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Medizinforscher möchten die individuellen Unterscheide von Patienten und die verschiedenen Ausprägungen einer Krankheit in Zukunft stärker berücksichtigen, um massgeschneiderte Therapien anbieten zu können. Als Kriterium dienten ihnen bisher vor allem genomische Unterschiede, das heisst Mutationen in der Erbsubstanz DNA. Sie, Herr Aebersold, gehen nun einen Schritt weiter und möchten die personalisierte Medizin auf Stufe der Proteine etablieren. Warum?
Ruedi Aebersold: Die molekularen Akteure, die in einem Körper oder einer Zelle eine Krankheit unmittelbar verursachen, sind zum weitaus grössten Teil Proteine. Schon seit langem messen Pathologen in Gewebeproben bestimmte Proteine, wenn sie Krankheiten diagnostizieren, zum Beispiel einen Krebstyp. Mit einer weitverbreiteten, klassischen Methode machen sie diese Proteine mit Antikörpern sichtbar. Damit lässt sich allerdings nur eine Handvoll Proteine aufs Mal bestimmen. Wir entwickelten in den letzten Jahren eine Proteomik-Methode, mit der wir in einer winzigen Gewebeprobe 2000 verschiedene Proteine gleichzeitig und genau bestimmen können.
Solche Methoden, mit denen das Protein-Muster bestimmt werden kann, sind aber viel aufwendiger als die bestehenden Genom-Analysen.
Erbgut-Mutationen kann man mittlerweile schnell und verhältnismässig günstig bestimmen, das stimmt. Die genetische Information wird jedoch in der Zelle weiterverarbeitet, und am Ende der biologischen Verarbeitungskette stehen die Proteine. Um eine Krankheit zu beschreiben, sind diese aussagekräftiger.
Mit der Bestimmung von Tausenden von Proteinen in Gewebeproben möchten wir den Bogen zu spannen von der Genomik zu den Krankheiten. Denn oft führen ganz unterschiedliche Mutationen am Erbgut zur selben Krankheit. Oder eine Krankheit ist so komplex, dass sehr viele genetische Puzzlesteine zusammenspielen, von denen wir gar noch nicht alle kennen.
Andererseits geben wir mit unserer Proteomik-Methode den Pathologen ein modernes Werkzeug in die Hand, mit dem sie krankes Gewebe weit präziser klassifizieren können als bisher. Wir haben die Proteomik so weiterentwickelt, dass wir in nur einem Tag sehr präzise und reproduzierbare Resultate liefern können.
Wie ist Ihnen dies gelungen?
Um in einer Probe die Proteine zu bestimmen, zerlegen wir die Proteine in Bruchstücke, sogenannte Peptide. Mithilfe der Massenspektrometrie können wir diese Peptide unterscheiden – anhand ihrer Masse und anhand ihrer Fähigkeit, Wasser abzustossen. Wir gehen davon aus, dass es 10 bis 100 Millionen unterschiedliche Peptide gibt, die aus den verschiedenen Proteinen im menschlichen Körper entstehen können. Das ist eine viel zu grosse Zahl, um sie in kurzer Zeit auszuwerten. Viele bisherige Proteomik-Methoden nutzten daher einen Trick: Nach dem «Prinzip Las Vegas» wählten sie zufällig etwa jedes tausendste Peptid aus und analysierten diese.
Diese Methode hat allerdings den grossen Nachteil, dass sie nicht reproduzierbar ist, weil nicht jedes Mal dieselben Peptide ausgewählt werden. Wir hingegen reduzieren die Datenmenge anders: Wir führen die Peptide anhand ihrer Masse und ihrer Fähigkeit, Wasser abzustossen in etwa 30‘000 Gruppen zusammen und analysieren diese innerhalb einer Stunde. In unserer Methode spielt der Zufall keine Rolle, unsere Technik ist daher sowohl reproduzierbar als auch schnell.
In den letzten zwei Jahren optimierten Sie die Methode und wendeten sie jüngst erstmals in Gewebeproben von Patienten an. Mit welchem Erfolg?
In unserer jüngsten Studie massen wir den biochemischen Zustand kleiner Biopsien, konkret von Nierenkrebs-Biopsien, die wir von an der Studie beteiligten Ärzten am Kantonsspital St. Gallen erhielten. Den Befund der Pathologen konnten wir sehr gut auf Protein-Ebene nachvollziehen. Mit unserer Technik erstellen wir digitale Protein-Fingerabdrücke der Proben. Ein weiterer Vorteil ist: Diese Fingerabdrücke können zu einem späteren Zeitpunkt erneut analysiert werden. Forscher können noch in vielen Jahren, wenn sie sich für die Funktion eines bestimmen Proteins interessieren, auf unsere Daten zurückgreifen.
Warum ist die Schnelligkeit der Methode wichtig?
Mithilfe der Proteomik können wir neue Erkenntnisse am besten dann gewinnen, wenn wir Daten einer grossen Zahl von Menschen – einer sogenannten Kohorte – statistisch auswerten. Wenn eine Methode schnell ist, hat sie die Kapazität, grosse Kohorten zu untersuchen.
Sie führen eine Forschungsgruppe von Systembiologen. Wie nahmen Ärzte an den Spitälern Ihre neue Methode auf?
Wir erhielten positive Rückmeldungen von klinischen Forschern. Und wir erwarten, dass Pathologen die Methode bald für klinische Entscheide verwenden werden. Bisher hatte die Proteomik unter Ärzten einen eher schlechten Ruf, weil sie vergleichsweise teuer und komplex ist. Auch litt die Proteomik unter dem erwähnten «Las-Vegas-Syndrom», der schlechten Reproduzierbarkeit. Diese haben wir nun korrigiert, und wir sind davon überzeugt, dass unsere Methode in der Klinik ein grosses Potenzial hat.
Unsere jüngste Forschungsarbeit haben wir daher absichtlich nicht in einer biologischen, sondern in einer medizinischen Fachzeitschrift zur Publikation eingereicht. Davon erhoffen wir uns, Ärzten und Medizinforschern die Vorteile unserer Technik noch stärker bekannt zu machen. Uns freut auch, dass unsere Methode nicht mehr ausschliesslich auf den Geräten funktioniert, die wir verwendeten. Andere Forschende haben die Methode bereits für weitere Geräte angepasst.
Wie werden Sie die Methode weiterentwickeln?
Wir sind daran, die Zahl der damit messbaren Proteine ständig zu erhöhen. Ausserdem möchten wir die Methode so weiterentwickeln, dass wir damit auch ältere Gewebeproben, die in Formaldehyd-Lösung konserviert sind, messen können. Wir könnten dann aufbewahrte Proben von Patienten analysieren, von denen der spätere Krankheitsverlauf und die gewählte Therapie bekannt sind. So können wir Zusammenhänge zwischen Proteinmuster und späterem Krankheitsverlauf erkennen.
Personalisierte Medizin ist derzeit in aller Munde – weltweit. In Grossbritannien und in den USA gibt es dazu neue nationale Forschungsprogramme. Wie steht es um die Forschung der personalisierten Medizin in der Schweiz?
Wir sind in der Schweiz sehr gut positioniert, um komplexe Krankheiten mit dem Systemansatz zu untersuchen – unter anderem dank der weitentwickelten systembiologischen Forschung hierzulande. Auch gibt es im Rahmen von «Hochschulmedizin Zürich» bereits ein Kompetenzzentrum Personalisierte Medizin.
Es braucht aber weitere Anreize, damit Ärzte in der Klinik, Forscher und Ingenieure besser zusammenarbeiten können. Ähnlich wie es Barack Obama jüngst für die USA ankündigte, wäre auch in der Schweiz ein nationales Forschungsprogramm für die personalisierte Medizin wünschenswert. Von Seiten der Wissenschaft gibt es einen breit abgestützten Vorschlag, ein solches in das nächste Legislaturprogramm ab 2017 aufzunehmen. Ende 2016 kommt ja auch das nationale Forschungsprogramm zur Systembiologie zu seinem planmässigen Ende. Ein «Personalized Health»-Programm könnte darauf aufbauen.