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Vom Recht auf Vergessen

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshof erhitzt die Gemüter: Seit Mai 2014 können im Internet auf Anfrage von Betroffenen Links zu persönlichen Daten gelöscht werden. Was aber ist, wenn diese Links zu Informationen führen, die von öffentlichem Interesse sind? Ein Podium des Europa Instituts an der UZH diskutierte die aktuelle Situation in der Schweiz.
Ursula Schwarb

Vor 15 Jahren wurde ein Privatgebäude zwangsversteigert. Die Medien berichteten unter Nennung des vollen Namens über den Betroffenen. Jeder, der den Namen in eine Internetsuchmaschine eingab, konnte auf diesen Bericht stossen – auch dann noch, als der Mann schon längst wieder eine solide Stelle hatte, wieder bestens bei Kasse war und ein neues Hauses besass.

Im Mai 2014 erkämpfte der Betroffene vor dem Europäischen Gerichtshof ein Urteil, das heute als «Recht auf Vergessen» bekannt ist: Demgemäss sind Suchmaschinenbetreiber verpflichtet, Links zu beispielsweise nicht mehr aktuellen oder unangemessenen Angaben zu einer Person, die sich bei der Namenssuche in der Trefferliste zeigen, auf Antrag zu löschen.

Doch ist es in jeder Hinsicht richtig, wenn Verweise auf in der Regel wenig schmeichelhafte Informationen zu Personen aus dem Internet verschwinden? Was ist, wenn wir deswegen nicht mehr vom Fehlverhalten oder von Verbandelungen bestimmter Personen, etwa Politikern oder Ärzten, vernehmen? Und wie gut kann Google entscheiden, was in die Privatsphäre gehört oder was im öffentlichem Interesse ist und somit im Netz bleiben soll?

Recht auf erschwertes Finden

Gleich zu Beginn der Diskussion wurde präzisiert, dass es sich beim Recht auf Vergessen eigentlich nur um ein Recht auf erschwertes Finden handle. Denn gemäss Hanspeter Kellermüller (NZZ-Mediengruppe) werden bei einer Löschung nur die Links, nicht aber die Quelle selber, zum Beispiel ein Medienartikel, gelöscht. Mit etwas andern Suchbegriffen als dem Namen ist eine bestimmte Information im Internet also trotzdem auffindbar. Kellermüller zeigte einerseits Verständnis dafür, dass Menschen im digitalen Zeitalter zum Schutz ihrer Privatsphäre gewisse «one-click»-Verbindungen in die Vergangenheit gelöscht haben möchten. Gleichzeit plädierte er für Mass: «Die historische Wahrheit» solle trotz Leerstellen im Netz der Netze noch abgebildet werden können.

Bedrohte Meinungs- und Medienfreiheit

Grosse Bedenken bezüglich des Urteils des Europäischen Gerichtshof äusserte Andreas Glaser, Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht der UZH. Im Sinne der Meinungs- und Medienfreiheit und im Sinne des öffentlichen Interesses dürfe es auf keinen Fall sein, dass die Verbreitung und der Zugriff auf Informationen vorschnell eingeschränkt werde. «Laufen lassen» solle man den Informationsfluss, nicht stören. Keinesfalls dürfe zugelassen werden, dass das neue Gesetzt das öffentliche Interesse unterläuft und von einzelnen – zum Beispiel politischen – Kreisen instrumentalisiert wird. Falls sich Menschen durch Berichterstattung in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlten, könnten sie ja wie bisher jederzeit die Gerichte anrufen.

Schwierige Umsetzung

Aber wie viele Löschungsanträge erhält Google eigentlich und in welchem Masse wird gelöscht – etwa zu viel? Und ist Google, das bisher keine Inhalte produzierte, sondern «nur» den Zugriff sicherstellte, kompetent genug, die Löschungen verantwortungsvoll und im öffentlichen Interesse vorzunehmen?

Diese Attacken konterte Daniel Schönberger (Google Schweiz) routiniert: Seit Mai 2014 habe Google Schweiz rund 4‘700 Löschanträge erhalten, wobei rund 14‘000 Websites betroffen seien. Antragssteller seien häufig Politiker, Kriminelle, Lehrer, Ärzte oder Architekten. Für die Prüfung der Löschanträge sei die Rechtsabteilung zuständig, die wisse, dass Google für Fehlentscheide verklagt werden könne. Löschanträge werden entsprechend sorgfältig geprüft. Aber die juristische und ethische Umsetzung sei aufwändig und oft sehr schwierig, weshalb man mit einem Experten-Beirat zusammenarbeite. Von diesem erhofft man sich weitere Unterstützung und Hilfen in der Umsetzung des Gesetzes.

Gute Noten

Trotz der geäusserten Bedenken erhielt Google von den Anwesenden schliesslich gute Noten für die bisherige Rechtspraxis. Zur Frage, wie es nun weitergehen solle, meinte Hanspeter Thür, Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter lakonisch: «Lassen wir Google damit weiter üben.» Die Zukunft würde zeigen, ob es mehr Regeln oder gar staatliche Interventionen brauche, um die Privatsphäre und Daten der Menschen oder aber das öffentliche Interesse an Informationen im digitalen Zeitalter zu schützen.