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Wenn Forschende zu einer Konferenz zusammenkommen, die sich mit der Region Südasien beschäftigt, stehen mit Afghanistan, Bangladesh, Bhutan, Indien, den Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka höchst unterschiedliche Länder im Mittelpunkt.
Ökonomisch betrachtet nehmen Länder wie Bangladesh (nach China der zweitgrösste Textilexporteur der Welt) und Indien (u.a. Textilien, Chemikalien und IT-Dienstleistungen) in einem gewissen Umfang am Welthandel teil, während beispielsweise die afghanische Wirtschaft nach jahrelangem Krieg am Boden liegt und die Himalaya-Staaten Bhutan und Nepal stark von den Geldüberweisungen ihrer Arbeitsmigrantinnen und ‑migranten im Ausland abhängig sind.
Auch was die Religionen betrifft, zeigen sich grosse Unterschiede zwischen den Ländern. Neben den islamisch geprägten Staaten Afghanistan, Bangladesh, den Malediven und Pakistan finden sich buddhistische Traditionen in Bhutan und Sri Lanka sowie muslimische, buddhistische, christliche, jainistische und hinduistische in Indien und Nepal. Von innerstaatlichen religiösen Konflikten ist neben Indien auch Sri Lanka betroffen, wo auch nach dem Ende des Bürgerkriegs der Konflikt zwischen buddhistischer Mehrheit und tamilisch-hinduistischer Minderheit keineswegs beigelegt ist. Insgesamt lebt in Südasien fast ein Viertel der Weltbevölkerung.
Vor diesem Hintergrund vermag die Vielfalt der behandelten Themen an der 23rd European Conference on South Asian Studies (ECSAS) kaum zu überraschen, die vom 23. bis 26. Juli 2014 an der Universität Zürich stattfindet. Thematisch in 51 Panels aufgeteilt, präsentieren die Konferenzteilnehmenden über 400 Diskussionsbeiträge u.a. aus den Bereichen Geschichte, Religion, Literatur, politische Ökonomie, soziale Bewegungen und Migration.
Ulrike Müller-Böker, Professorin für Geographie an der UZH und Mitorganisatorin der Konferenz, weist auf eine Besonderheit der ECSAS hin, nämlich die dezentrale Veranstaltungsplanung: «Sobald der Leitungsausschuss der Konferenz die Durchführung eines Panels bewilligt hat, übernehmen die Panelverantwortlichen eigenständig die weitere Organisation und sind auch bei der Auswahl der Diskussionsbeiträge frei.»
Aktuelle sozio-ökonomische Phänomene stehen im Fokus vieler der vorgestellten Forschungsprojekte. Ein Thema ist beispielsweise die wachsende Anzahl indischer IT-Spezialisten, die nach einer längeren Tätigkeit im Ausland in ihre Heimat zurückkehren.
Die Forscherinnen Berenice Girard und Aurelie Varrel (beide École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris) zeigen, wie sich Rückkehrwillige auf diesen Schritt vorbereiten. Die indischen IT-Spezialisten tauschen sich mit ihresgleichen, aber auch bereits Zurückgekehrten in Online-Foren und Blogs aus, wo sich ein eigentliches «know-how of returning» herausgebildet hat, d.h. ein gesammeltes Wissen darüber, wie die Eingliederung in die alte Heimat möglichst reibungslos verläuft. Interessanterweise betrachten viele ihre Rückkehr nicht als definitiv, sondern sehen sich als Teil einer Zirkulation von Arbeitskräften, an der sie auch weiterhin teilnehmen wollen.
Zahlreiche Diskussionsbeiträge beschäftigen sich mit Prozessen der Medialisierung sowie der visuellen Wahrnehmung (Film und Video), die in allen Gesellschaften Südasiens eine bedeutende Rolle spielen, gerade auch für diskriminierte und marginalisierte Gruppen.
Im Rahmen eines Panels, das sich mit Selbstzeugnissen von Angehörigen solcher Gruppen befasst, richtet Shivani Kapoor (Jawaharlal Nehru University, New Delhi) ihren Blick auf die Macht des Olfaktorischen in der sozialen Wahrnehmung. Im indischen Kastensystem wird die Ausgrenzung der Dalits (sogenannte «Unberührbare») unter anderem damit gerechtfertigt, dass ihnen «Unreinheit» zugeschrieben wird, die sich beispielsweise in schlechten Gerüchen manifestiert. Grosszügig übersehen wird dabei, dass die Dalits oft keine andere Wahl haben, als unhygienische und mit unangenehmen Gerüchen verbundene Tätigkeiten in der Lederverarbeitung und bei Kanalisationsarbeiten zu übernehmen.
Um das Verhältnis von sozialer Ausgrenzung und Gerüchen genauer zu erforschen, beschäftigt sich Kapoor mit autobiografischen Texten, in denen sich Dalits mit diesem Thema auseinandersetzen, indem sie den Geruch von Blut, rohem Fleisch, gegerbten Häuten usw. so detailliert beschreiben, dass sie bei der Leserschaft gleichermassen Ekel und Erstaunen hervorrufen.
Die ECSAS findet seit 1968 regelmässig alle zwei Jahre in verschiedenen europäischen Ländern statt. Die geistes- und sozialwissenschaftlich ausgerichtete Konferenz erlaubt es, ein breites Spektrum von Forschungsthemen und die damit verbundenen zentralen und oft auch drängenden Fragen südasiatischer Gesellschaften in den Blick zu nehmen.
Darüber hinaus sieht Angelika Malinar, Professorin für Indologie an der UZH und Mitorganisatorin der Konferenz, weitere Vorteile: «Die ECSAS ermöglicht den Einblick in die Diskussionen in ganz unterschiedlichen Disziplinen. Sie kann daher dazu dienen, zunächst voneinander entfernt scheinende Themen und Probleme miteinander in Verbindung zu bringen, woraus neue Impulse und Fragestellungen für die weitere Forschung entstehen können.»