstich haben wir nur gerade eine halbe Stunde Zeit, ihn zu erwischen, bevor er sich in der Leber versteckt. Und danach ist es schwer, an ihn ranzukommen.» In einer ihrer letzten Malaria-Studien hat Schlagenhauf mit ihrem Team über 30000 Datensätze unter die Lupe genommen. Sie stammen von Patienten, die nach einer Reise eine im European Travel and Tropical Medicine Network vernetzte Klinik aufgesucht hatten.
Erstaunliches Resultate der Studie: Malaria ist mit rund 60 pro 1000 registrierten Fälle die häufigste nach Europa eingeführte Krankheit. Besonders wer als Migrantin oder Migrant der ersten, zweiten oder dritten Generation in Afrika südlich der Sahara Verwandte oder Freunde besucht, muss mit einer Ansteckung rechnen. «Migranten wohnen anders als Touristen meist nicht in einem klimatisierten Hotel. Zudem scheuen sie sich davor, sich selbst aufwändiger zu schützen als die Einheimischen selbst dies tun», sagt die Forscherin.
Männer, so zeigen die Auswertungen weiter, erkranken auf Reisen am häufigsten an Malaria, an bakteriellen Rickettsiosen, an Denguefieber, Leishmaniose, an chronischer Hepatitis sowie sexuell übertragbaren Erkrankungen. Frauen hingegen bekommen eher Krankheiten der Atemwege sowie Harnwegsinfekte. Und sie entwickeln viel öfter Nebenwirkungen auf Impfungen und Reisemedikamente. Diese Unterschiede sind teilweise sozial bedingt, weiss Patricia Schlagenhauf: «Männer gehen tendenziell mehr Risiken ein. Sie lassen sich weniger häufig im Vorfeld einer Reise beraten und halten sich weniger an die Empfehlungen als Frauen.» Die Präventivmedizin tüftelt deshalb an Strategien, um insbesondere Männer, aber auch andere Zielgruppen wie Migranten oder Last-Minute-Reisende vermehrt zum Gang in die Beratungszentren zu bewegen.
Im Fall von Malaria entscheidet zuweilen das Geschlecht darüber, ob jemand angesteckt wird oder nicht. Denn die Überträgerin der Tropenkrankheit, die weibliche Anopheles-Mücke, bevorzugt Männer. Dies aufgrund von Kohlendioxid und Schweiss – Stoffe, die Männer in grösserer Menge produzieren als Frauen. Ausserdem büssen Anti-Mückensprays durch starkes Schwitzen eher ihre Wirkung ein. «Das bedeutet nun freilich nicht, dass Frauen keine Prophylaxe betreiben müssen», so Schlagenhauf, «aber Männer umso mehr.»
Ein weiteres Fazit der Datenanalyse betrifft den Fakt, dass Frauen Reisemedikamente schlechter vertragen: Arzneien werden vorwiegend an männlichen Versuchstieren und Probanden getestet. Das müsse sich dringend ändern, fordert die Pharmakologin, sonst würden Impfstoffe und Medikamente nur für die eine Hälfte der Bevölkerung produziert. Vorstellen kann sie sich auch eine angepasste Dosierung, die zumindest das meist geringere Körpergewicht der Frauen berücksichtigt.
Selbst bereist Patricia Schlagenhauf in ihren Ferien neben dem heimatlichen Irland am liebsten Südafrika oder Sansibar. Hat sich ihr eigenes Reiseverhalten mit ihrer Arbeit verändert? «Sicher! Ich trinke kein Leitungswasser, habe immer eine Hand-Desinfektionslösung in der Handtasche und nehme bei Reisen in die Subsahara eine Malariaprophylaxe», sagt sie.