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In der Nacht vom 3. auf den 4. April schlief David Small unruhig. Die Stimmung war ausgelassen im Kontrollzentrum der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) in Darmstadt an jenem Abend. Live verfolgten mehrere hundert Personen den Start der Trägerrakete, die den Satelliten «Sentinel-1A» erfolgreich in seine Umlaufbahn rund 700 Kilometer von der Erde entfernt beförderte.
Nach der Feier sinnierte David Small spätnachts im Hotelzimmer darüber, dass im Gegensatz zu den Satellitentechnikern für ihn die Arbeit jetzt erst beginnt. Sentinel – das englische Wort für «Wächter» – wird in den kommenden Jahren mit Mikrowellen die Erdoberfläche abtasten und Bilder und Daten über die Ozeane, Landflächen, die Atmosphäre und den Klimawandel zur Erde schicken.
Erste Bilder sind bereits auf der Erde eingetroffen. Als einer der Ersten hat David Small sie zu sehen bekommen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Remote Sensing Laboratories (RSL), einer Forschungsgruppe für Fernerkundung am Geographischen Institut der UZH.
Small hilft im Auftrag der ESA mit, Teile der Radarinstrumente von Sentinel-1A zu eichen. Zudem nimmt er Korrekturen an den Bildern des Satelliten vor. Damit soll vermieden werden, dass die dreidimensionale Struktur der Berge andere Landschaftsmerkmale verbirgt. Für derartige Korrekturen hat David Small eigens ein Programm entwickelt.
Spätestens ab Juli werden Sentinel-1A-Bilder im grossen Stil zur Verfügung stehen. Die ESA wird sie als Novum der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung stellen. Mit dem Start des Zwillingssatelliten Sentinel-1B im Jahre 2015 und weiterer Satelliten in den kommenden Jahren wird das EU-Erdbeobachtungsprogramm «Copernicus» die Erde noch genauer beobachten können. «Copernicus» gilt neben dem Satelliten-Navigationssystem «Galileo» als zweites Aushängeschild der europäischen Weltraumpolitik.
Die Sentinel-Satelliten werden permanent die Erdoberfläche abtasten und unter anderem vulkanische Aktivitäten und Ölverschmutzungen im Meer erkennen, den Wandel in der Landnutzung erfassen und klimaschädliche Gase in der Atmosphäre messen. Im Falle von Naturkatastrophen soll Sentinel zudem Einsatzkräften mögliche Zugangswege ins betroffene Gebiet weisen.
«Die neue Satellitengeneration Sentinel bringt entscheidende Verbesserungen. Es werden deutlich mehr und bessere Bilder zur Verfügung stehen», freut sich David Small. So vermag Sentinel etwa im Gegensatz zu älteren Satelliten bessere Bilder auch bei Wolken und in der Nacht zu liefern.
Small hat bereits mit der Vorgänger-Generation der EU-Satelliten «Envisat» gearbeitet, die 2002 bis 2012 im Einsatz waren. Gemeinsam mit Hydrologen und Schneeforschern hat er die Schneeschmelze in den Schweizer Alpen untersucht. Erkenntnisse über Schmelzwassermengen sind sowohl für Meteorologen, Lawinenforscher wie auch die Wasserwirtschaft von Interesse.
Auch bei Sentinel wird David Small nicht nur Bilder korrigieren, sondern diese auch wissenschaftlich aufbereiten. Interessieren wird ihn neben der Schneeschmelze die saisonale Veränderung der Landnutzung in der Schweiz. Zudem wird er Erdabsenkungen untersuchen – womit sich etwa Hangrutsche frühzeitig erkennen lassen. Er wird über eine grosse Sammlung an Sentinel-Bildern der Schweiz verfügen und diese gerne auch anderen Forschenden zur Verfügung stellen.
Gemeinsam mit Martin Lüthi vom Lehrstuhl von Glaziologie-Professor Andreas Vieli hat David Small zudem beim Schweizerischen Nationalfonds ein Projekt beantragt, um die Bewegung der Gletscher in Grönland zu vermessen. Auch andere Forschende der UZH werden mit den Sentinel-Daten arbeiten, etwa im Rahmen des Universitären Forschungsschwerpunktes «Globaler Wandel und Biodiversität».
«Sentinel wird eine neue Sicht auf die Welt ermöglichen», ist David Small überzeugt. Die jüngsten politischen Verwerfungen im Verhältnis Schweiz – EU werden der erfolgreichen Zusammenarbeit der Forschenden zum Glück nichts anhaben können. Die Schweiz gehörte 1975 zu den zehn Gründungsstaaten der Europäischen Weltraumorganisation und ist bis heute ein aktives Mitglied.