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Mikrobiologie

Vielversprechende Wirkstoffe gegen Tuberkulose

Der Mikrobiologe Peter Sander und sein Team sind neuen Wirkstoffen gegen die Tuberkulose auf der Spur. In einer Bibliothek von mehreren hunderttausend Substanzen haben die Forscher einige vielversprechende Stoffe identifiziert.
Stefan Stöcklin

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800'000 Reaktionen analysiert: Michael Dal Molin (li) und Peter Sander (Mitte) vom Institut für Medizinische Mikrobiologie, Patrick Sticher von Unitectra. (Foto: sts)

Wenn Peter Sander über Tuberkulose spricht, begreift man rasch, wieso die Forschung zu dieser Krankheit so dringend notwendig ist: Zwei Milliarden Menschen oder fast ein Drittel der Weltbevölkerung sind mit dem Erreger Mycobacterium tuberculosis infiziert, zehn Millionen erkranken jedes Jahr und 1,5 Millionen sterben daran. «Tuberkulose führt die weltweite Rangliste tödlicher Infektionskrankheiten an», sagt der Mikrobiologe.

Obwohl der Krankheitserreger bereits im vorletzten Jahrhundert von Robert Koch isoliert worden ist und eine Reihe von Antibiotika entwickelt worden sind, gelingt es nicht, die Krankheit entscheidend einzudämmen. «Ein Grund dafür sind Resistenzen gegen Antibiotika», sagt Sander. Sie machen viele Medikamente wirkungslos und führen zu langwierigen Behandlungen. Besonders problematisch ist die Situation bei multiresistenten Keimen. Hier helfen nur mehrmonatige Behandlungen mit intravenös verabreichten Antibiotika-Cocktails – wenn überhaupt.

Kooperation mit Roche

Der Mikrobiologe vom Institut für Medizinische Mikrobiologie musste also nicht lange überlegen, als sich 2012 die Möglichkeit eines Kooperationsprojektes mit der Basler Firma Roche ergab. «Die Zusammenarbeit basiert auf einer partnerschaftlichen Vereinbarung zwischen der Pharmafirma und den Universitäten Zürich, Basel und Bern», sagt Patrick Sticher von der Technologietransferstelle Unitectra. Roche unterstützt mit dem EIN-Programm (Extending the Innovation Network) innovative Forschungsansätze durch finanzielle Beiträge und Sachleistungen und erhält im Gegenzug Zugangsrechte zu den Ergebnissen.

Sander sah die Chance, im Rahmen dieser Kooperation Zugang zu den riesigen Substanzbanken der Firma zu bekommen, um nach neuen Antibiotika zu suchen. «Roche hat hunderttausende von Substanzen, wir haben am Institut das Know-how, ihre Wirksamkeit gegenüber dem Tuberkuloseerreger zu testen», sagt Sander. Also schrieb er einen Antrag – und überzeugte Roche und das EIN-Evaluationskomitee.

Suche nach den Nadeln im Heuhaufen

Nun liegen die ersten Früchte des dreijährigen Projektes vor: Aus der umfangreichen Substanz-Bibliothek von Roche hat das Team eine kleine Zahl von zukunftsträchtigen Stoffen identifiziert, die ein sehr grosses Potenzial als Antibiotika gegen Tuberkulose aufweisen. Die biologischen Tests dazu hat Peter Sander zusammen mit seinem Doktoranden Michael Dal Molin, Petra Selchow und weiteren Mitarbeitern durchgeführt, unterstützt von Chemikern und Informatikern bei Roche.

Nötig dazu war ein mehrstufiges Auswahl- oder Screening-Verfahren: In einem ersten Schritt testeten die Mikrobiologen die Wirksamkeit gegenüber einem abgeschwächten Modellorganismus, der viele Eigenschaften mit M. tuberculosis teilt, aber nicht infektiös und somit ungefährlich ist. Dieser Screen ergab tausende mögliche Wirkstoff-Kandidaten.

In einem nächsten Schritt testeten die Forscher die Wirkstärke und Spezifität. Bei diesem Screen fiel eine grosser Teil der Substanzen raus, und übrig blieben Verbindungen, die diese Anforderungen erfüllen konnten. Im nächsten Schritt untersuchte Sanders Team ihre Toxizität anhand von Zellkulturen – ein wichtiges Kriterium, weil sich der Tuberkulose-Erreger in den befallenen Körperzellen des Menschen versteckt. Gefragt als Antibiotika sind also Substanzen, die sehr selektiv sind und der Wirtszelle nichts anhaben können, obwohl sie ins Zellinnere dringen müssen.

Schliesslich erfolgte die Nagelprobe mit infektiösen Tuberkulose-Erregern, die den Substanzen ausgesetzt wurden. Das erfordert höchste Vorsicht und die Arbeit in einem Sicherheitslabor der Stufe 3. Am Ende dieser Auswahlverfahren blieb eine kleine Zahl von Stoffen übrig, die als mögliche Antibiotika-Wirkstoffe brauchbar sind. «Wir haben dafür drei Jahre gearbeitet und rund 800'000 Reaktionen analysiert», bilanzieren Sander und Dal Molin.

Weitere Schritte folgen

Aus Sicht von Unitectra ist das Projekt schon jetzt ein Erfolg. «Beide Partner konnten profitieren», sagt Patrick Sticher, «die UZH erhielt Zugang zu einer riesigen Substanz-Bibliothek, die Firma  erfährt das antimykobakterielle  Potenzial ihrer Verbindungen.» Nächster Schritt wird sein, die hoffnungsvollen Antibiotika-Kandidaten zu Medikamenten weiterzuentwickeln.  Peter Sander möchte die Arbeiten mit den vielversprechenden Substanzen auf jeden Fall weiterführen.

Das Screening und die Identifizierung von neuen Wirksubstanzen ist aber nur der erste Schritt eines langen Weges zu marktfähigen Antibiotika, für den weitere Partner gebraucht werden. Zusammen mit der Firma Roche werden verschiedene Optionen über mögliche Kooperationen diskutiert, wie zum Beispiel das Nationale Forschungsprogramm 72 über «Antimikrobielle Resistenz», für das momentan noch Projekte eingegeben werden können. Darüber hinaus sind weitere Optionen im Gespräch.

Wie es mit den Antibiotika-Kandidaten genau weitergehen wird, ist also noch offen. Sicher ist hingegen, dass es neue Wirkstoffe braucht, um die Tuberkulose zu besiegen. Die WHO hat sich ambitiöse Ziele gesetzt: Bis in zwanzig Jahren will sie die Zahl der Neuerkrankungen halbieren, bis 2050 die Tuberkulose gänzlich eliminieren.