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Ist eine französische Bulldogge schön? Es gab Lacher im Publikum, als zu Beginn des Gesprächs über Ästhetik das Bild einer Bulldogge an der Wand erschien. Der Vierbeiner mit seinen übergrossen Ohren, den kurzen Beinen, den Tränensäcken und den tiefen Falten ums Maul steht nicht gerade für das Schönheitsideal schlechthin. Ausgerechnet Pietro Giovanoli, der beim Menschen ungeliebte Falten, ein Doppelkinn oder anderes Unschöne wegoperieren kann, liebt diese Hunde. Er besitzt gleich zwei von ihnen. «Schönheit liegt im Auge des Betrachters», sagte der Chirurg und schwärmte vom Charakter seiner Vierbeiner.
Schönheitsempfinden habe immer auch mit Emotion oder Erinnerung zu tun, bestätigte Bettina Gockel, Professorin für Geschichte der bildenden Kunst an der UZH, und erzählte eine Anekdote aus ihrer Familie. Ihr Vater sei kein Ästhet gewesen und unsicher im Empfinden von Schönheit. Also delegierte er das an seine Frau. «Sag mir, wann es schön ist». Die Mutter von Bettina Gockel wies dann auch nicht nur auf schöne Dinge hin, sondern auch auf schöne Stimmungen. «Das war jetzt ein schöner Tag», sagte sie zum Beispiel, und der Vater war zufrieden.
Die Liebe zur französischen Dogge teile sie allerdings nicht mit ihrem Gesprächspartner, sagte die Kunsthistorikerin, sie besitze eine norwegische Waldkatze, an der ihr Herz hänge, und die ausgesprochen schön sei.
Doch wie steht es um die Schönheit beim Menschen? Zur Schönheit gehört heute, anders als früher, jugendliches Aussehen. «Das ist interessant in einer Gesellschaft, die ja immer älter wird», stellte Gockel fest. Das heutige Schönheitsideal wird stark durch Werbung und die visuelle Kultur geprägt. Anders in früheren Jahrhunderten. Damals waren die Kunstakademien die Hüter der Schönheitsideale. Doch nur eine Elite hatte Zugang zu diesen Kunstwerken. Erst seit es die industriellen Fotobearbeitungs- und Verbreitungstechnologien gibt, wird jeder Haushalt mit Bildern überschwemmt, die sich normativ auf unser Geschmacksempfinden auswirken.
Die Auswirkungen dieser Bilderflut und deren Normsetzung zeigen sich in Giovanolis Praxis ganz konkret. Als plastischer Chirurg arbeitet der Professor im Universitätsspital zwar weniger als Schönheits-, sondern eher als Wiederherstellungschirurg, doch er weiss von Kollegen, dass der Druck des Jugendwahns die Menschen unters Messer treibt.
Neben Frauen kommen auch zunehmend mehr Männer in die Praxen, weil sie jünger und attraktiver aussehen wollen. Der Arzt müsse jedoch immer abwägen, welcher Eingriff wirklich Sinn mache, sagte Giovanoli. Es gebe aber durchaus erschreckende Tendenzen. So liessen sich in den USA Teenager zum Collegeabschluss eine neue Nase schenken. Diese Entwicklung lasse sich sicherlich auch mit dem erheblichen Einfluss der Bilderindustrie erklären, meinte Giovanoli. Krankhaft wird der Gang zum Schönheitschirurgen dann, wenn eine Operation der anderen folgt und der Patient nie mit sich zufrieden ist.
Die Kunst reagiere auf diese Obsession, den Körper zum Objekt zu machen, sagte Gockel und verwies auf die Ausstellung mit Fotografien von Cindy Sherman, die kürzlich im Kunsthaus Zürich zu sehen war. Die Fotografien sind eine Auseinandersetzung mit der Künstlichkeit medial inszenierter Frauenbilder.
Was als schön empfunden werde, sei sowohl kulturell als auch biologisch bedingt, bilanzierte Gockel. So würden von den meisten Menschen symmetrische Gesichter eher als schön empfunden als unsymmetrische. Ein prominentes Beispiel für kulturell bedingte Schönheitsideale sind sicherlich die durch Bandagen verkrüppelten Füsse chinesischer Frauen, die als schön galten, weil sie einen schwebenden, trippelnden Gang verursachten.
Anderes als diese Chinesinnen oder die Venus von Boticelli muss eine Frau heute jugendlich wirken und trainiert sein, so wie es Präsidentengattin Michelle Obama mit ihren muskulösen Oberarmen vorzeigt. Global gesehen gebe es aber einen Trend zur Vereinheitlichung, meinte Giovanoli. Immer mehr Asiaten lassen sich eine Lid-Falte operieren oder die Wangenknochen reduzieren, während sich die Europäer dagegen die Wangenknochen auspolstern. Ob die gewonnene Schönheit dann auch glücklicher mache? Da waren sich die Experten nicht sicher.