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Herr Juma, Sie betrachten Investitionen in Wissenschaft und Technologie als integralen Bestandteil eines nachhaltigen Wandels in Entwicklungsländern. Haben Sie Beispiele dafür, dass dieser Ansatz funktioniert?
Calestous Juma: Ich begann meine Karriere in der Umweltbewegung und arbeitete mit der späteren kenianischen Nobelpreisträgerin Wangari Maathai (1940 – 2011) zusammen, die für ihr Baumpflanzprojekt gegen Erosion berühmt wurde. Wir identifizierten damals Bodenerosion und Abholzung als die grössten Umweltprobleme. Gleichzeitig erkannten wir, dass für eine erfolgreiche Aufforstung biologische und ökologische Kenntnisse über die Bäume und Böden nötig sind. Es braucht ein wissenschaftliches Verständnis der ökologischen Zusammenhänge.
Diese Einsicht war damals nicht verbreitet. Manche Umweltschützer argumentierten sogar gegen wissenschaftlichen Fortschritt und waren der Meinung, dass Wissenschaft und Technologie die Ursachen der Umweltprobleme seien. Um die Umwelt zu schützen, müsse man Wissenschaft und Technik stoppen, fanden sie. Wir konnten zeigen, dass wissenschaftliche Einsichten zu einem Erfolg des Aufforstungsprojektes führten. Ein anderes Beispiel betrifft die Energie. Um den Verbrauch von Brennholz – eine kostbare Ressource – zu verringern, muss man die Öfen technologisch verbessern und ihre Effizienz erhöhen. Dazu sind vertiefte physikalische Kenntnisse etwa der Thermodynamik nötig.
Dennoch, Sie können nicht bestreiten, dass manche technische Entwicklungen die Umwelt gefährden, zum Beispiel persistente Chemikalien.
Es gibt technische Entwicklungen, die tatsächlich der Umwelt Schaden zugefügt haben. Trotzdem sind zur Lösung der Probleme technische Fortschritte nötig, um schädliche Produkte zu substituieren. Denken Sie zum Beispiel an die Solarenergie, die in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht hat und uns vielleicht vom Erdöl unabhängig machen könnte. Die Fortschritte in der Photovoltaik kommen aus der elektronischen Grundlagenforschung. Ein anderes Beispiel betrifft die Pflanzenforschung, die zu effizienteren Nahrungspflanzen geführt hat, die weniger Anfällig für Schädlingsbefall sind und daher auch weniger Pestizide benötigen, um gesund zu bleiben.
Befürworten Sie biotechnisch hergestelltes Saatgut?
Ja, ich würde sogar sagen, dass die grüne Biotechnologie ein wichtiges Standbein einer nachhaltigen Landwirtschaft in Afrika sein sollte. Ich meine damit nicht zwangsläufig die gentechnische Modizifierung, das heisst die Übertragung von Genen einer Art auf eine andere Art. Die Techniken der Pflanzenbiotechnologie haben inzwischen grosse Fortschritte gemacht. Sie werden heute auch genutzt, um Pflanzen besser zu verstehen und zielgerichteter zu züchten – ohne dass dabei ein artenübergreifender Gentransfer notwendig ist.
Die grüne Gentechnik ist gerade in der Schweiz und Europa sehr umstritten. Ist das in Afrika anders?
Technologische Umbrüche provozieren immer Kritik. Nicht nur gentechnisch hergestelltes Saatgut, auch neue konventionelle Pflanzen generieren bei manchen afrikanischen Bauern Widerstand. Der Grund ist, dass neue Technologien die Art und Weise verändern, wie Güter produziert und konsumiert werden. Das schafft Verunsicherung, die Leute fragen sich, wer gewinnt und wer verliert.
Im Vergleich mit den USA oder Europa ist Afrika weniger gut in der Lage, eigene, zu Innovationen führende Forschung zu betreiben. Woran liegt es?
Der grösste Flaschenhals bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen in Produkte und Dienstleistungen ist die Struktur des universitären Betriebs. Im Unterschied zur Schweiz gibt es an afrikanischen Universitäten eine strikte Trennung zwischen Lehre und Forschung. Oftmals wird an Forschungsinstituten nur geforscht und an den Universitäten nur gelehrt. So werden die Studierenden nicht mit neuen Forschungsergebnissen konfrontiert und die Umsetzung dieser Ergebnisse bleibt auf der Strecke.
Ein wichtiger Lösungsvorschlag besteht darin, diese Kluft zu überbrücken und Forschung und Lehre zusammenzubringen, damit die Studierenden theoretisch und praktisch ausgebildet werden. Afrika braucht Forschungsuniversitäten, in denen bestehende Forschungsinstitute mit Lehrinstituten kombiniert werden. Ansätze zu einer solchen Entwicklung gibt es erst vereinzelt, zum Beispiel im Telekommunikations-Sektor.
Geldmangel ist nicht das Hauptproblem?
Nicht unbedingt, denn es handelt sich in erster Linie um ein strukturelles Problem. Wegen der Trennung von Forschung und Lehre werden die Ressourcen sehr ineffizient genutzt. Geld versickert in der Forschung, die ihre Ergebnisse nicht umsetzt. Und den Lehrinstitutionen fehlt das Geld für eigene Forschung.
Welche Rolle spielt der Brain Drain, der Wegzug der klugen Köpfe?
Der Brain Drain ist ein Ergebnis dieses strukturellen Problems. Talentierte junge Leute können in diesen Institutionen nicht wie gewünscht arbeiten und gehen nach Übersee. Aus meiner Sicht ist aber nicht der Wegzug das Hauptproblem, sondern die kleine Rückkehrrate. Akademiker haben keine Anreize, wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren, weil attraktive Forschungsmöglichkeiten fehlen. Gewisse Länder haben nun darauf reagiert: Nigeria hat ein Weltraumprogramm gestartet, Uganda ein landwirtschaftliches Forschungsprogramm an Universitäten aufgebaut. Dank solchen Initiativen kommen die Spezialisten wieder zurück.
Welche Rolle könnten europäische Universitäten wie die UZH spielen, um die Rolle von Forschung und Technik in Afrika zu stärken?
Ein wichtiger Beitrag betrifft die Vorbildfunktion. Die Universität Zürich zeigt mit der Kombination von Forschung und Lehre, was eine gute Universität ausmacht. Mit der Verbindung zum privaten Sektor zeigt sie zudem, wie Wissen in die Gesellschaft transferiert wird. Der zweite Beitrag betrifft den Austausch von Studierenden mit Afrika. Allerdings beobachten wir im Moment mit Sorge, dass viele Austauschstudierende nicht an Universitäten gehen, sondern zu privaten NGOs (Nicht gouvernementale Organisationen). Diese Organisationen betreiben teils mehr Forschung als die afrikanischen Universitäten.
Wie kam es dazu?
Es war in der Vergangenheit eine gängige Politik westlicher Geldgeber, nicht die Universitäten zu finanzieren, sondern NGOs. Vorherrschend war die Meinung, dass die Menschen in Afrika statt einer höheren universitären Ausbildung vor allem praktische Fertigkeiten bräuchten. Zudem gab es berechtigte Vorbehalte gegenüber den Universitäten, die im Zuge der Entkolonisierung vor allem darauf ausgerichtet waren, Leute für die Verwaltung auszubilden. Jetzt erst entsteht eine zweite Generation afrikanischer Universitäten, die mehr auf Forschung fokussiert und besser mit dem privaten Sektor verbunden ist.
Sie waren Generalsekretär der Biodiversitätskonvention, die 1992 in Rio verabschiedet wurde und den Artenverlust bremsen sollte. Leider ohne Erfolg, wenn man die aktuellen Zahlen anschaut. Wieso war man nicht erfolgreicher?
Ich war der erste permanente Generalsekretär der damals in Genf angesiedelten Organisation, die jetzt ihren Sitz in Montreal hat. Das erste Hauptziel war der Erhalt der Artenvielfalt und das zweite die nachhaltige Nutzung der biologischen Ressourcen. Leider geriet der Arterhalt aus dem Fokus, weil sich auf Druck der EU als wichtigster Geldgeber die Konvention immer mehr mit der Regulation und dem Handel von gentechnisch veränderten Nahrungspflanzen beschäftigen musste. Meine Haltung war, dass dies eigentlich die Aufgabe der WTO (Welthandelsorganisation) sein sollte. Die UNO hat deswegen mindestens eine Dekade in der Umsetzung des Biodiversitäts-schutzes verloren. Unterdessen hat sich die Ausrichtung der Konvention geändert.
Stärker als Biodiversitätskonvention steht die Klimakonvention im Rampenlicht. Es wird nicht zuletzt von der Reduktion der globalen Erwärmung abhängen, ob in Afrika eine nachhaltige Entwicklung gelingen kann oder nicht. Sind Sie optimistisch, dass es in Paris Ende Jahr möglich sein wird, den Klimavertrag zu erneuern?
Ich begann meine Karriere Anfang der 1990er Jahre im Energiesektor mit der Organisation einer Konferenz in Nairobi zum Thema, wie der Klimaherausforderung zu begegnen sei. Ich hatte schon damals eine andere Sichtweise und bin noch immer davon überzeugt: Eine globale Verpflichtung kann nur effektiv sein, wenn zuvor sektorielle Ziele vereinbart wurden. Es wäre einfacher, in definierten Bereichen wie der Kohle, dem Verkehr, den Gebäuden oder der Landwirtschaft zu Übereinkünften zu kommen. Später könnte man die Sektoren verbinden. Das habe ich damals empfohlen, aber die Klimaverhandlungen sind in eine andere Richtung gegangen.
Der Klimaverhandlungs-Prozess ist zu schwerfällig?
Globale Vereinbarungen funktionieren nur, wenn sie spezifische und enge Standards betreffen. Wenn man hunderte von Möglichkeiten mit allen Ländern verhandeln will, sind die Erfolgsschancen extrem klein. Die gute Nachricht ist, dass es heute mehr technische Möglichkeiten gibt, die Emissionen klimawirksamer Gase zu reduzieren, zum Beispiel durch Nutzung der Sonnenenergie.