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Gastroenterologie

Wie Darmbakterien vor Krankheiten schützen

Im Verdauungstrakt des Menschen leben Billionen von Bakterien. Gerhard Rogler, Gastroenterologe und UZH-Professor, erklärte in seinem Vortrag in der Reihe «Wissen-Schaf(f)t Wissen», weshalb eine möglichst grosse Vielfalt an Darmbakterien der Gesundheit zuträglich ist.
Helen Becker
Gerhard Rogler
«Die Vielfalt der Darmflora ist gross, ihre Zusammensetzung von Mensch zu Mensch sehr verschieden»: UZH-Professor Gerhard Rogler, Gastroenterologe am Universitätsspital Zürich.

Die Bakterien sind Teil der sogenannten Mikrobiota, der Gesamtheit aller Bakterien, Pilze und Viren, die in oder auf dem menschlichen Körper leben. Allein im Darm befinden sich zehn Mal mehr Bakterien als der Mensch Körperzellen hat. Von dieser Gemeinschaft von Mikroorganismen profitieren wir, da die Bakterien zum Beispiel im Darm Vitamine produzieren. Bakterien helfen auch bei der Spaltung der Nahrung und bilden eine Schicht auf der Schleimhaut, die vor pathogenen Keimen schützt. Auf bisher ungeahnte Weise werden wir auch von den Bakterien beeinflusst. So geht die Forschung der Neuromikrobiotik beispielsweise der Frage nach, wie und warum die Zusammensetzung der Darmbakterien mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Autismus und Alkoholismus in Zusammenhang steht.  

Während unserer Entwicklung werden wir von einer Vielzahl verschiedener Mikroorganismen besiedelt, deren Zusammensetzung von unseren Genen, unserem Alter und von der Umwelt beeinflusst wird und so individuell ist wie unser Fingerabdruck. Der Verlauf der Geburt und die erste Mahlzeit bestimmen, mit welchen Bakterien Neugeborene erstmals in Kontakt kommen.

Was unsere Bakterien aus dem Gleichgewicht bringt

Gastroenterologe Gerhard Rogler betonte an einer Veranstaltung zur Reihe «Wissen-Schaf(f)t Wissen», dass nahezu alle Medikamente einen Einfluss auf die Mikrobiota haben, allen voran Antibiotika. Nach der Gabe von Antibiotika reduziert sich die Anzahl und Diversität der Darmbakterien. Dies führt dazu, dass sich schädliche Keime überproportional vermehren könnten, sie greifen die Darmschleimhaut an und können so Entzündungen auslösen. Rogler nannte ein drastisches Beispiel: Die Infektion des Darms mit Clostridium difficile, einem Erreger, der schmerzhafte chronische Darmentzündungen und Durchfall auslösen kann.

In diesem Fall könne eine Stuhltransplantation helfen. Dabei wird der Stuhl eines gesunden Menschen – oftmals ein gesunder Verwandter des Patienten – dem Darm des Patienten mittels einer Dünndarm- oder Rektalsonde zugeführt. So können sich dort «gesunde» Bakterien wieder ansiedeln. Die Stuhltransplantation wird inzwischen auch als Allheilmittel für diverse Krankheiten angepriesen. Rogler warnte jedoch: «In vielen Krankheitsfällen sind die positiven Auswirkungen dieser Anwendungen nicht belegt und können unvorhersehbare Nebenwirkungen haben.»

Rauchstopp verändert die Bakterienpopulation

Nicht nur Antibiotika wie im Fall der Clostridien-Infektion, sondern auch die Umwelt und körpereigene Hormone können die Zusammensetzung der Bakterienpopulationen beeinflussen.

Ein interessantes Beispiel für die Interaktion von Umweltfaktoren und Darmbakterien ist die Rauch-Stop Studie, die Rogler und seine Kollegen am Universitätsspital durchgeführt haben. Der Effekt, dass Raucher an Gewicht zunehmen, wenn sie mit dem Rauchen aufhören, ist zwar bekannt, er ist jedoch nicht zwingend auf eine gesteigerte Kalorienzufuhr zurückzuführen, so Rogler. Er konnte feststellen, dass sich bei Probanden, die das Rauchen einstellten, die Bakterienzusammensetzung im Darm zugunsten des Firmicutes-Stammes veränderte. Dieser gehört zu den im Darm am häufigsten vertretenen Stämmen und macht ungefähr die Hälfte unserer Darmbakterien aus.

Der Firmicutes-Stamm ist auch bei schwangeren Frauen und übergewichtigen Menschen überdurchschnittlich stark vertreten und führt anscheinend zu einer effektiveren Aufspaltung der Nahrung, was eine erhöhte Kalorienverfügbarkeit zur Folge hat. «Für eine erfolglose Gewichtsreduktion könne man also «seine» Firmicutes verantwortlich machen», scherzte Rogler.

Schädliche Darmspülungen

Von einer häufig propagierten Methode zur Gewichtsreduktion oder zur «Entgiftung»  riet Rogler ab. Gemeint sind sogenannte Detox-Kuren, die den Darm mittels Glaubersalzen «reinigen» und ihn danach mit einer mehrtägigen Saftkur entschlacken sollen. Gerade die Darmreinigung ist fatal, da die schützende Schleimschicht und die ansässigen Bakterien zerstört und die Darmschleimhaut potentiell schädlichen Bakterien ausgesetzt wird. Im schlimmsten Fall könnten sich die oben beschriebenen Clostridien einnisten und eine schwere Entzündung auslösen. Hinzu kommt, dass der Vorgang der Darmspülung  – mit 2 Litern Flüssigkeit über den Enddarm, die sogenannte «Colonhydrotherapie» – zu Perforationen des Darms führen kann.

 Mehr Dreck!

Auf der anderen Seite, sei der Versuch, die Zusammensetzung der Darmbakterien positiv zu beeinflussen, durchaus sinnvoll, sagte Rogler. Ziel sei die Besiedlung mit einer möglichst vielfältigen Bakterienpopulation, da diese am besten vor Allergien, Asthma oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen schütze. Da die Besiedlung vor allem in den ersten Lebensjahren stattfinde,  rät Rogler von übermässiger Hygiene ab.

Nicht zuletzt hat natürlich die Ernährung einen wichtigen Einfluss auf die Darm-Mikrobiota. Erstrebenswert ist eine fettarme, faserreiche beziehungsweise ballaststoffreiche Kost. Sie schafft ideale Bedingungen für diejenigen Bakterien, die kurzkettige Fettsäuren aus der Nahrung aufspalten können. Das kann wiederum das Risiko für Dickdarmkrebs senken und sogar beim Abnehmen helfen. Rogler wies jedoch darauf hin, dass alles seine Zeit brauche. «Bakterien sind konservativ, sie möchten in ihrer etablierten Gemeinschaft bleiben».  Sprich: Eine dauerhafte Änderung im Bakterienprofil könne nur durch eine mindestens 6-monatige Umstellung der Ernährung erreicht werden.

Gemäss Rogler gibt es kein Universalrezept für die ideale, gesunde Ernährung. Sollte man unter Verdauungsproblemen leiden, seien das Führen eines Ernährungstagebuchs und natürlich der Gang zur Ärztin oder zum Arzt ratsam. «Es gibt nicht DIE gesunde Ernährung für DIE gesunde Mikrobiota, sondern eine Ernährung, die jedem einzelnen mit seinen ganz individuellen Darmbakterien gut tut», sagte Rogler abschliessend.