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Sie sind seit gut zwei Jahren Dekan der MNF. Wo steht die Fakultät, welche Schwerpunkte haben Sie gesetzt?
Bernhard Schmid: Wir haben die Fachbereiche neu organisiert und erweitert. Die Fakultät ist dadurch übersichtlicher geworden und klarer strukturiert. Bei dieser Reorganisation haben wir zum Beispiel das Institut für Computergestützte Wissenschaft (Institute of Computational Science) geschaffen.
Wir haben auch die Studienarchitektur gemäss dem Prinzip Major/Minor neu strukturiert. Dank dieser Reorganisation können Studierende 120 Kreditpunkte in einem Hauptfach mit 60 Kreditpunkten in einem Nebenfach kombinieren. Dies schafft neue interdisziplinäre Ausbildungsmöglichkeiten und erhöht die Attraktivität für die Studierenden.
Seit diesem Frühjahr bieten wir zusammen mit Doppelprofessuren aus der medizinischen Fakultät auch den neuen Studiengang der Biomedizin an.
Wie ist der Studiengang Biomedizin angelaufen?
Wir wurden völlig überrascht durch den riesigen Andrang, die Ausbildung entspricht offenbar einem grossen Bedürfnis. Wir rechneten mit etwa 30 Studierenden, aktuell sind es 180. Der neue Ausbildungsgang ist auf Anhieb das Studienprogramm mit den meisten Erstsemestrigen unserer Fakultät geworden, etwas grösser noch als die Biologie. Interessanterweise nahmen die Studierendenzahlen auch in den anderen Fächern weiter zu, wir konnten mit diesem Angebot also zusätzliche Studierende anziehen.
Wie entwickeln sich die Studierendenzahlen?
Aus meiner Sicht sehr erfreulich. Wir verzeichnen ein kontinuierliches Wachstum, sowohl bei den Studierenden als auch bei den Professuren. Im Vergleich zum Jahr 2005 ist die Zahl der Studierenden unterdessen um 40 Prozent auf rund 3800 gestiegen, diejenige der Professorinnen und Professoren von rund 100 auf 169. Darunter sind rund 20 Prozent Förderprofessuren (SNF, ERC). Dabei hat sich das Betreuungsverhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden sogar etwas verbessert.
Wie sehen die Prognosen für die Zukunft aus?
Gemäss den Projektionen wird sich dieses Wachstum fortsetzen. Bis ins Jahr 2020 rechnen wir mit gegen 5000 Studierenden an der MNF.
Junge Menschen lassen sich für Naturwissenschaften begeistern?
Das zeigen unsere Erfahrungen: Wir sind dank unserem umfassenden Studien-Angebot die seit dem Jahr 2000 am schnellsten wachsende Fakultät der UZH. Wir leisten damit auch einen wichtigen Beitrag zum dringend benötigten Nachwuchs der Schweiz im Bereich der MINT-Fächer, das heisst Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Bekanntlich fehlt es in der Schweiz an hier ausgebildeten Ingenieuren, Physikerinnen und Physikern sowie Ärztinnen und Ärzten.
Stösst das Wachstum der Fakultät auch an Grenzen?
Ich und mein designierter Nachfolger Michael Schaepman sehen dieses Wachstum primär als Chance, aber es gibt bezüglich der Raumsituation auch grosse Herausforderungen. Man hat in der Gebäudeplanung während zu langer Zeit den notwendigen Ausbaubedarf vernachlässigt. Die aktuelle Erweiterung im Rahmen von Irchel 5 wird leider nur Rochadeflächen freimachen, die für die Sanierung der bestehenden Gebäude notwendig werden.
Ein aktuelles Ranking des Web of Science identifzierte vor kurzem sechs Forschende der UZH, die zu den meist zitierten ihres Fachgebiets gehören. Von diesen sechs kommen fünf aus der MNF und von diesen wiederum drei aus dem Pflanzen- oder Ökologiebereich. Das wird Sie als Pflanzenökologe und Umweltwissenschaftler sicher freuen?
Man muss mit diesen Rankings vorsichtig sein, da ist immer auch ein wenig Zufall im Spiel. Aber ich bin natürlich stolz und freue mich über das gute Abschneiden der Pflanzenbiologen. Wir sind in diesem Fachbereich seit einigen Jahren sehr stark aufgestellt. Das hängt mit wichtigen Neuberufungen um die Jahrtausendwende zusammen. Beat Keller, Ueli Grossniklaus und Enrico Martinnoia gehören zu den highly cited Researchers.
Gleichzeitig bin ich auch ein wenig frustriert, weil die Pflanzenbiologie, deren Forschung immerhin die Ernährung der Weltbevölkerung sicher stellen soll, als wichtiges Aushängeschild der Universität zu wenig wahrgenommen wird. Das äussert sich in der prekären Raumsituation des Instituts für Pflanzenbiologie, das aus allen Nähten platzt. Auf der Suche nach Lösungen werden wir immer wieder auf später vertröstet. Es besteht die Gefahr, dass wir die Spitzenposition in diesem Gebiet verlieren, weil das Institut aufgrund von Platzproblemen schlicht kollabiert. Da würde ich mir mehr Unterstützung erhoffen. Dies sage ich als Pflanzenforscher, nicht als Dekan.
Ich denke, man könnte aus dieser guten Position in der Pflanzenforschung noch mehr herausholen.
Was heisst das?
Eigentlich müsste man mehr Geld in die Pflanzenforschung investieren. Die Sicherung der Ernährung ist international betrachtet eine riesige Aufgabe, von deren Lösung wohl mehr Menschenleben abhängen als von der gesamten biomedizinischen Forschung. Aber die weltweiten Probleme mit Pflanzenschädlingen oder ertragsreichen Sorten werden hierzulande unterschätzt. Hier könnten wir einen Beitrag leisten, zum Beispiel mit einem Flagship-Programm der UZH zur Ernährungssicherung.
Big Data ist ein Megatrend in den Naturwissenschaften, er betrifft auch die Biologie. Wie reagiert die MNF darauf?
Wir sind uns dieser Entwicklung bewusst, die quantitative Biologie hat hohe Priorität. Wir haben im laufenden Entwicklungsplan bereits reagiert und zwei neue Professuren für quantitative Zellbiologe und synthetische Biologie geschaffen. Wir beschäftigen uns auch damit, innerhalb der Biologie ein Kompetenzzentrum für quantitative Biologie aufzubauen, das mit anderen Instituten eng zusammen arbeitet, etwa dem Institut für Computergestützte Wissenschaft.
Inwieweit tangiert Big Data die MNF sonst noch?
Big Data ist praktisch in allen Disziplinen präsent. Einerseits in den Life Sciences mit der Biologie und auf der anderen Seite im Bereich der abiotischen Umwelt, wo wir mit neuen quantitativen Methoden forschen und Simulationen betreiben. Das geht von der Astrophysik bis zur Klimamodellierung und zum Remote Sensing. Am neu geschaffenen Institut für Computer gestützte Wissenschaft spielt Big Data naturgemäss eine sehr grosse Rolle. Und in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Fakultät gibt es den Plan für eine Medizininformatik und Personalisierte Medizin.
Die (Natur-)Wissenschaften erfinden sich laufend neu, wie geht man als Dekan mit diesen raschen Entwicklungen um, wie definiert man die strategische Ausrichtung?
Wir haben einerseits die Institute, die langfristig ausgerichtet sind. Andrerseits können wir mit Kompetenzzentren auf neue Entwicklungen eingehen. Dafür gibt es allerdings nur in beschränktem Umfang Geld. Die UFSP sind eine Möglichkeit, auf diese Entwicklungen zu reagieren. Obwohl sie einen kleinen Anteil des UZH-Budgets beanspruchen, bewirken sie sehr viel.
Wir müssten kurzfristig „Querschnittszentren“ gründen können, die ressourcenmässig eher Instituten als den gegenwärtigen Kompetenzzentren vergleichbar wären. Ihre Mitglieder wären gleichzeitig Teil ihres Instituts und des neuen Querschnittzentrums.
Mitarbeitende der MNF arbeiten an Technologien, die unsere Gesellschaft verändern und prägen. Stichwort Crispr-Cas9, Sensoren oder die Datenverarbeitung. Wie reflektiert die MNF über diese gesellschaftlichen Prozesse?
Wir sind uns dieser Verantwortung gegenüber der Gesellschaft sehr bewusst. Wir informieren transparent über die Verwendung von Forschungsgeldern und über unsere Forschungsergebnisse. Wir fördern die Kommunikation und schulen zum Beispiel unsere Leute in Medientrainings. Wir haben zu diesen gesellschaftlichen Themen auch Lehrveranstaltungen über Ethik aufgebaut. Ich denke, wir nehmen unsere Verantwortung stärker wahr als früher, aber man kann sicher noch mehr machen.
Wissenschaft und Forschung wird in der Öffentlichkeit in unterschiedlichen Formaten und Foren diskutiert, die Spannbreite reicht von traditionellen Medien bis Science Cafés und Science Slams. Finden Sie das gut?
Als Forscher und Dekan begrüsse ich diese Beschäftigung mit wissenschaftlichen Themen. Wir sehen bei diesen öffentlichen Diskussionen über Wissenschaft und Forschung auch, wie wichtig unsere Informationen sind. Kritisch anmerken möchte ich allerdings, dass es nicht so einfach ist, das Wesen der Grundlagenforschung zu vermitteln. Wenn wir nicht mehr erklären können, weshalb diese Forschung nötig ist, haben wir auf Dauer ein Problem.
Wieso?
Man kann in der Grundlagenforschung nicht direkt auf nützliche Anwendungen schielen. Wichtige Entdeckungen sind nicht planbar, sie entstehen in der nicht zweckorientierten Forschung meist zufällig und überraschend. Es muss deshalb möglich sein, Grundlagenforschung ohne einen direkten Nutzen durchführen zu können. Wenn wir den Support dafür nicht mehr haben, geraten unsere Innovationsfähigkeit und die Forschungsfreiheit unter Druck. Dieses Recht auf freie Forschung möchte ich nicht preisgeben.
Was steht auf dem Spiel?
Wenn die Forschungsfreiheit nicht mehr garantiert ist, haben nicht nur Hochschulen ein Problem. Die Kritik an der Forschung führt letztlich zu einer Entdemokratisierung der Wissenschaft. Das zeigt das Beispiel der grünen Gentechnik bei Pflanzen. Diese Forschung können heute nur noch finanzkräftige Firmen betreiben, welche die Mittel haben, die juristischen Verfahren gegen Einsprachen durch alle Instanzen durchzuziehen.
Während die Freiheit in kulturellen und künstlerischen Bereichen unangefochten hochgehalten wird, können wir in der Wissenschaft im übertragenen Sinn den Mohammed schon lange nicht mehr zeichnen.
Prodekan Michael Schaepman wird im August das Amt des Dekans übernehmen. Was geben Sie ihm mit?
Wir sind innerhalb der Universität die am schnellsten wachsende Fakultät. Wir haben gute Ressourcen und können gute Leute anstellen. Aber das Hauptproblem ist die Raumsituation. Es braucht nach Irchel 5 einen weiteren Ausbau und den sollte man jetzt an die Hand nehmen.