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Molekularbiologie

«Spätzle» lässt schwache Zellen sterben

Stefanie Meyer vom Institut für Molecular Life Sciences der UZH landete gleich mit der Doktorarbeit einen wissenschaftlichen Coup. Zusammen mit amerikanischen Forschenden konnte sie erstmals zeigen, wie schwache Zellen im Gewebe ausgemerzt werden.
Stefan Stöcklin
Erfolg mit Fruchtfliegen: Stefanie Meyer mit ihren Versuchstieren, die in Gläsern gezüchtet werden. (Bild: Stefan Stöcklin)

«Im Nachhinein ist immer alles einfach», sagt Stefanie Meyer mit einem erfrischenden Lachen. Sie zieht ihre taufrische Publikation aus der aktuellen Ausgabe von «Science» hervor und erläutert die Grundzüge der Arbeiten, die sie im prestigeträchtigen Fachblatt publizieren konnte – keine Selbstverständlichkeit für eine Doktorarbeit.

«Zunächst braucht es eine zündende Idee und danach erfolgreiche Experimente zur Verifizierung,» sagt die Molekularbiologin. Während vier Jahren hat die Nachwuchsforscherin im Team von Konrad Basler am Institut für Molecular Life Sciences der UZH experimentiert, jetzt kann sie zusammen mit ihrem Doktorvater, den Kolleginnen und Kollegen aus dem Labor in Zürich und Partnern der Columbia University in New York die Früchte ihrer Arbeiten ernten.

Unkonventionelle Idee

Die zündende Idee war wie so oft in der Wissenschaft eine unkonventionelle Idee. «Der Gedanke entstand im Laufe meiner Forschungen zur Masterarbeit», erläutert Meyer. Die Studentin beschäftigte sich damals mit dem Phänomen des Zellwettbewerbs, das heisst der Konkurrenz von Zellen in einem Gewebe. Der Zellwettbewerb sorgt dafür, dass weniger leistungsfähige Zellen durch ein zelleigenes Suizidprogramm ausgelöscht werden, während die fitten Zellen dominieren.

Die Erkennung und Eliminierung der schwachen Zellen erinnerten Meyer und Basler an die Wirkungsweise des Immunsystems und führten zur Überlegung, dass beide Prozesse die gleichen molekularen Signalwege nutzen könnten. So entstand die Hypothese, dass das angeborene Immunsystem des Körpers nicht nur der Abwehr von äusseren Feinden wie Viren und Bakterien dient, sondern auch der Eliminierung von schwachen, das heisst unfitten Zellen in einem Gewebe.

Tests mit Fruchtfliegen

Um der Sache auf den Grund zu gehen, konzipierten Meyer und ihre Forscherkollegen Experimente mit Fruchtfliegen, deren Gewebe aus fitten und weniger fitten Zellen bestand. Gleichzeitig schalteten sie Bestandteile des angeborenen Immunsystems genetisch aus oder ein. In unzähligen Versuchen konnten sie mit dieser ausgeklügelten Versuchsanordnung die Selektion fitter Zellen durch Signalmoleküle des angeborenen Immunsystems nachweisen.

«Unsere Idee erwies sich als richtig», sagt Stefanie Meyer. «Schwache Zellen werden durch Komponenten des Immunsystems erkannt und eliminiert.» In Gang gesetzt wird der auch Apoptose genannte Zelltod über sogenannte Toll-Rezeptoren des angeborenen Immunsystems.

Im Fall des Zellwettbewerbs wird der Rezeptor durch ein spezielles Signalmolekül namens «Spätzle» aktiviert. Der überraschende Name geht zurück auf die ungewöhnliche Form von Fliegenlarven. Die Fruchtfliegen-Larven wurden im Labor der späteren Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard erstmals beschrieben und basieren auf dem mutierten Gen für das Signalmolekül. 

Fliegengewebe unter dem Mikroskop: Blau gefärbt sind gesunde Zellen, während die grünen nicht fit sind und die roten absterben. (Bild: zVg)

Während Stefanie Meyer und Konrad Basler in Zürich das Prinzip des Zellwettbewerbs erforschten, kam die Molekularbiologin Laura Johnston von der Columbia Universität in New York auf ähnliche Fragestellungen. Anders als in Zürich beschäftigte sich Johnston aber nicht mit geschwächten Zellen, sondern mit schnell wachsenden Zellen, die benachbartes Gewebe verdrängen. In diesem Fall geraten normale Zellen ins Hintertreffen und schalten ihr Suizidprogramm an.

Wie Johnston mit ihrem Team zeigen konnte, funktioniert der Eliminationsprozess praktisch gleich wie beim Zellwettbewerb. Versuche mit Gewebe von Fruchtfliegen lieferten den Nachweis, dass die Auslöschung auch über Signalwege des angeborenen Immunsystems führt. Wiederum sind Toll-Rezeptoren und Spätzle involviert.

Kooperation statt Konkurrenz

Wie es in der Wissenschaft immer wieder passiert, bekamen die beiden Gruppen gegenseitig Wind von ihren Arbeiten. Und machten miteinander ab, sich nicht zu konkurrenzieren, sondern zu kooperieren. In zahlreichen E-mails tauschten die Forschenden die Fortschritte ihrer Versuche aus und stimmten die Publikation der bemerkenswerten Resultate aufeinander ab.

«Wir hätten die Arbeiten auch getrennt voneinander veröffentlichen können, entschieden uns aber für die Zusammenarbeit», erläutert die Molekularbiologin. Weil die überraschenden Ergebnisse von grundlegender Bedeutung sind, klopften sie für die Veröffentlichung gleich beim renommierten amerikanischen Magazin an. So kam es zur gemeinsamen Publikation der Zürcher und New Yorker Gruppe in der aktuellen Science-Ausgabe. Stefanie Meyer glänzt als Erstautorin, Konrad Basler und Laura Johnston als Seniorautoren.

Nächstes Jahr wird Stefanie Meyer ihre Dissertation abschliessen. Ihre Pläne für die Zeit danach sind noch vage, aber mit der wissenschaftlichen Karriere soll es weitergehen, vorzugsweise mit einem Aufenthalt als PostDoc in den USA. «Die Forschung macht soviel Freude, jetzt will ich nicht aufhören», sagt die Nachwuchsforscherin.