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Gespannt blickt die Welt auf den Ausgang der Weltklimakonferenz in Paris. Wird sich die Weltgemeinschaft bis zum kommenden Freitag vertraglich auf eine Umstellung der Energieversorgung einigen? Oder kommt es wieder zu einem Flop wie 2009 in Kopenhagen? Nachhaltigkeitsexperte Kai Niebert knüpft durchaus Hoffnungen an den Gipfel: «Wenn es zu einer verbindlichen Einigung kommt, könnte von Paris das Signal für eine Trendumkehr im Umgang mit fossilen Energieträgern ausgehen. Wir sind derzeit auf gutem Wege, uns zumindest dem sogenannten Zwei-Grad-Limit anzunähern und Mechanismen zu schaffen, um Entwicklungsländer beim Umgang mit Klimaschäden zu unterstützen.»
Eine Trendumkehr in der Energiepolitik ist bitter nötig: Im Jahr 2015 wird es im Durschnitt um 1,02 wärmer gewesen sein als zu Beginn der systematischen Messungen Mitte des 19. Jahrhunderts. Erstmals überschreitet damit die globale Erwärmung die Ein-Grad-Marke. Die Maxime der Klimapolitik lautet, dass das Klima um nicht mehr als zwei Grad Celsius über das Niveau zu Beginn der Industrialisierung steigen darf. Doch wenn sich die Energieerzeugung so weiterentwickelt wie in den letzten Jahren, wird sich der Treibhauseffekt weiter verstärken. «Die Hälfte des CO2, das wir maximal ausstossen dürfen, um das Schlimmste zu verhindern, haben wir bereits in die Luft geblasen», so Niebert: «Wenn wir so weiter machen, haben wir bereits 2030 so viel CO2 emittiert, dass die Erwärmung 2 Grad übersteigen wird.»
Das Problem dabei ist nicht die Erwärmung des Klimas an sich, sondern die Folgen. Die Hitzewellen der vergangenen Jahre zeigen, dass der Klimawandel nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern, sondern auch im reichen Europa die Todesraten nach oben treibt. In den Alpen macht sich der Klimawandel zum Beispiel durch Erdrutsche bemerkbar. «Es geht in Paris vordergründig um Klimaschutz», sagt Niebert, «aber eigentlich geht es um Menschenschutz – um Sozialpolitik, Sicherheitspolitik und Wirtschaftspolitik.»
Trotz aller Vorbehalte ist Niebert zuversichtlich, dass der Pariser Klimagipfel zu wichtigen Ergebnissen führen wird. Wunder aber erwartet er nicht: «Rechnet man die Selbstverpflichtungen, die die Staaten zur Reduktion des Kohlendioxid-Ausstosses eingegangen sind, zusammen, kommt man auf eine Erwärmung zwischen 2,7 und 3,4 Grad Celsius. Das ist eindeutig zu viel, denn schon eine Erwärmung von 1,5 Grad gibt Teile der Entwicklungsländer verloren.»
Für Niebert heisst das: «Was auch immer am kommenden Freitag in Paris beschlossen wird – es wird nicht ausreichen, um die Klimaerwärmung zu stoppen.» Trotzdem ist die Konferenz wichtig: «Mit der Eindämmung des Ozonlochs durch die Verabschiedung des so genannten Montreal-Protokolls hat die Staatengemeinschaft Handlungsfähigkeit bewiesen. Auch dieses Protokoll kam erst spät zustande, aber es kam. Für kommende Generationen wünsche ich mir, dass wir diesen Kraftakt auch fürs Klima schaffen.»
Damit dies gelingt, müssten einige Länder vorangehen und zeigen, dass man Wohlstand produzieren kann, ohne dabei immer mehr Kohlendioxid auszustossen, sagt Niebert. «Die reichen Industrienationen inklusive China müssen schnellstmöglich wegkommen von Öl, Kohle und Gas. 2050 muss spätestens Schluss sein mit der Gewinnung von Strom, Wärme und Mobilität aus fossilen Energieträgern. Nur eine konsequente Dekarbonisierung dieser Länder kann die dringend nötige Trendwende im Kohlendioxid-Haushalt der Erde bringen. Spannend ist doch, dass sich im Moment mit genau dieser Dekarbonisierung auch Geld verdienen lässt.»
Kai Niebert sitzt seit kurzem an einem wirksamen Hebel, um in einem wichtigen Industrieland etwas in dieser Richtung zu bewegen: Ende November wurde er zum Präsidenten des Deutschen Naturschutzrings (DNR) gewählt, dem Dachverband von über hundert Organisationen im Bereich des Natur-, Tier- und Umweltschutzes, die zusammen rund 5,5 Millionen Mitglieder zählen. Niebert ist damit gewissermassen oberster Umweltschützer in Deutschland – zumindest nach der Umweltministerin. Vor zwei Wochen war er im Berliner Bundeskanzleramt, um Angela Merkel im Hinblick auf die deutsche Verhandlungsstrategie in Paris zu beraten.
Der Dialog zwischen Wissenschaft und Politik über Nachhaltigkeitsfragen habe sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert, sagt Niebert. «Vieles, was wir heute diskutieren, war schon in den Siebzigerjahren ein Thema; schon damals sprach man über die Grenzen der Belastbarkeit des Planeten. Der Unterschied ist, dass wir damals vorwiegend auf der Grundlage von Hypothesen – die heute nichts an Aktualität verloren haben – argumentierten. Heute können wir uns auf evidente und belastbare Erkenntnisse stützen. Wir können heute die Veränderungen auch weit über den Klimawandel hinaus beobachten und aufzeigen, wo wir Belastungsgrenzen bereits überschritten haben. Wir wollen die Politik einladen, ihre Entscheide auf diese Erkenntnisse zu stützen.»
Kai Niebert wurde vor rund einem Jahr an die UZH berufen – auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Didaktik der Naturwissenschaften und der Nachhaltigkeit. Seine Aufgabe ist es, die Lehrpersonenbildung in naturwissenschaftlichen Fächern weiter zu verbessern. Er arbeitet also an der Schnittstelle von Bildung und Wissenschaft. «Als Naturwissenschaftler will ich Zusammenhänge begreifen, und als Bildungswissenschaftler interessiert mich, wie man dieses Begriffene auch für andere begreifbar machen kann», sagt er.
Dass er sich auch politisch engagiert, hat mit seinem Rollenverständnis als Forscher zu tun. «Ich denke, dass wir als Wissenschaftler Verantwortung tragen. Wir sitzen nicht im Elfenbeinturm, sondern mitten in der Gesellschaft und müssen aufzuzeigen, welche ökologischen und sozialen Konsequenzen bestimmte politische Entscheidungen haben.» Die UZH, sagt Niebert, habe international eine Spitzenposition in der Nachhaltigkeitsforschung. Diese geballte Kompetenz gelte es für eine evidenzbasierte Politikberatung einzusetzen.
Bei aller Skepsis bezüglich der Umsetzbarkeit vertraglich vereinbarter Klimaziele denkt Niebert grundsätzlich optimistisch: «Es gibt viele Wege, wie wir nachhaltiger leben und wirtschaften könnten – die Möglichkeiten sind längst nicht ausgeschöpft», sagt er. Kreativität sei gefragt, nicht nur in technischer und organisatorischer Hinsicht, sondern auch im Umgang von gesellschaftlichen Leitvorstellungen. So sei es höchste Zeit, sich von der fixen Idee zu verabschieden, dass nur Wachstum gesellschaftliche Stabilität garantieren könne. «Die Idee unendlichen Wachstums entbehrt jeder naturwissenschaftlichen Grundlage. Wir müssen lernen», sagt Niebert, «was es heisst, in Gesellschaften zu leben, die sich irgendwann vom Wachstumszwang befreit haben – in Gesellschaften also, die erwachsen geworden sind.»