Navigation auf uzh.ch
Es war ein langer Weg, den die Forscherinnen und Forscher zurücklegen mussten. Genau gesagt beschäftigt sich Ernst Reichmann, wissenschaftlicher Leiter des Klinischen Forschungsschwerpunktes «Novel tissue engineered skin grafts for Zurich», seit 14 Jahren mit dem künstlichen Hautersatz für Kinder. Doch nun sind die Früchte ungezählter Arbeitsstunden in Griffweite: Am Universitäts-Kinderspital Zürich haben Martin Meuli, Direktor der Klinik für Kinderchirurgie, und Clemens Schiestl, Leiter des Zentrums für brandverletzte Kinder, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, mit ihren Teams die künstliche Haut vor kurzem bei Kindern nach Verbrennungen im Rahmen erster klinischer Studien angewendet.
Noch laufen die Untersuchungen mit den kleinen Patienten, aber Ernst Reichmann kennt die ersten Zwischenergebnisse und ist zuversichtlich: «Es sieht ziemlich gut aus», sagt der Zellbiologe. Weitergehende Forschungsarbeiten weisen darüber hinaus den Weg, wie sich die künstlichen Hauttransplantate für weitere Anwendungen modifizieren lassen.
Die Transplantate sind dringend nötig. Jedes Jahr verbrennen sich weltweit Millionen von Menschen schwer. Bei tiefen Verbrennungen dritten Grades wird die Haut derart schwer geschädigt, dass sie sich nicht mehr aus der eigenen Substanz regenerieren kann. Die Ärzte müssen dann Haut von anderen, nicht beeinträchtigten Körperstellen transplantieren, mit der Folge, dass sie dort fehlt.
Gerade bei Kindern stossen diese Verfahren schnell an Grenzen. Allfällig verfügbare Hautareale sind oft klein, die Gefahr unschöner Narben gross. Im Labor hergestellter Hautersatz kann diese Probleme massgeblich entschärfen und wäre ein Segen für Betroffene und Ärzte.
Allein – die Umsetzung ist alles anderes als einfach. Die menschliche Haut ist ein komplexes Organ verschiedener Zelltypen, durchwachsen von Blut- und Lymphgefässen sowie von Nervenzellen und durchsetzt von Haarfollikeln und Schweissdrüsen. Als Leiter der Tissue Biology Research Unit arbeitet der Zellbiologe Reichmann mit seinem Team an der komplexen Aufgabe, dieses Organ nachzubauen. «Für die Rekonstitution verwenden wir ein Grundgerüst auf der Basis von Kollagen und kombinieren es mit verschiedenen Hautzellen, darunter auch adulte Stammzellen», sagt Ernst Reichmann.
Während die Herstellung des Grundgerüsts aus einem Kollagen-Hydrogel relativ einfach ist, erforderte der Einbau von Patientengewebe viel Entwicklungsarbeit. Nach Jahren der Forschung etablierten die Gewebsspezialisten dazu folgendes Verfahren: Sie entnehmen den Patienten in einer Biopsie Zellen der Oberhaut (Keratinozyten) und Unterhaut (Fibroblasten) und verpflanzen sie in und auf die Kollagenstruktur.
Im Brutschrank vermehrt sich das Gewebe zu einem mehrschichtigen Zellteppich und bildet den Hautersatz. «Da er aus körpereigenen Hautzellen gezüchtet wurde, wird er vom Immunsystem des Patienten nicht abgestossen», erläutert Reichmann. Der Hautersatz aus der Tissue Biology Research Unit ist ein Meilenstein und konnte letztes Jahr erstmals bei jungen Patienten nach Verbrennungen transplantiert werden.
Für Ernst Reichmann und die am klinischen Forschungsschwerpunkt beteiligten Forschenden ist der entwickelte Hautersatz bereits ein weltweit einzigartiges und vielversprechendes Transplantat. Noch ist diese Ersatzhaut im Vergleich zu natürlicher Haut aber relativ einfach aufgebaut. Ihr fehlen Gefässzellen (Endothelzellen) und Pigmentzellen (Melanozyten) sowie Nervenzellen.
Zur Zeit arbeitet Reichmann mit
seinem Team daran, auch diese Zelltypen
einwachsen zu lassen, um natürliche
Haut möglichst naturgetreu nachzubilden.
Dabei erzielten die Forschenden letztes
Jahr spektakuläre Erfolge mit Blut- und
Lymphkapillaren, die sich in der Ersatzhaut bildeten. «Dies würde das Einwachsen
der Haut bei unseren Patienten noch beschleunigen», sagt Reichmann. Die Zellbiologen
arbeiten deshalb mit Hochdruck daran, auch diese Produkte bald in klinischen
Studien testen zu können.
Ein weiteres Forschungsfeld betrifft Pigmentzellen, damit sich der Hautersatz möglichst homogen in die umgebende Haut einfügen kann. Ein derartiges Präparat wäre auch zur Behandlung der Weissfleckenkrankheit (Vitiligo), von grossflächigen Muttermalen oder nach der Entfernung grosser Narben willkommen.
Die Entwicklung eines möglichst naturidentischen Hautersatzes ist aufwendig, weil gleichzeitig grundsätzliche biologische Fragen und ihre Umsetzung erforscht werden müssen. «Das translationale Projekt befindet sich an der Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und Klinik und muss höchste Qualitätskriterien erfüllen», stellt Ernst Reichmann fest.
Die Ansprüche sind auch deshalb so hoch, weil im Reagenzglas gezüchtetes Gewebe absolut sicher sein muss, bevor es Patienten transplantiert werden darf. Es braucht komplexe Untersuchungen, Tierstudien und Bewilligungen der Behörden. Erst danach kann die aufwendige Produktion in Reinräumen und eine Serie erster klinischer Versuchsphasen gestartet werden. Da es sich um Neuland handelt, sind alle Schritte aufwendig. Folge davon sind Entwicklungskosten, die sich auf hohe zweistellige Millionenbeträge summieren. «Was wir hier tun, können sich sonst nur grosse Pharmafirmen leisten», sagt Ernst Reichmann.
Entsprechend wichtig ist die Unterstützung durch das UZH-Programm der klinischen Forschungsschwerpunkte. Zusätzlich werden die Arbeiten von Stiftungen und Forschungsförderungsinstitutionen der Schweiz und der EU getragen.
Das Projekt
steht an einem entscheidenden Punkt: Wenn die Hautersatz-Transplantate in den
klinischen Studien ihre Erwartungen erfüllen, und danach
sieht es aus, dann
dürfte das Projekt in den kommenden Jahren massiv ausgeweitet werden und an
Bedeutung gewinnen. Aussenstehende Beobachter haben «Skin Grafts for Zurich»
bereits als einen Leuchtturm bezeichnet, der noch weit strahlen kann. Und von
dem alle profitieren werden – an erster Stelle die Patientinnen und Patienten.