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Die Schweiz hat viel Erfahrung mit Migration und eine humanitäre Tradition. Das Asylwesen wird aber vom Arbeitsmarkt rechtlich strikte getrennt. Damit vergebe die Schweiz eine Chance, sagt die Wirtschaftsethikerin Marianthe Stavridou: «Menschen werden zwar als Flüchtlinge anerkannt, aber nicht als gleichberechtigte Arbeitskräfte.»
Die Konsequenz davon ist, dass sich Ärzte aus dem Nahen Osten, Anwälte aus Asien oder afrikanische Ökonomen als Taxifahrer, Reinigungskraft, Küchenhilfe und in der Pflege verdingen. Viele sind dabei auch erfolgreich. Aber „Wirtschaftsflüchtlinge“ sind unerwünscht, die unternehmerische Motivation zählt für die Staatsräson nichts. Entsprechend wird politischen Flüchtlingen der Eintritt ins Wirtschaftsleben erschwert, stellt Stavridou fest: «Zeugnisse und Diplome von Asylsuchenden und Flüchtlingen sind in der Regel nichts wert. Vergangenheit und Curricula werden gelöscht.»
Die Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen liesse sich verbessern, indem man ihnen die Grundrechte gewährt: «Man müsste diesen Leuten erlauben, auch wirtschaftlich aktiv zu sein», sagt die Wirtschaftsethikerin. Gleich lautet die Empfehlung des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge UNHCR. Der erste Schritt zur Integration über den Arbeitsmarkt wäre die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen: «Wenn wir eine offene Gesellschaft haben wollen, müssen wir gleiche Rechte gewähren.» Eine liberale Haltung würde sich auch volkswirtschaftlich rechnen, sagt Stavridou. Langfristig seien die Kosten für den Staat zu hoch, wenn er die Asylsuchenden vom Arbeitsmarkt ausschliesse: «Wir verlieren damit unglaublich viele Ressourcen.»
Die Wirtschaftsethikerin bringt das Soziale und das Unternehmerische zusammen. Stavridou forscht am Zürcher Zentrum für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit CCRS. Sie wuchs in Griechenland auf und kam als Jugendliche zum Studium in die Schweiz. Als Doppelbürgerin erlebte sie weder in der Schweiz noch in der EU rechtliche Nachteile, im Gegensatz zu vielen Migranten. Später war Stavridou als Verantwortliche für «Corporate Social Responsibility» für eine Private-Equity-Firma in der EU tätig. Sie entwickelte dort ein Geschäftsmodell für kleine Firmen, um Flüchtlinge und benachteiligte Menschen in die Arbeitswelt zu integrieren. Das Projekt wurde mit dem Innovationspreis der Europäischen Kommission ausgezeichnet. Heute ist daraus ein rentables Spin-Off geworden.
Stavridou ist stolz auf die Win-Win-Bilanz: «Die Firma wird heute von jenen Flüchtlingen geführt, die damals keinerlei Rechte hatten». Stavridou gehört auch zu den Gründerinnen der Tauschplattform «tradenow.gr». Das elektronische Tool ist eine Handelsbörse für Waren, Dienstleistungen und Immobilien. Der Clou bei «tradenow.gr»: Die Preisunterschiede im Tausch werden mit einer alternativen Währung ausglichen.
Durch Zufall traf Stavridou die Juristin Sumon Vangchuay. Die Amerikanerin mit thailändischen Wurzeln lebt in Zürich, hat aber in Genf in Internationalem Recht promoviert und interessierte sich für die gleichen Fragen. Wie können wir Flüchtlinge über die Selbständigkeit und das Unternehmertum integrieren? Und wie kann diese Integration im Interesse der Gemeinschaft, der Innovation und der Wirtschaft sein? Vangchuay brachte die juristische Perspektive ein. Die Juristin und die Wirtschaftsethikerin möchten aus ihrer gemeinsamen Arbeit nun ein Buch machen. Die beiden Forscherinnen sind sich einig, dass das Unternehmerrecht und Mikro-Unternehmertum der Schlüssel zur erfolgreichen Integration ist.
Stavridou ist überzeugt, dass sich die Schweiz mit einer progressiven Politik als Erfinderland profilieren könnte: «Es ist Zeit, dass sich die Wirtschaft mit der Gesellschaft verbindet.» Erfindergeist ist in der Schweiz verbreitet und die Startup-Nation ist auch ein guter Boden für Unternehmertum. Doch dieser rote Teppich wird keinem Flüchtling ausgerollt, stattdessen werden Ankommende mit Bürokratie und Verboten empfangen. Stavridou hält diese Reflexe für schädlich für die Wirtschaft, auch wenn sie sie nachvollziehen kann: «Ich frage mich, ob wir wirklich diese Menschen integrieren möchten, indem sie das Recht sofort bekommen, aktiv und produktiv in unserem Land zu sein. Was würde passieren, wenn sie parallel zur ersten Hilfe, Zugang und Mittel für Weiterbildungen und für Unternehmertum bekommen?»
Für die Ausstellung «Transactions», in deren Rahmen das Forschungsprojekt von Stavridou zu sehen ist, ergab sich eine weitere spannende Kooperation. Die Theater-Szenografin Regula Zuber liess sich von den beiden Forscherinnen inspirieren. Zuber entwarf drei schwarze Kuben, deren Inhalt unsichtbar ist. Diese «Blackboxes» sollen die Besucher anregen, sich zu fragen, was da ihrem Blick entzogen wird. Wenn das Publikum neugierig genug ist, lässt das Objekt auch zu, dass die Besucher am Lack der Kuben kratzen. So dürfte im Lauf der Ausstellung etwas mehr Transparenz hergestellt werden – wenn die Besucher die Chance der Freiheit packen, die ihnen die Installation bietet.