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Das Bakterien Helicobacter pylori ist ein trickreicher Überlebenskünstler. Schon vor über 60 000 Jahren besiedelte das winzige Lebewesen in Heerscharen den menschlichen Magen. Eine unwirtliche Umgebung für einen Mikroorganismus, denn die Magensäure sorgt für lebensfeindliche Bedingungen. Doch der winzige Keim schafft es, die aggressive Säure in seinem nahen Umfeld zu neutralisieren, und lebt so unbehelligt und ganz ohne Konkurrenz von anderen Mikroben in unserem Inneren.
«Aufgrund seiner langen Ko-Evolution mit dem Menschen ist Helicobacter perfekt an unser Immunsystem angepasst und weiss es meisterhaft zu manipulieren», sagt UZH-Professorin Anne Müller. Die Mikrobiologin erforscht das Bakterium im menschlichen Magen schon seit vielen Jahren.
In dieser Zeit hat Anne Müller zwei ganz unterschiedliche Seiten von Helicobacter pylori kennengelernt – eine gute und eine schlechte. Denn einerseits wurde im Lauf der Forschung klar, dass das Bakterium in unserem Magen den Körper dabei unterstützt, Allergien zu verhindern. Andererseits zeigten Untersuchungen verschiedener Forschungsgruppen, dass es die Entstehung von Magenkrebs fördert.
Helicobacter ist weltweit verbreitet. Das Bakterium wird in der Regel von der Mutter auf das Neugeborene übertragen. Experimente, die Anne Müller mit Mäusen gemacht hat, legen nahe, dass der Zeitpunkt der Infektion darüber entscheidet, ob das Magenbakterium krank macht oder eben nicht. Je früher die Infektion stattfindet, desto unproblematischer ist sie.
Wandern die Bakterien erst nach dem Aufbau des Immunsystems in einen Magen ein, greifen die T-Zellen, die Gesundheitspolizisten in unserem Körper, die fremden Eindringlinge an. Helicobacter versteht es allerdings, diese Angriffe auszuschalten. Die erfolglosen Immunantworten der T-Zellen stören das biologische Gleichgewicht im Magen und führen auf die Dauer zu einer chronischen Entzündung der Magenschleimhaut, die wiederum zu Krebs führen kann.
Darüber, wie der Krebs im Magen genau entsteht, weiss die Wissenschaft bis heute erst relativ wenig. In ihrer Forschung versucht Mikrobiologin Anne Müller deshalb mehr über die Mechanismen, die dafür verantwortlich sind, und die Rolle, die Helicobacter dabei spielt, zu erfahren. Dieses Wissen ist die Grundlage für zielgerichtete Therapien gegen die Erkrankung.
Helicobacter pylori spielt auch bei Allergien eine wichtige Rolle. Allerdings zeigt das Bakterium hier sein gutes Gesicht. Es schützt Kinder davor, Asthma und andere allergische Reaktionen zu entwickeln. Wie die Forschung zeigt, ist eine frühe Infektion mit Helicobacter in zweifacher Hinsicht vorteilhaft: Sie vermittelt einen Schutz vor Allergien, ohne das Krebsrisiko zu erhöhen.
In ihrem Labor entwickelt Anne Müller momentan einen Wirkstoff, der sich aus Helicobacter-Bestandteilen zusammensetzt. Ziel ist es, das Immunsystem damit zu desensibilisieren und so allergische Reaktionen zu verhindern. Für Kleinkinder mit einem hohen Allergierisiko könnte dies eine vielversprechende Therapie oder Prophylaxe sein, um künftige gesundheitliche Probleme zu vermeiden. Erste Befunde deuten darauf hin, dass die Strategie tatsächlich funktioniert. Bis der Wirkstoff, wenn überhaupt, in der Praxis angewendet werden kann, werden allerdings noch Jahre vergehen.