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Prorektorin gewählt

«Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind zu Recht beliebt»

Gabriele Siegert wurde gestern vom Universitätsrat zur Nachfolgerin von Otfried Jarren gewählt, der Ende Juli als Prorektor der UZH zurücktritt. Die Medienökonomin plädiert im Interview für ein selbstbewusstes Auftreten der Geistes- und Sozialwissenschaften.
Interview: David Werner

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Gabriele Siegert
«Es ist für die Gesellschaft von Bedeutung, was an der grössten Universität der Schweiz passiert», sagt Gabriele Siegert, die zukünftige Prorektorin Geistes- und Sozialwissenschaften. (Bild: Frank Brüderli)

 

Frau Siegert, welches sind für Sie die typischen Merkmale der UZH?

Gabriele Siegert: Ihre Grösse, ihre Vielfalt und ihr sehr guter Ruf als Forschungsuniversität. Auffällig finde ich auch, wie viel Aufmerksamkeit unsere Universität in der Öffentlichkeit geniesst. Grundsätzlich ist das erfreulich. Die Kehrseite ist, dass wir immer auch auf skandalisierende Medienberichte gefasst sein müssen.

Weshalb ist die UZH für die Medien so interessant?

Die Universität ist ein Zukunftslabor. Die Studierenden von heute sind die Verantwortungsträgerinnen und -träger von morgen. Überhaupt bestimmt die Wissenschaft unser Leben heutzutage mehr denn je. Es ist also für die Gesellschaft von Bedeutung, was an der grössten Universität der Schweiz passiert.

Ein zweiter Grund für die starke Präsenz der UZH in den Medien liegt schlicht in der Tatsache, dass Zürich ein bedeutender Medienstandort ist. Es gibt hier viele Journalistinnen und Journalisten, und vielen von ihnen liegt die Universität als Thema nur schon deshalb nahe, weil sie selbst einmal hier studiert haben.

Was hat Sie dazu bewogen, für das Amt der Prorektorin zu kandidieren?

Ich bin sehr gerne Professorin, und ich bin begeisterte Forscherin, aber das Universitätsmanagement fasziniert mich genauso. Die Chance, die Geschicke der Gesamtuniversität in verantwortlicher Position mitzugestalten, bietet sich einem nicht alle Tage. Ich bin ein unternehmungsfreudiger Mensch, und mit 53 bin ich in einem Alter, in dem man nochmals zu neuen Ufern aufbrechen kann. Ich freue mich sehr über meine Wahl und bin gespannt und neugierig auf die Aufgaben, die auf mich zukommen.

Welche Kompetenzen und Qualitäten bringen Sie in die Universitätsleitung ein?

Analytischen Sachverstand, klare Beurteilungskriterien, Managementkompetenz und die Fähigkeit zum Interessenausgleich. Zugegeben, das sind alles Qualitäten, die in der Universitätsleitung bereits vorhanden sind, aber man kann davon ja nie genug haben (lacht).

Wenn man Ihr Forschungsgebiet – die Medienökonomie – anschaut, dann verwundert es nicht, dass Sie Übung darin haben, den Ausgleich zwischen verschiedenen Sichtweisen zu finden.

Es stimmt schon: In der Medienökonomie überschneiden sich verschiedene Disziplinen. Mein Fachgebiet lebt von der Kombination verschiedener wissenschaftlicher Perspektiven.

Woran forschen Sie im Moment gerade?

Zurzeit beschäftigen mich vor allem zwei Nationalfondsprojekte, das eine ist in der Schlussphase, das andere läuft noch bis Ende 2017. Das erste geht der Frage nach, wie man den ökonomischen Erfolg von transmedialen Angeboten messen kann. Bisher hat man die Erfolgsfaktoren von TV-, Radio- und Print-Angeboten immer nur getrennt voneinander untersucht. Im Zuge der Digitalisierung verschmelzen die klassischen Kanäle, man braucht also neue Modelle, um die Erfolgsfaktoren zu bestimmen.

Das zweite Projekt dreht sich um strategische Kommunikation und Legitimationsmanagement. Es geht darum, wie Medienhäuser mit den veränderten gesellschaftlichen Erwartungen in der digitalen Ära umgehen und wie sie ihre Funktion und ihre Leistungen am besten begründen und legitimieren können.

Wie sind Sie eigentlich auf Ihr Forschungsgebiet, die Medienökonomie, gekommen?

Ich habe meine Laufbahn nicht geplant. Nach dem Abitur interessierte ich mich zunächst sehr für theoretische Physik. Dass aus mir trotzdem keine Naturwissenschaftlerin wurde, liegt an einer Studieninformationsveranstaltung, die ich nach dem Abitur besuchte. Das Ziel dieser Veranstaltung war nicht, junge Leute für das Physikstudium zu begeistern, sondern davon abzuhalten. Was meine Person betrifft, war der Erfolg durchschlagend – ich wurde gründlich abgeschreckt. Ich orientierte mich neu und entschied mich für Soziologie, Psychologie, BWL und VWL. Aus dieser Fächerkombination heraus haben sich dann mit der Zeit die medienökonomischen Fragestellungen ergeben, die meine spätere wissenschaftliche Laufbahn kennzeichnen.

Würden Sie Studienanfängerinnen und -anfängern empfehlen, es Ihnen gleich zu tun und ganz unterschiedliche Fächer miteinander zu kombinieren?

Ich würde sicher nicht davon abraten, vorausgesetzt, die betreffende Person interessiert sich wirklich für die Fächer, die sie gewählt hat. Das sollte nämlich das alles entscheidende Kriterium sein. Ich empfehle allen, die neu an die Universität kommen, bei der Wahl des Studienfachs auch auf ihre innere Stimme zu hören – und nicht einfach zu studieren, was den Erwartungen der Eltern oder irgendeinem Trend entspricht. Wer nach dem ersten Jahr das Gefühl hat, nicht am richtigen Ort zu sein, sollte das Fach wechseln. Die Studienzeit ist eine wichtige, prägende Lebensphase. Man sollte diese Zeit nicht damit vergeuden, sich mit einer Materie herumzuquälen, die einem nicht liegt.

Als Prorektorin Geistes- und Sozialwissenschaften werden Sie in der Universitätsleitung speziell für den Querschnittbereich Lehre zuständig sein. Was ist gute Lehre?

Gute Lehre vermittelt nicht nur Wissen, sondern befähigt die Studierenden auch, dieses Wissen selbstständig zu erweitern, es auf andere Sachbereiche zu übertragen und anzuwenden. Gute Lehre sensibilisiert für die Fragestellungen und Probleme des Faches, zeigt die Zusammenhänge mit anderen Fächern auf und weckt die Freude an wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen. Ein Lehrformat, das all diese vielen Anforderungen zugleich erfüllt, gibt es nicht, deshalb sollte jedes Studienprogramm einen guten Mix aus verschiedenen Lehrformaten enthalten.

Ist die Unterrichtsform der Vorlesung noch zeitgemäss?

Sie hat immer noch ihre Berechtigung, aber sie hat sicher nicht mehr denselben Stellenwert wie noch vor zwanzig Jahren. Das Spektrum der Unterrichtsformen an den Hochschulen ist in den letzten Jahrzehnten breiter geworden, und die Dozierenden haben viel mehr Möglichkeiten, sich didaktisch fortzubilden als zu der Zeit, als ich meine ersten Lehrveranstaltungen durchführte.

Wie war das damals?

Als ich selbst 1987 an der Universität Augsburg mein erstes Proseminar durchführte, war das ein Sprung ins kalte Wasser. Ich erhielt an der Universität keinerlei didaktische Unterstützung. Das didaktische Grundwissen musste ich mir auf eigene Initiative anderswo holen. An der UZH ist das heute zum Glück anders. Es gibt bewährte Einführungskurse für den akademischen Nachwuchs und Angebote für erfahrene Dozierende, ihren Unterricht zu reflektieren und neue didaktische Hilfsmittel kennenzulernen. Das ist sehr wichtig und wertvoll. Was den Bemühungen um die Didaktisierung der Lehrveranstaltungen gewisse Grenzen setzt, ist der wissenschaftliche Arbeitsalltag. Man muss als Wissenschaftlerin und Wissenschaftler Kompromisse eingehen, um die verschiedenen Anforderungen dieses Berufs unter einen Hut zu bringen.

Hat die Lehre an der UZH den Stellenwert, den sie verdient?

Die UZH hat in den letzten Jahren viel unternommen, um alle Universitätsangehörigen für die Bedeutung guter Lehre zu sensibilisieren. Es gibt eine ganze Reihe von Anlässen, die dazu einladen, Lehrmethoden zu reflektieren und Beispiele für gute Lehre zu diskutieren, ich denke zum Beispiel an den Tag der Lehre, an die verschiedenen Lehrpreise und die Lehrveranstaltungsbeurteilungen. Kürzlich wurde auch noch die Einführung eines Lehrkredits beschlossen, um Innovationen in der Lehre zu fördern. Damit sind wir auf dem richtigen Weg.

Sie waren zwischen 2008 und 2012 Prodekanin Forschung an der Philosophischen Fakultät. Was zeichnet diese Fakultät aus?

Die PHF ist überaus vielfältig. Mit ihrer grossen Zahl an Disziplinen, Fächern, Themen und Zugangsweisen ist sie so etwas wie ein Abbild der ganzen Universität im Kleinen.

Gibt es etwas, was die übrigen Fakultäten von der Philosophischen Fakultät lernen können?

Wir haben, weil wir eine so vielfältige Fakultät sind, viel Übung in komplexen Aushandlungsprozessen. Wir beziehen, bevor es zu Beschlüssen kommt, die verschiedensten Sichtweisen in die Diskussion ein. Unsere Devise lautet: Audiatur et altera pars – man höre auch die andere Seite. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.

Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind bei den Studierenden beliebt – manche sagen auch, sie seien zu beliebt, denn letztlich handle es sich um brotlose Wissenschaften.

Das ist ein Vorurteil, das dadurch nicht richtiger wird, dass man es ständig wiederholt. Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Geistes- und Sozialwissenschaften beschäftigen sich mit hochrelevanten Fragen des Zusammenlebens, mit Wertvorstellungen, Politik, Medien, Kultur und Geschichte. Das Studium eröffnet beruflich sehr viele Möglichkeiten. Empirische Untersuchungen belegen immer wieder, dass Absolventinnen und Absolventen geistes- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt sind, weil sie über ein breites Allgemeinwissen verfügen und gelernt haben, kritisch und flexibel zu denken und komplexe Zusammenhänge zu erfassen. Die Geistes-, Verhaltens- und Sozialwissenschaften sind zu Recht beliebt. Sie sollten selbstbewusst in die Zukunft blicken.

Manchmal wird behauptet, Geistes- und Sozialwissenschaften seien einfacher zu studieren als andere Fächer. Woran liegt das?

Dieser Eindruck entsteht meines Erachtens dadurch, dass die Gegenstände der dieser Wissenschaften den meisten Menschen sehr nahe liegen. Viele sagen sich: Ich erziehe selbst meine Kinder, lese selbst Zeitung, gehe selbst abstimmen – infolgedessen weiss ich, was mich in einem Studium der Pädagogik, der Publizistikwissenschaft oder der Politologie erwartet. Dass es eine vom Alltagswissen stark abweichende Art des Wissens und der Erkenntnis ist, die in den Geistes-, Verhaltens- und Sozialwissenschaften gelehrt wird, ist vielen nicht bewusst. Auch Erstsemestrige sind oft überrascht, wenn sie erkennen, was es bedeutet, sich wissenschaftlich mit einem Thema zu befassen. Um ein Beispiel zu nennen: Man lernt im Studium der Publizistikwissenschaft nicht das Handwerk eines Nachrichtensprechers, sondern man lernt, das Mediengeschehen zu analysieren. Für manche Studierende ist das eine Enttäuschung – die grosse Mehrheit aber findet mit der Zeit Gefallen am wissenschaftlichen Zugang.

In welche Richtung sollten sich die Geistes- und Sozialwissenschaften Ihrer Meinung nach an der UZH entwickeln?

Das müssen die Fakultäten und Institute selbst entscheiden. Als Prorektorin Geistes- und Sozialwissenschaften kann ich die Philosophische und die Theologische Fakultät unterstützen und begleiten, aber in welche Richtung sie sich entwickeln sollen, müssen sie selbst bestimmen. Ich bin eine Anhängerin des Subsidiaritätsprinzips: Die Angelegenheiten sollen dort geregelt werden, wo sie anfallen. Wichtig scheint mir, dass die Mitglieder der Fakultäten und Institute sich überhaupt über gemeinsame Ziele und Entwicklungsschwerpunkte verständigen. Institute sollten mehr sein als die Summe ihrer Lehrstühle. Dazu müssen sie an ihrem Profil arbeiten.

Geschieht dies bereits in ausreichendem Mass?

Die Fakultäten der UZH sind hier auf dem richtigen Weg, wie auch viele Institute. Beispielgebend finde ich die Zusammenarbeit verschiedener Fächer, so zum Beispiel im Center for Information Technology, Society and Law oder im Asien-Orient-Institut sowie in Universitären Forschungsschwerpunkten, zum Beispiel «Sprache und Raum». Gerade in der Beteiligung an fakultätsübergreifenden, interdisziplinären Forschungsfeldern sehe ich eine grosse Chance für die Geistes-, Verhaltens- und Sozialwissenschaften, ihre Stärken zur Entfaltung zu bringen. Ihr Beitrag ist unerlässlich, um einen ganzheitlichen Blick auf grosse Fragen der Zukunft wie etwa die Digitalisierung der Gesellschaft oder den demografischen Wandel zu ermöglichen.

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