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Der Zeitpunkt erwies sich als unfreiwillig gut gewählt. Das diesjährige Kolloquium des Lehrstuhls für Berufsbildung von Professor Philipp Gonon mit dem Titel «Whose education is it anyway?» fand Mitte Januar statt – wenige Tage nachdem die Sparvorgaben der Zürcher Regierung für das kantonale Bildungswesen bekannt wurden. Umso grösser war das Interesse am Kolloquium an der UZH. Diskutiert wurde dabei der gesellschaftliche Umgang mit Bildung und Wissen.
Philipp Gonon sieht das Bildungswesen weltweit zwei Trends ausgesetzt – einer zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung einerseits und Sparbemühungen der öffentlichen Hand andererseits.
Auch wenn Staaten wie China oder Südkorea massiv in ihre Universitäten investierten, sei doch festzustellen, dass viele Staaten im Bildungswesen sparen oder schulische Angebote gänzlich an private Anbieter abgeben. Beides habe oft zur Folge, dass Bildungsangebote teurer werden. «Dadurch wird qualitativ hochstehende Bildung immer mehr zu einem knappen Gut und sozialen Statussymbol», stellt Gonon fest: «Entsprechend verschulden sich immer häufiger Eltern und Studierende wegen der Ausgaben für Bildung.»
Die Digitalisierung verstärke den Trend zur Kommerzialisierung zusätzlich. Neue digitale Bildungsangebote wie Massive Open Online Courses (MOOC) erweiterten zwar den Zugang zu Bildung. Gleichzeitig werde im Zeitalter von Big Data das Bildungswesen vermehrt zum Geschäftsfeld. Die Plattform Linkedin etwa wisse aufgrund der Profile ihrer Mitglieder, wo auf der Welt welche Kompetenzprofile gefragt und verfügbar sind. Linkedin verkaufe diese Informationen an Bildungsanbieter oder entwickle gleich selbst entsprechende regional angepasste Weiterbildungsangebote.
Ein Problem stellen Kommerzialisierung und Spardruck gemäss Philipp Gonon vor allem dann dar, wenn die Qualität des Bildungswesens darunter leidet oder der Zugang zu Bildung erschwert wird. Beides sei zunehmend der Fall, so seine Feststellung.
Was etwa in Zürich derzeit kontrovers diskutiert werde, sei an Luzerner Gymnasien bereits umgesetzt: Aus Spargründen werden die Lehrerinnen und Lehrer eine zusätzliche Woche in die Ferien geschickt. «Das ist ein Qualitätsabbau», so Gonon. Die Gymnasialzeit sei in den letzten Jahrzehnten ohnehin verkürzt worden: «Offiziell passte man sich damit den Entwicklungen im Ausland an, aber da spielten auch Spargründe mit.»
Derartige Entwicklungen stellt Gonon nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit fest. Zusätzlich werde im Ausland die Fächerpalette in den Gymnasien zunehmend kleiner. Wer sich breit bilden wolle, müsse dies zunehmend auf dem privaten Markt und somit auf eigene Kosten tun. Die Schweiz und Deutschland seien heute praktisch die einzigen Länder, die auf der Gymnasialstufe noch ein breites Fächerangebot hätten und in denen die Matura beziehungsweise das Abitur grundsätzlich zum Studium berechtigen.
Allerdings gerate dieses System auch in der Schweiz unter Druck: «Es gibt Stimmen, die sagen: Deutsch, Mathematik und Englisch genügen doch als Vorbereitung auf ein Studium.» Der Erziehungswissenschaftler ist anderer Meinung. Er betrachtet eine breite Allgemeinbildung als öffentliche Aufgabe. Bildung zahle sich für die Gesellschaft in vielfacher Weise aus: qualifizierte Arbeitnehmende, gute Gesundheit, geringe Kriminalität und mehr gesellschaftliche Partizipation in der Gesellschaft – all dies seien positive Effekte der Bildung.
Wenn bei Schulen gespart werde und es deshalb zu einem Abbau des Angebots komme, würden reiche Personen ihre Kinder vermehrt auf Privatschulen schicken. Eine Option, die aus finanziellen Gründen nicht allen offenstehe. So gingen Qualitätsabbau und ein restriktiverer Zugang zu Bildung Hand in Hand.
Philipp Gonon fordert keine durchgehend kostenlose Bildung auf allen Stufen, wie dies von linker Seite bisweilen verlangt wird. «Bildung darf etwas kosten, solange der Zugang dadurch nicht unverhältnismässig eingeschränkt wird», ist er überzeugt. «Der Zugang zu Bildung sollte nicht über Geld, sondern über Fähigkeiten und Leistungen gesteuert werden.»
Auch wenn eine breite Allgemeinbildung eine öffentliche Aufgabe sei, müsse das Bildungswesen nicht gänzlich staatlich organisiert sein. Im Gegenteil: «Unser Kolloquium wollte den Blick auf Bildung über die Dichotomie von Markt und Staat hinaus weiten.» Diskutiert wurden an der Veranstaltung so genannte Commons-Ansätze, die Bildung als gemeinsames soziales Gut betrachten.
Bei diesem Denkansatz stellen sich gemäss Gonon im Bildungswesen dieselben Fragen wie bei einer Alpschafweide: Wem gehört die Weide? Wer darf sie nutzen? Was kostet die Nutzung? Der Commons-Ansatz sucht dabei nach Modellen einer gemeinschaftlichen Nutzung, bei der alle Hirten ein Interesse daran haben, der Weide Sorge zu tragen und ihre Qualität zu erhalten.
Einen ähnlichen Commons-Ansatz sieht Philipp Gonon in der Berufsbildung umgesetzt. Neben den Kantonen sind dabei Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam für die Qualität der Berufsschulen verantwortlich. Solidarisch zahlen Unternehmen, die keine Lehrlinge ausbilden, in vielen Kantonen und Branchen zudem in einen Berufsbildungsfonds ein und beteiligen sich so an den Kosten für den Nachwuchs.
Gemeinschaftliche Modelle der Bildung sind für Gonon auch für Gymnasien oder Hochschulen denkbar. Dies könnte bedeuten, dass Lehrpersonen, Eltern und Studierende mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten erhalten. «Besonders sinnvoll wäre dies in Ländern, in denen politische Entscheidungen nicht im selben Ausmass demokratisch legitimiert sind wie in der Schweiz», sagt Gonon.
Auch das Schweizer Hochschulsystem mit seinen international orientierten, aber auch regional verankerten Hochschulen betrachtet der Erziehungswissenschaftler als gute Umsetzung des Commons-Gedankens. «So ist der Zugang zu universitärer Bildung in allen Regionen gegeben. Gleichzeitig ermöglicht die recht grosse Autonomie der Hochschulen eine Diversität im Angebot», so Gonon.
Zusätzliche Diversität ergebe sich durch das differenzierte Hochschulwesen der Schweiz mit Universitäten und Fachhochschulen. In Deutschland existieren darüber hinaus «duale Hochschulen», die ein wissenschaftliches Hochschulstudium mit der gleichzeitigen Ausbildung in einem Betrieb kombinieren. Ähnliche Modelle setzen sich international gemäss Gonon immer mehr durch, etwa in Südkorea und Südafrika.
Gerade Ländern, die im globalen Wettbewerb derzeit stark in Forschung und Lehre investieren, würde Gonon empfehlen, Bildung nicht nur als privates oder durch den Staat zentral gesteuertes Gut zu betrachten. Eine dritte Sichtweise lohne sich: «Bildung ist wie eine Alpweide. Wenn wir gemeinschaftlich zu ihr Sorge tragen, können auch alle davon profitieren.»