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Werden Algorithmen in Zukunft den Arzt ablösen? Wenn man Marcel Salathé, Leiter des Digitial Epidemiology Lab an der ETH Lausanne, zuhört, könnte man auf die Idee kommen. Er berichtete am vergangenen Donnerstag an der Tagung «Digital Health: Exploring Ethics and Policy» an der UZH von einer Software, die mit einer 99-prozentigen Trefferquote Pflanzenkrankheiten aufgrund von Fotos der Pflanzenblätter erkennen kann. Was bei Pflanzen funktioniert, wird auch beim Menschen erprobt: Salathé zitierte eine Studie, gemäss der die Erfolgsquote eines Algorithmus beim Erkennen von Hautkrebs zwar nur bei 60 Prozent lag – Dermatologen allerdings schnitten in derselben Studie mit 46 Prozent noch schlechter ab. Je mehr Bilder die Software gefüttert bekommt, desto besser werden die Ergebnisse – «deep learning» wird das in der Fachsprache genannt.
«In den kommenden Jahren werden Tausende von Studien publiziert werden, welche zeigen werden, dass Algorithmen gewisse Aufgaben besser erledigen können als der Mensch», ist Marcel Salathé überzeugt. Dabei ist für ihn allerdings klar, dass Algorithmen nicht eine definitive Diagnose stellen, sondern Hinweise geben sollen, wann beispielsweise eine Gewebeprobe bei Krebsverdacht sinnvoll sei.
Wie tiefgreifend wird die Digitalisierung die Medizin verändern? Und welche ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekte gilt es dabei zu beachten? Diesen Fragen standen im Zentrum der Tagung. Mehr als 100 Personen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung nahmen daran teil. Organisiert hatte die Veranstaltung das neu gegründete «Health Ethics and Policy Lab», das zum Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich gehört.
SNF-Förderungsprofessorin und Lab-Leiterin Effy Vayena ist überzeugt: «Medizin und Gesundheitsversorgung befinden sich an einem Wendepunkt: die Digitalisierung ermöglicht ein bisher unerreichtes Verständnis der Ursachen von Krankheiten und erlaubt es, neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Gleichzeitig stellt die Digitalisierung unsere Gesellschaft vor grosse Herausforderungen ethischer und rechtlicher Art, etwa was den Datenschutz anbelangt.»
Die Schweiz sei nicht vorne mit dabei bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen, meinte Antoine Geissbühler, Professor am Departement Radiologie und medizinische Informatik an der Universität Genf. Das Problem liege vor allem an der fehlenden Verbindung der Datensätze, wurde an der Tagung mehrfach betont.
Für Peter Meier-Abt, Vizepräsident der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaft, sind die Universitäten und Spitäler in der Schweiz zu wenig vernetzt und nutzen eine zu grosse Vielfalt an inkompatiblen Systemen der Datenverwaltung. «Bisweilen sind nicht einmal in einem einzelnen Institut die Daten aller vorhandenen Studien kombinierbar», sagte Meier-Abt. Abhilfe soll die Nationale Förderinitiative «Personalisierte Medizin» und das daraus entstandene «Swiss Personalized Health Network» schaffen. In einem nächsten Schritt gelte es dann, die Gesundheitsdaten international zu vernetzen.
Einen bedeutenden Schritt vorwärts habe die Schweiz mit der beschlossenen Einführung des elektronischen Patientendossiers gemacht, sagte Daniel Schönberger, Leiter der Rechtsabteilung von Google Schweiz und Österreich. Das entsprechende Gesetz soll 2017 in Kraft treten.
In den USA sei die Digitalisierung im Gesundheitswesen schneller vonstatten gegangen, berichtete Tania Simoncelli vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Seit dem Amtsantritt von Barack Obama habe die US-Regierung mehr als 29 Milliarden Dollar in die Digitalisierung des Gesundheitswesens investiert. Gewisse Technologiefirmen, Spitäler und Labors blockieren den Datenaustausch allerdings, weil sie um ihre Business fürchten, wenn sie Daten mit Konkurrenten teilen. Zudem gebe es Ärzte, die bisweilen frustriert den Job künden, weil sie vor lauter Dateneingabe kaum mehr Zeit hätten für die Patienten. «Die Schweiz tut gut daran, die ganzen Fragen im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Gesundheitswesen zwar langsamer, aber dafür sinnvoller zu regeln», gab Simoncelli zu Bedenken.
Zu regeln gibt es in der Tat noch viel, nicht nur in der Schweiz. Petra Wilson vom Digital Health & Care Institute in Edinburgh zeigte an der Tagung auf, dass ein Drittel der Staaten weltweit keine rechtliche Regelung für eHealth besitzen. In gewissen Staaten fehlten gar jegliche rechtliche Grundlagen für den Datenschutz.
Handlungsbedarf bestehe auch bei der Sicherheit im Umgang mit Gesundheitsdaten, sagte Petra Wilson. Gemäss dem Cyber Security Intelligence Index 2016 ist die Gesundheitsbranche das weltweit attraktivste Angriffsziel für Cyberkriminelle: «Die Jagd auf Patientendaten ist eröffnet», hält der Bericht fest.
Lisa Lee, Direktorin der «Presidential Commission for the Study of Bioethical Issues» der US-Regierung, äusserte sich in einer Videobotschaft dazu. Sie forderte ein Ethiktraining für Personen, die Zugang zu Gesundheitsdaten haben. Und wer Daten missbrauche, müsse bestraft werden.
Ansätze einer sicheren, gesellschaftlich sinnvollen Regelung der digitalen Gesundheitsdaten seien in Sicht, wurde an der Tagung von verschiedenen Referierenden betont. Ein positives Beispiel sei die Initiative Midata.coop von Ernst Hafen, Professor am Institut für Molekulare Systembiologie der ETH Zürich. Midata ist ein genossenschaftliches Projekt, bei dem die Bürgerinnen und Bürger ähnlich einem Bankkonto ihre Daten sicher und zentral hinterlegen und selbst bestimmen könnten, wer Zugang dazu erhalten soll. Allfällige kommerzielle Erträge aus der Datennutzung werden in Forschungsobjekte reinvestiert, die der Allgemeinheit zugute kommen.
Midata hat mehrere Pilotprojekte gestartet, so etwa in Zusammenarbeit mit Professor Roland Martin vom Universitätsspital Zürich. Dabei geht es um die Wirksamkeit einer neuen Behandlung für Multiple-Sklerose-Patienten. Zudem ist geplant, ähnliche genossenschaftliche Modelle unter anderem in Deutschland, den Niederlanden sowie in Äthiopien und Vietnam aufzubauen. Der Bedarf ist vorhanden, denn Hafen ist überzeugt: «In fünf Jahren wird ein Smartphone primär ein medizinisches Gerät sein, mit dem man nebenbei noch telefonieren kann.»