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Der Tsunami kam aus dem Westen, und er traf die US-amerikanische Wirtschaft mit voller Wucht. Seit China vor einem Vierteljahrhundert in den Weltmarkt eingetreten ist, hat die Konkurrenz von Billigprodukten aus dem Reich der Mitte in den Vereinigten Staaten etwa zwei Millionen Jobs vernichtet – unwiederbringlich. «Diese Jobs werden nicht mehr zurückkommen», konstatiert David Dorn. Der Professor für International Trade and Labor Markets an der UZH untersucht, welche Auswirkungen der Handel mit China auf die amerikanische Wirtschaft und den Arbeitsmarkt hat. Seine Diagnose ist vernichtend: «Auf dem amerikanischen Markt haben Produkte aus China in gewissen Branchen den einheimischen Anbietern stark zugesetzt oder sie vollkommen aus dem Markt verdrängt.»
Besonders betroffen sind Unternehmen, die vor allem für den Heimmarkt produzieren. «Diese Produkte – etwa Kleider, Möbel, Spielsachen oder Elektronik – wurden in den USA billig hergestellt und waren oft qualitativ nicht hochwertig», erklärt Dorn.
Dorn hat sich angeschaut, wie sich die globale Konkurrenz auf die lokalen Arbeitsmärkte in den USA ausgewirkt hat, und dabei grosse Unterschiede festgestellt. Besonders betroffen sind Städte und Regionen mit einem «Klumpenrisiko» – das heisst, vielen Firmen, die in Bereichen tätig sind, die der chinesischen Konkurrenz besonders stark ausgesetzt sind. Die Stadt Raleigh in North Carolina ist ein solches Beispiel. «Dort mussten viele Unternehmen Stellen streichen oder ganz schliessen», sagt Dorn. «Das hat grosse Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Sie verdienen weniger, wechseln häufiger den Job und sind länger arbeitslos.» Eine wichtige Rolle spielt dabei die Ausbildung. Wer über einen Hochschulabschluss verfüge, sei auch betroffen, sagt Dorn, «doch gut qualifizierten Personen fällt es leichter, in andere Branchen auszuweichen, etwa in den Dienstleistungsbereich.»
Interessant ist, dass die ökonomische Theorie eigentlich davon ausgeht, Handel an sich sei gut, weil er Spezialisierungsgewinne generiert – jeder Anbieter stellt nur diejenigen Waren her, die er möglichst günstig produzieren kann. Was jedoch vernachlässigt wurde, ist die Verteilung der Gewinne und Verluste, die durch den Handel entstehen können: Die meisten Konsumenten profitieren von günstigeren Produkten, aber ein Teil der Arbeitnehmer verlieren ihre Stelle oder verdienen weniger. «Die ökonomischen Modelle gehen davon aus, dass Geld von den Gewinnern zu den Verlierern umverteilt werden kann», erklärt Dorn. Das geschieht in der Realität bis zu einem gewissen Grad. Doch die Transferleistungen des Staates etwa in der Form von Arbeitslosengeldern oder Sozialhilfe machen in den USA die Verluste für die Verlierer nicht wett. Dorn: «Was von der ökonomischen Theorie unterschätzt wurde, sind die Anpassungskosten im Arbeitsmarkt. Der von den chinesischen Importen ausgelöste Schock kam sehr schnell. Der Arbeitsmarkt war deshalb nicht in der Lage, die Arbeitslosen zu absorbieren.»
Die amerikanische Volkswirtschaft verliert auch als Ganzes, zumindest im Moment, weil viel weniger Güter nach China exportiert als von dort importiert werden. Dorn geht davon aus, dass die Importe aus China weiter wachsen und der Konkurrenzdruck damit noch zunimmt. Vom Staat können die gebeutelten Branchen wenig Hilfe erwarten. Sie zu schützen, etwa durch höhere Zölle, ist heute mit den internationalen Zollabkommen kaum mehr möglich. Die betroffenen Arbeitnehmer müssen deshalb versuchen, in anderen Unternehmen unterzukommen. Über kurz oder lang werden sich die USWirtschaft und die Arbeitnehmer darauf einstellen, indem in anderen Branchen investiert und gearbeitet wird. Gut sei, so Dorn, dass dank der erfolgreichen Exportindustrie viele Menschen in China den Weg aus der Armut gefunden haben. Den Preis dafür bezahlen jene Arbeitnehmer in Amerika, die ihren Job verloren haben oder weniger verdienen.
Europas Industrie wird von der chinesischen Konkurrenz zum Teil ebenfalls arg gebeutelt, das gilt etwa für die Textilunternehmen in Italien und Spanien. Die Schweiz und Deutschland hingegen sind weniger betroffen und profitieren vom Zugang zum grossen chinesischen Markt, der für ihre gut aufgestellte Exportindustrie neue Absatzchancen bietet.
Der zweite Bereich, den David Dorn untersucht, sind die Auswirkungen neuer Technologien auf den Arbeitsmarkt. Hier streiten sich die Ökonomen darüber, ob die Technologisierung und Automatisierung die menschliche Arbeitskraft überflüssig machten. Die Folge wären fatal: Massenarbeitslosigkeit und soziale Unruhen.
Doch Dorn kommt bei seiner Analyse zu einem anderen Schluss. Die Technologie ersetzt zwar Jobs in gewissen Bereichen, doch sie schafft andernorts neue. In der Bilanz gleichen sich beide Effekte in etwa aus.
Der Arbeitsmarktspezialist erklärt das so: Es gibt Tätigkeiten, die durch Technologie ersetzt werden können, wie etwa Fertigungsarbeit am Fliessband oder gewisse Aufgaben von Sekretärinnen und Buchhaltern. Gleichzeitig werden jedoch neue Berufsfelder geschaffen, etwa für Softwareentwickler oder Programmierer. Zudem setzt die grössere Produktivität, die Maschinen ermöglichen, Mittel frei, die in den Konsum investiert werden können. «Ein Beispiel ist die Mechanisierung der Textilproduktion seit der industriellen Revolution», sagt Dorn, «die Textilindustrie wurde viel effizienter und dadurch wurden Kleider günstiger. Das erlaubte es den Menschen, mehr Geld für anderes auszugeben, etwa für Wohnkomfort oder Freizeitaktivitäten.»
Die Sache hat allerdings einen Haken: Die neuen Jobs, die entstehen, sind nicht im gleichen Lohnsegment angesiedelt wie die, die verlorengehen. Dorn beobachtet einen Graben, der sich auftut, weil auf der einen Seite viele Stellen geschaffen werden für gut Ausgebildete, die dank der neuen Technologien effizienter arbeiten können wie Ingenieure, Architekten, Werber oder Medienschaffende. «Das sind kreative Berufe, die durch Technologie nur schwer ersetzt werden können und gleichzeitig von ihr profitieren.»
Das Gleiche gilt für Arbeiten, die eine Kombination aus visueller Wahrnehmung, feinmotorischer Bewegung und einfacher verbaler Kommunikation erfordern. Beispiele dafür wären etwa Hauswarte, Reinigungspersonal oder das Servicepersonal in Restaurants. «Solche Arbeiten stellen Maschinen vor grosse Probleme, weil sie stets leicht variieren und eine Anpassung des Verhaltens erfordern», sagt Dorn. Diese Jobs gehen nicht verloren, doch sie sind nicht besonders gut bezahlt.
Unter Druck geraten vor allem Jobs im mittleren Lohnsegment, bei denen es klar definierte Aufgaben gibt, die auch von einem Computer geleistet werden können, etwa in der Buchhaltung. «Es trifft vor allem den Mittelstand», stellt Dorn fest. Mit dieser Entwicklung wird sich deshalb auch die Lohnungleichheit weiter verschärfen.
Dieses Polarisierungsmuster betreffe alle hoch entwickelten Industriestaaten, ist Dorn überzeugt – die USA, Westeuropa und reiche asiatische Länder. Im mittleren Einkommenssegment haben jene Berufe die besten Zukunftschancen, für die es kommunikative Kompetenz, Kreativität und Entscheidungsfähigkeit braucht. Dorn denkt etwa an Handwerker, die hochwertige Produkte nach individuellen Kundenwünschen anfertigen, oder persönliche Coaches wie Fitnesstrainer oder Einkaufsberater.
Dank der guten Berufsbildung seien in der Schweiz zudem viele handwerkliche Berufe so ausgestaltet, dass sie nur schwer durch Technologie zu ersetzen seien, betont Dorn. «Wer über Problemlösungskompetenzen verfügt, hat auch in Zukunft gute Chancen.» Deshalb sollten in der Ausbildung jene Fähigkeiten gefördert werden, die nicht durch einen Computer oder einen Roboter ersetzt werden können.