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Autismus

In einer eigenen Welt

Ein Prozent aller Kinder in der Schweiz leiden an autistischen Störungen. Je früher die Störung erkannt wird, desto besser könne sie therapiert werden, sagen Fachleute. Mit neuesten Erkenntnissen zum Thema Autismus aus Forschung und Praxis befasst sich die diesjährige Tagung der Abteilung Entwicklungspädiatrie des Kinderspitals Zürich.
Marita Fuchs
Durch eine möglichst früh einsetzende, intensive Förderung von Kindern, die an einer Autismus-Spektrum-Störung leiden, lassen sich Erfolge erzielen. (Bild wikipedia)

Lukas spielt. Er spielt anderes als andere Kinder. Am Auto, das er in der Hand hält, interessiert ihn nur das Rad, er dreht es wieder und wieder. Lukas schaut der Therapeutin, die ihm gegenüber auf dem Boden sitzt, nicht in die Augen, Blickkontakt vermeidet er grundsätzlich. Er äussert sich in einer eigenen Lautsprache, die für andere nicht verständlich ist.

Lukas ist drei Jahre alt und seine besorgten Eltern haben ihn in die Abklärung an die entwicklungspädiatrische Abteilung des Kinderspitals Zürich gebracht. Sie sind auf Anraten des Kinderarztes gekommen, der sich nicht sicher war, ob Lukas Verhalten autistische Züge trägt. So wie Lukas gelangen viele Kinder in die Sprechstunde am Kinderspital oder in der Universitätsklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie. Beide Institutionen arbeiten zusammen, der Schwerpunkt liegt jedoch bei der Kinder- und Jugendpsychiatrie, wo der UZH-Lehrbeauftragte Ronnie Gundelfinger, die Autismus-Stelle leitet.

Doch was ist Autismus überhaupt? Die Experten sind sich einig, dass man anstatt von Autismus, besser von Autismus-Spektrum-Störungen sprechen sollte, weil jeder so genannte Autist anders ist. Viele unterschiedliche Symptome machen das je individuelle Krankheitsbild aus. Entsprechend individuell sollte auch die Therapie ausgerichtet sein.

Diagnose frühestens ab 18 Monaten möglich

«Autistische Störungen werden immer häufiger diagnostiziert», sagt Gundelfinger. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl stark gestiegen. Sicher auch deshalb, weil sich das Spektrum der Störungen, die als Ausprägung von Autismus verstanden werden, erweitert hat.

1911 verwendete der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler den Begriff Autismus erstmals im psychiatrischen Kontext. 1943 publizierte Kanner seine bahnbrechende Arbeit über den frühkindlichen Autismus. Im psychoanalytischen Denken wurde Autismus lange als Folge einer gestörten Mutter-Kind Beziehung verstanden. Seit etwa 1970 stehen biologische Erklärungsmodelle (Genetik, intrauterine Schädigungen) im Vordergrund.

Heute sprechen die Forschenden wie gesagt von einer Autismus-Spektrum-Störung, um die Vielfalt der Symptome zu verdeutlichen. Eine zuverlässige Diagnose ist zur Zeit frühestens ab 18 Monate möglich. Es wird aber intensiv nach früheren Erkennungsmerkmalen oder nach Biomarkern geforscht. Bis jetzt basiert die Diagnose auf einer umfassenden Anamnese der kindlichen Entwicklung und auf einer genauen Beobachtung des interaktiven und kommunikativen Verhaltens sowie der Spielinteressen des Kindes. Dabei kommen strukturierte Interviews und standardisierte Spielsituationen zur Anwendung.

Mittlerweile geht man davon aus, dass in der Schweiz 1 Prozent der Kinder Autisten sind. Auffallend ist, dass drei- bis sechsmal mehr Jungen als Mädchen betroffen sind. Noch ist nicht genau erforscht, woran das liegt.

Intensive Förderung

Doch gleich, ob Junge oder Mädchen, entscheidend sei, dass möglichst früh interveniert werde, meint Gundelfinger. Denn während andere Kinder durch Beobachten, Interagieren und Imitieren dauernd dazulernen würden, seien autistische Kinder von den vielen Reizen schnell überfordert und zögen sich zurück. «Diese Isolation und das repetitive Verhalten behindert dann ihre Entwicklung zusätzlich», sagt der Kinderpsychiater.

Das Vorgehen müsse sich nach dem betroffenen Kind und seinen jeweiligen Einschränkungen, aber auch nach seinen Stärken ausrichten. Am besten belegt ist die Wirksamkeit der angewandten Verhaltensanalyse (ABA), die in den USA entwickelt wurde. Auf ABA beruht auch das Behandlungskonzept an der Universität Zürich. Für die Kinder bedeutet das eine intensive Förderung von etwa 30 Therapiestunden in der Woche, die zu Hause mit einem Therapeuten durchgeführt werden. Die erzielten Fortschritte seien bei allen Kindern deutlich. In einzelnen Fällen seien die autistischen Symptome nur noch in leichter Ausprägung vorhanden.

Die Hälfte der Therapiekosten übernimmt die IV

Um die hohe Stundenzahl finanzierbar zu machen, wird die Therapie in Zürich von Psychologiestudentinnen nach einer intensiven Einführung und unter ständiger Begleitung des Autismus Teams durchgeführt. Damit seien gute Erfahrungen gemacht worden, sagt Gundelfinger.  

Die Invalidenversicherung hat im Rahmen einer Pilotstudie mit fünf Zentren, die intensive Frühförderungen anbieten, einen Vertrag abgeschlossen. Dabei werden für Zürich zum Beispiel knapp 50 Prozent der Therapiekosten von der IV übernommen. Für den Rest müssen zur Zeit noch die Eltern selbst aufkommen. Das müsse sich auf Dauer ändern, meint Gundelfinger. Die an der Studie beteiligten Zentren evaluieren gemeinsam die Therapieerfolge.