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Die Zeiten sind aus feminstischer Sicht nicht mehr dieselben wie vor 25 Jahren. Damals schien vieles erreicht. Heute erscheint vieles widersprüchlich: Da ist einerseits die Wahl von Donald Trump. Oder der Skandal um Harvey Weinstein. Da ist anderseits ein Ereignis wie der Women’s March – die wohl grösste Demonstration gegen einen neu ins Amt eingesetzten US-Präsidenten, die es je gegeben hat.
Viel ist aus feministischer Sicht erreicht worden. Aber zugleich drohen überall Backlashes. Die Grenzen des im öffentlichen Raum Sagbaren haben sich in den letzten Jahren als erschreckend fluid erwiesen. Rassistische, frauenverachtende und fremdenfeindliche Aussagen sind vielerorts salonfähig geworden. Und so stand das Symposium zum 25-Jahr-Jubiläum von Elisabeth Bronfens Buch Nur über ihre Leiche im Zeichen des Widerspruchs.
«Es gab wohl noch nie einen Feminismus ohne Backlash», stellte Judith Butler am Symposium nüchtern fest. In den Neunzigerjahren hatten das viele noch anders gesehen. Damals, sagte Elisabeth Bronfen rückblickend, hätte man geglaubt, in einer aufgeklärten, liberalen, demokratischen Weltkultur angekommen zu sein, in der über Frauenrechte nicht mehr diskutiert werden muss. Heute zeigt sich: Die feministische Arbeit ist längst nicht abgeschlossen.
Das Symposium an der UZH mit dem Titel «Over Her Dead Body Redux. Feminism for the 21st Century» war ein Stelldichein von Theoretikererinnen und Wissenschaftlerinnen, die seit den 1990er-Jahren den geisteswissenschaftlichen Diskurs entscheidend mitgeprägt haben. Neben Judith Butler (Berkeley) nahmen Mandy Merck (London), Barbara Vinken (München), Isabel Gil (Lissabon), Alessandra Violi (Bergamo), und Gesine Krüger (Zürich) teil.
Ziel des Symposiums war es, eine Bilanz der letzten 25 Jahre aus feministischer Sicht zu ziehen, und zugleich vorwärtsgerichtet die institutionellen und gesellschaftlichen Möglichkeiten einer feministischen Geisteswissenschaft im 21. Jahrhundert auszuloten: Was lässt sich beim Blick zurück über unsere Gegenwart aussagen? Was für eine feministische Genealogie kann und muss weitergeführt, was muss 25 Jahre später aber auch verworfen oder neu gedacht werden? Was darf nicht in Vergessenheit geraten, insbesondere auch im Hinblick auf kommende Generationenwechsel?
Das Publikumsinteresse an dem zweitätigen Symposium war ausserordentlich gross. Allein am Eröffnungsabend fanden sich 600 Interessierte ein, um Judith Butlers Keynote und das anschliessende Gespräch zwischen Bronfen, Butler, Vinken und Merck verfolgen. Über die Hälfte der Anwesenden waren Studierende. Das zeigt: feministische Anliegen sind auch für die jüngere Generationen noch virulent.
Das Thema von Bronfens Buch Nur über ihre Leiche (1992) ist die in Kunst, Philosophie und Literatur immer wieder zelebrierte und «geplünderte» Schönheit toter Frauen. Dieser unterschwellig frauenverachtende Topos erhält in Bronfens Analyse eine überraschend subversive Wendung. Das Buch ist eine feministische Aneignung und Umdeutung einer widersprüchlichen alten Bilderwelt, bei der die tote Frau als eine Art Trophäe unter männlichen Autoren verhandelt wurde.
Dabei interessiert Bronfen insbesondere die Dialektik, welche den ästhetischen Darstellungen weiblicher Leichen innewohnt: Einerseits ist die schöne Leiche Objekt einer perversen Obsession, anderseits ist sie aber stets ein Subjekt mit einer eigenen Geschichte und Stimme. Da sie aber nicht (mehr) sprechen kann, zwingt sie uns, sie zu lesen und zu interpretieren. Um diese Dublizität zu erkennen, so Bronfen, müssen wir eine veränderte Art des Sehens entwickeln, einen «schrägen» Blick.
Judith Butler knüpfte in ihrem fulminanten Vortrag, der das Symposium eröffnete, an Bronfens Denkart an. Thema ihres Vortrags waren Kriegsflüchtlinge an den europäischen Aussengrenzen. Wer über Einschluss- und Ausschlussmechanismen nachdenke, sollte sich nicht immer nur des stereotypen Opfer-Schemas bedienen, sagte sie. Es gehe auch anders: Als Beispiel nannte sie die jüdische Kriegsfotografin Lee Miller, welche während des Zweiten Weltkrieges die Alliierten Truppen begleitete, und sich – nach dem Selbstmord Hitlers – die Wohnung und insbesondere die Badewanne des Diktators aneignete und dies fotografisch dokumentierte
Der weitere Verlauf des Symposiums zeigte, wie zentral es für die feministische Arbeit ist, kulturelle Überlieferungen immer wieder zu re-interpretieren. Nur so kann verhindert werden, dass man sich auf gewohnten Erzählmustern ausruht und diese dadurch zur einzigen Wahrheit werden. Dabei gilt es gerade, der oberflächlichen, aber zunehmend aggressiven Kritik an dekonstruktiven, poststrukturalistischen und postmodernen Interpretationen entgegenzutreten.
Die Aufgabe der Geisteswissenschaften sei es, so Elisabeth Bronfens Resumee der Veranstaltung, der allgegenwärtigen Forderung nach Vereinfachung den Hinweis auf die irreduzible Komplexität gesellschaftlicher Zusammenhänge entgegenzuhalten. Komplexität auszuhalten müsse geübt werden. Die Geisteswissenschaften seien dafür unverzichtbar.