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Gute Ideen stellen sich oft ein, wenn wir loslassen: etwa beim Reisen, unter der Dusche oder wenn wir warten. Kreativität braucht Musse, darüber waren sich die Diskutanten des Talks im Turm von vergangener Woche schnell einig. Die Moderatoren Thomas Gull und Roger Nickl hatten dieses Mal Lutz Jäncke und Kai Niebert, beide Professoren an der UZH, eingeladen, um über Kreativität und die Macht von Metaphern zu sprechen.
Wir benötigen also Musse, um etwas Überraschendes zu schaffen. Und doch kommen gute Ideen nicht aus dem Nichts, betonte Lutz Jäncke. Es gebe keinen Wissenschaftler, der etwas aus dem hohlen Bauch schaffe, bedeutende Erfinder wie Albert Einstein hätten ihre kreativen Ideen aus einem grossen Pool von Wissen geschöpft. «Einstein hat mit Souveränität das Neue aus dem Alten entwickelt.» Das gelte genauso für Musiker oder andere Künstler. Neurobiologisch gesehen gebe es keinen Kuchen ohne gute Zutaten, oder mit einer anderen Metapher ausgedrückt: «Stricken ohne Wolle geht nicht», sagte Jäncke.
Es sei aber wichtig, die Wollfäden ab und zu neu zu verknüpfen, sagte Kai Niebert. Er griff dabei bewusst die anschauliche Woll-Metapher von Lutz Jäncke auf, denn Niebert erforscht, wie Sprachbilder unsere Gedanken formen. Gute und treffende Metaphern zu finden, habe viel mit Kreativität zu tun. Und die benötigt der Kognitionswissenschaftler, wenn er die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und die deutsche SPD berät. Niebert ist gefragter Experte in Sachen Sprache der Politik. Als Beispiel nannte er das Wort «Steuerflüchtling». Damit assoziiere man einen bedauernswerten Menschen, der Steuern zahlen müsse. Dabei sei es doch umgekehrt: «Steuern sind gut und nutzen uns allen.» Um neue und treffendere Worte zu finden, müsste man den Denkrahmen wechseln und kreativ werden.
Doch was sind die Ingredienzien für Kreativität? Neben Loslassen und Expertenwissen sei es wichtig, Druck oder Zwang zu vermeiden, denn sie töte jedes kreative Potential. Zudem müsse man bereit sein, sich neuen Fragen zu stellen und Dinge auch mal von einer anderen Seite zu betrachten. Und man müsse Menschen mit Empathie begegnen, sich dabei auf neue Ideen einlassen und sich offen damit auseinandersetzen.
Bei kreativem Tun und Denken sei vor allem die rechte Seite des präfrontalen Cortex im Gehirn aktiv, erklärte Lutz Jäncke die neurobiologische Grundlage der Kreativität. Während die linke Seite gern die Kontrolle behält und feste Strukturen vorgebe, so sei die rechte Seite für das Gehenlassen, das Chaos, zuständig. Aus seinen Studien mit Musikern wisse er, dass manche Künstler durch ritualisiertes Verhalten versuchen, der rechten Seite des präfrontalen Cortex mehr Gewicht zu verleihen. Erst dann könnten sie – zum Beispiel bei einer Improvisation – Wunderbares hervorbringen. Dieses träumerische Hingeben an den Augenblick benötige auf der anderen Seite aber viel Struktur, Klarheit und Gewohnheit, nur so könne man sich auch auf das Chaos einlassen, meinte Jäncke. Auf die Frage, welche Rolle die Gefühle bei der Kreativität spielen, antwortete der Neurobiologe ganz entschieden: «Gefühle sind ein wesentlicher Bestandteil von dem, was unser Gehirn produziert, Emotionen sind der Antrieb für unser Verhalten und Denken».
Kann jeder Mensch kreativ sein? «Na klar», waren sich die Experten einig, «jeder in seinem Bereich.» Wenn es passiert, ist es auch eine Form von Glück und manchmal Glückseligkeit.