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Mit Verdacht auf Herzinfarkt wird eine 68-jährige Dame von ihrem Hausarzt mit der Ambulanz ins Universitätsspital Zürich überwiesen. Die Patientin leidet an starken Brustschmerzen und Atemnot. Das EKG und die Laboruntersuchungen zeigen Veränderungen, die auf einen Infarkt hindeuten.
Bei der anschliessend durchgeführten Herzkatheter-Untersuchung, bei der über ein Gefäss in der Leiste der Katheter bis ins Herz vorgeschoben wird, zeigt sich aber, dass alle Kranzgefässe offen sind. «Somit kann ein Herzinfarkt ausgeschlossen werden, denn sonst wären die Gefässe an mindestens einer Stelle verschlossen oder stark verengt», sagt Thomas Lüscher, Professor für Kardiologie und Kardiovaskuläre Physiologie am Universitätsspital Zürich und Klinikdirektor.
Doch die Herzkatheter-Untersuchung zeigt trotzdem etwas Auffälliges: Die Spitze der linken Herzkammer ist ballonartig erweitert und nach oben verengt; das Herz pumpt nicht mehr richtig. «Die Patientin zeigt das typische Bild einer so genannten Takotsubo-Kardiomyopathie», sagt Thomas Lüscher. Takotsubo ist ein runder Tonkrug mit engem Hals, der in Japan zum Fangen von Tintenfischen benutzt wird.
Japanische Wissenschaftler haben dieses Phänomen erstmals 1990 beschrieben und aufgrund der ähnlichen Form nach der Oktopusfalle benannt. Eine plausible Erklärung für die Erkrankung gab es nicht. Bald zeigte sich, dass die Takotsubo-Kardiomyopathie weltweit vorkommt, allerdings ist sie viel weniger häufig als der akute Herzinfarkt. Eine korrekte Diagnose der beiden Krankheitsbilder ist bis heute nur mittels Herzkatheter-Untersuchung möglich.
Bisher existieren in der Literatur nur einzelne Fallberichte oder kleinere Studien mit kaum mehr als hundert Patienten. Um das Wesen der Takotsubo-Kardiomyopathie weiter zu enträtseln, wird seit 2011 am Universitätsspital Zürich ein internationales Register über diese Krankheit erstellt. Die Arbeitsgruppe wird von Christian Templin geleitet, Privatdozent und Oberarzt in Lüschers Klinik. Dieses Register stellt die weltweit grösste Datenbank von Patientinnen mit dieser Erkrankung dar.
Interessanterweise tritt diese Erkrankung zu 90 Prozent bei Frauen nach der Menopause auf. Meist sind die Betroffenen zwischen 60 und 75 Jahre alt und haben kurz vorher eine ausserordentliche emotionale Belastung erlebt. Das kann zum Beispiel der Tod einer nahestehenden Person sein, ein Streit oder ein Überfall. Deshalb sind als Synonyme für die Erkrankung auch die Begriffe Stress-Kardiomyopathie oder «Broken Heart»-Syndrom, also Syndrom des gebrochenen Herzens, gebräuchlich.
In den ersten Stunden sind das Broken-Heart-Syndrom und ein Herzinfarkt gleich gefährlich, es kann zu lebensbedrohenden Komplikationen kommen. Der Unterschied zeigt sich aber nach der akuten Phase. Beim Broken-Heart-Syndrom erholt sich das Herz – anders als beim Herzinfarkt – meist innerhalb weniger Tage oder Wochen wieder vollständig. Heute geht man davon aus, dass etwa 2 Prozent aller Patientinnen, die mit einem Herzinfarkt-Verdacht ins Spital kommen, an der Takotsubo-Kardiomyopathie leiden. «Wahrscheinlich wird die Erkrankung eher noch unterdiagnostiziert», sind sich Thomas Lüscher und Christian Templin einig.
Doch wie kommt es zu dieser Schockstarre des Herzmuskels, wenn doch die Gefässe offen sind? Da vor allem Frauen nach der Menopause betroffen sind, liegt der Gedanke nahe, dass der Rückgang weiblicher Geschlechtshormone eine Rolle spielen könnte. Doch wie, weiss man nicht. Zudem spricht etwas gegen diese These: Wenn es wirklich die weiblichen Geschlechtshormone wären, die eine Takotsubo-Kardiomyopathie verhindern, weshalb sind dann kaum Männer davon betroffen?
Sicher ist hingegen, dass der Körper als Reaktion auf Stress bestimmte Hormone im Übermass ausschüttet, zum Beispiel sogenannte Katecholamine, zu denen auch das Adrenalin gehört, oder Endotheline, die eine stark gefässverengende Wirkung haben, und das über mehrere Stunden. «Solche Substanzen können die Herzmuskelzellen anfälliger Menschen schädigen und den Blutfluss in den kleinsten Gefässen, den Kapillaren, stören. Dadurch könnte es zu dieser ausgeprägten Wandbewegungsstörung des Herzens kommen und dieses vorübergehend ausser Gefecht setzen», sagt Thomas Lüscher. Doch dies ist noch nicht bewiesen. Die feinen Gefässe lassen sich nämlich auch bei der Herzkatheter- Untersuchung nicht darstellen.
Emotionen und wie das Gehirn sie verarbeitet, scheinen einen wichtigen Einfluss auf das Herz zu haben. Thomas Lüscher und Christian Templin sind inzwischen der Meinung, dass das Takotsubo-Syndrom eine neurologische Erkrankung ist. Deshalb haben sie vor rund einem Jahr die Zusammenarbeit mit Lutz Jäncke gesucht, Professor für Neuropsychologie an der Universität Zürich.
«Wir konnten mit MRI-Untersuchungen zeigen, dass die Takotsubo-Patientinnen massive anatomische Auffälligkeiten in Hirnregionen aufweisen, die mit der Emotionskontrolle zu tun haben», sagt Lutz Jäncke und fügt hinzu, «bei diesen Patientinnen haben diese Regionen nicht nur ein deutlich geringeres Volumen, sondern auch eine kleinere Oberfläche.» Dadurch kommt es zu einer ineffizienten Verarbeitung der Meldungen aus der Peripherie und zu einer gestörten Weiterleitung der Stressimpulse auf das Herz.
Mittlerweile kennt man ähnliche Auffälligkeiten bei Patientinnen mit Depressionen und Angststörungen. Ob sich solche Veränderungen in den Hirnstrukturen jemals therapieren lassen, ist bis heute unklar. «Vor 20 Jahren hätte man klar nein gesagt, doch im letzten Jahrzehnt hat sich gezeigt, dass sich Veränderungen in den Hirnstrukturen mit Training – etwa durch Meditation – erzielen lassen», sagt Lutz Jäncke.