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Evaluation von Geistes- und Sozialwissenschaften

Ist Qualität messbar?

Die Vernissage zum Buch «Research Assessments in the Humanities» war Anlass für eine angeregte Diskussion über Mess- und Bewertungskriterien in den Humanities und Social Sciences. Fazit: Auch die Geisteswissenschaften erkennen zunehmend ihren Nutzen.
Stefan Stöcklin
Mitherausgeber Hans-Dieter Daniel erläutert die Entstehungsgeschichte des Buches über Assessments in den Geisteswissenschaften (Bild: sts)

Am Ende der Diskussion machte die illustre Runde klar: An Evaluationen kommen die Geistes- und Sozialwissenschaften nicht vorbei. Einerseits forderten Politik und Gesellschaft messbare Kriterien, an denen die Leistungen der Forscherinnen und Forscher bewertet werden können. Gleichzeitig hätten auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst ein Interesse daran, die Qualität ihrer Forschung nach aussen zu vermitteln.

Die grosse Frage laute allerdings, was und nach welchen Kriterien in den Humanities und Social Sciences gemessen werden soll, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen. Am besten sei wohl, so der Konsens im Podium, wenn die jeweiligen Fachdisziplinen je eigene Kriterien entwickelten.

Schweizweite Vertretung

Die Podiumsdiskussion über Messkriterien in den Geistes- und Sozialwissenschaften wurde von Gabriele Siegert, Prorektorin Sozial- und Geisteswissenschaften der UZH, moderiert. An der vom Kompetenzzentrum CHESS organisierten Veranstaltung nahmen letzte Woche der Sozialwissenschaftler Alexander Hasgall (Universität Genf), Marlene Iseli (Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften), der Sprachwissenschaftler Andreas Jucker (Dekan der Philosophischen Fakultät UZH), der Sozialpsychologe Michael Ochsner (FORS, Universität Lausanne) und Sabine Schneider (Literaturwissenschaftlerin UZH) teil.

Intensiver Austausch (vl): Michael Ochsner, Andreas Jucker, Sabine Schneider, Marlene Iseli und Alexander Hasgall (Bild:sts)

Anlass für die Diskussion über Forschungsevaluationen in den Geistes- und Sozialwissenschaften war die Publikation des Buches «Research Assessment in the Humanities. Towards Criteria and Procedures», herausgegeben von Michael Ochsner , Sven Hug und Hans-Dieter Daniel. Daniel leitet die Evaluationsstelle der UZH und ist Professor für Sozialpsychologie und Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich.

An der Vernissage erläuterte er die Entstehungsgeschichte des Buches, das bei Springer Open im Frühling 2016 herausgekommen ist und auf dem Internet frei zugänglich ist. Hintergrund ist das von der CRUS (Vorgängerorganisation von swissuniversities) lancierte Projekt «B 05 Mesurer les performances de la recherche», mit dem die Universitäten Instrument erarbeiten sollten, um ihre Forschungsleistung zu messen und international zu vergleichen. Im weiteren förderte die CRUS Projekte, um alternative Instrumente von Forschungsleistungen zu entwickeln. Das Buch geht einerseits auf die CRUS-Projekte ein und beschreibt anderseits die Erfahrungen aus verschiedenen Ländern Europas mit qualitativen und quantitativen Messmethoden.

Vielfalt in der Evaluation nötig

Die Skepsis gegenüber quantitativen Messkriterien ist im Buch greifbar und wurde auch an der CHESS-Veranstaltung thematisiert. Anders als in den Naturwissenschaften funktionierten reine bibliometrische Analysen in den Geisteswisseschaften aufgrund der Forschungsthemen und Publikationskanäle schlecht, so die vorherrschende Meinung. Gleichzeitig befänden sich die Geistes- und Sozialwissenschaften in einem institutionellen und forschungspolitischen Umfeld, in dem auf Messkriterien und Bewertungen nicht verzichtet werden könne.

Entsprechend müssten die Fachdisziplinen eigene, ihren Disziplinen angepasste Wege finden, um die relevanten Kriterien herauszufiltern. «Es braucht eine Vielfalt in der Evaluation», so Alexander Hasgall. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass Qualität in den Geistes- und Sozialwissenschaften ein «mehrdimensionales Konstrukt» sei, das entsprechende Beurteilungskriterien verlange. Was das im Einzelnen heissen kann, ist im Buch nachlesbar.

Andreas Jucker berichtete über seine Erfahrungen in einem grossangelegten Peer-Review Projekt über Forschungsarbeiten an englischen Abteilungen deutschsprachiger Universitäten. Sein Fazit: Eine konsistente Bewertung der Qualität sei machbar, aber «sehr aufwendig».

Moderatorin Gabriele Siegert sieht Chancen und Risiken von Evaluationen. (Bild:sts)

Trotz kritischen Voten gegenüber quantitativen Messkriterien, die übrigens auch der Schweizerische Wissenschafts- und Innovationsrat kürzlich formuliert hat, spürte man an der CHESS-Veranstaltung eine gewisse Entspannung. Dies hat wohl damit zu tun, dass in den Naturwissenschaften selbst gegenwärtig eine kontroverse Diskussion über die Nützlichkeit von bibliometrischen Messungen der Forschungsleistung in Gange sei, wie Marlene Iseli sagte. Aber auch damit, dass die Geisteswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen den Nutzen von Evaluationen zunehmend erkennen. So braucht es objektivierbare Aussagen zur eigenen Forschungsleistung, um beispielsweise in internationale Forschungsprojekte oder Organisationen reinzukommen.

Visibilität in der Öffentlichkeit

Hans-Dieter Daniel erläuterte dies am Beispiel der LERU, dem Netzwerk forschungsintensiver europäischer Universitäten, in das die UZH dank überzeugenden bibliometrischen Daten aufgenommen wurde. Evaluationen könnten den Geistes-und Sozialwissenschaften helfen, in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen zu werden und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Die Herausforderung sei, diese Evaluationen sinnvoll zu nutzen, sagte Alexander Hasgall. Und zu verhindern, dass quantitative Kriterien die Qualitätsdiskussion dominierten, so Gabriele Siegert.