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Der Föhnsturm im November letzten Jahres hat der Feldsaison von Philipp Schneider ein etwas ruppiges Ende bereitet. Der Abstieg vom Untersuchungsgebiet am Tiefengletscher war anstrengend, der Materialtransport langwierig. So kam der Hydrologe erst spät in der Nacht wieder in Zürich an. Doch solche Strapazen nimmt Philipp Schneider gerne in Kauf, da er mit seinem wissenschaftlichen Projekt seine Leidenschaften für die Wissenschaft, das Wasser und die Berge verbinden kann.
Philipp Schneider, Post-Doc am Geografischen Institut der UZH, untersucht in seinem vom Forschungskredit der Universität Zürich geförderten Projekt das alpine Grundwasser, das oberhalb der Waldgrenze in über 2000 m Höhe in Lockergesteinssedimenten wie Hangschutt, Bachgeröll oder Gletschergeschiebe zu finden ist. Über dessen Wasserqualität und saisonale Speicherdynamik ist bisher wenig bekannt, obwohl die Flächen oberhalb der Waldgrenze 23 Prozent der Fläche der Schweiz ausmachen. Bisher wird in der Schweiz das alpine Grundwasser kaum genutzt und stand deshalb auch nicht im Fokus der Forschung.
Philipp Schneiders Arbeitsgebiet ist der Tiefenbach und der Tiefengletscher im Kanton Uri. Als Forschungsgebiet eignet er sich vor allem deshalb, weil er sicher zu erreichen ist. Die Arbeit im Feld ist beschwerlich, alle Geräte und das Forschungsmaterial müssen auf dem Rücken im Sommer hochgetragen und am Ende der Saison wieder ins Tal geschafft werden. Um die Sicherheit der Forschenden und Studierenden, die am Gletscher arbeiten, zu gewährleisten, muss der Standort nicht nur sicher zugänglich sein, sondern auch einen guten Handyempfang haben. «Das ist auch für die Datenübertragung notwendig», sagt Schneider.
Doch warum ist die Überwachung des alpinen Grundwassers gerade zum jetzigen Zeitpunkt wichtig? Kann man nicht davon ausgehen, dass das Grundwasser über 2000 m Höhe rein ist, da dort oben nur geringe menschliche Einflüsse wirken?
Dass dem nicht so ist, haben Forschende der UZH in einer Pilotstudie am Tiefengletscher im Sommer 2012 herausgefunden. Sie entdeckten überraschend hohe Temperaturwerte und starke Schwankungen der elektrischen Leitfähigkeit des alpinen Grundwassers. «Die elektrische Leitfähigkeit ist ein Indikator für die Menge der im Wasser gelösten Stoffe», erklärt Philipp Schneider, der diese Ergebnisse zum Anlass nahm, zusammen mit seinem Team genauere hydrochemische Daten über die Lockergesteinsgrundwasserkörper im alpinen Gelände zusammenzutragen.
Die Forschenden wollen jetzt über mehrere Jahre hinweg die Grundwasserkörper in Lockergesteinssedimenten im Bereich des Tiefengletschers qualitativ und quantitativ untersuchen, kartieren und mit geophysikalischen Methoden vermessen. Ein lokales Überwachungsprogramm des alpinen Grundwassers in Bezug auf die Parameter Temperatur, elektrische Leitfähigkeit, Wasserstand und Abfluss wird ganzjährig betrieben. In der schneefreien Periode werden zudem experimentelle Untersuchungen der Grundwasserkörper durchgeführt und gezielte Proben hinsichtlich Wasserqualität und Wasserherkunft entnommen. So könnten die Forschenden herausfinden, ob sich der Klimawandel auf die Wasserqualität auswirkt.
Darüber hinaus will die Arbeit von Philipp Schneider einen wichtigen Beitrag leisten zum Verständnis der Dynamik der Wasserspeicher und der Wasserqualität der Schweizer Alpen. Schliesslich sollen die erhobenen Daten helfen, die saisonale Dynamik der Grundwasserneubildung und des Speicherverhaltens des Grundwassers im alpinen Lockergestein besser in hydrologische Modelle zu integrieren.
«Die Schweiz wird infolge des humiden Klimas und der übers Jahr verteilten Niederschläge auch in Zukunft ausreichend Wasser haben», prognostiziert Philipp Schneider. Im Gegensatz dazu stammt in Zentralasien – zum Beispiel in den Einzugsgebieten des Aralsees mit den Hauptzuflüssen Syr Darya und Amu Darya – das vorhandene Wasser fast ausschliesslich aus der Schnee- und Eisschmelze im Hochgebirge. Das Abschmelzen der Gletscher und der Anstieg der Schneegrenze werde deshalb in diesen durch Trockenheit geprägten Gebieten drastischere Folgen haben als im Wasserturm Schweiz. «Ein nächster wichtiger Schritt in diesem Projekt ist deshalb, das gewonnene Wissen auf Regionen wie Zentralasien zu übertragen, wo das Überleben der Menschen vom Wasser aus dem Hochgebirge abhängt.»
Die Forschung von Philipp Schneider und seinem Team am Tiefengletscher hat neben diesem geopolitischen auch einen unmittelbar praktischen Nutzen, der sich aus der engen Zusammenarbeit mit dem Schweizer Alpen-Club (SAC) ergibt. Denn auch der SAC will wissen, wie sich die Gebirgslandschaft in den nächsten hundert Jahren verändern wird und ob neue Seen oder Grundwasserkörper am Rande der Gletscher entstehen. Wird das eine veränderte touristische Nutzung der Berge nach sich ziehen? Und welche Veränderungen treten im Hochgebirge auf, wenn der Permafrost in den Alpen durch die globale Erwärmung auftaut? Das interessiert die Sektion Uto des SAC als Eigentümerin der Albert Heim Hütte, da diese in den nächsten Jahren umgebaut werden soll.
Jetzt im Frühling macht Philipp Schneider sich wieder auf den beschwerlichen Weg zum Tiefengletscher, dessen Schönheit ihn immer wieder zu begeistern vermag.