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Tagung zur Fortpflanzungsmedizin

«Die Lebensgeschichte beginnt nicht in der Petrischale»

Am Freitag fand an der UZH eine Tagung über die Zukunft der Fortpflanzungsmedizin statt. Das brisante Thema wurde aus rechtlicher, medizinischer und ethischer Perspektive diskutiert. Eine der Referentinnen, die Philosophin und TV-Moderatorin Barbara Bleisch, machte sich für die Anerkennung der Leihmutterschaft stark. 
Marita Fuchs
Sprach über den angeblichen Niedergang der Familie: Philosophin Barbara Bleisch. (Bild: Marita Fuchs)

Ärztinnen und Rechtsanwälte, Hebammen, Ethikerinnen, Soziologen und Pflegefachpersonen standen auf der Teilnehmerliste der Tagung über Fortpflanzungsmedizin. Sie alle wollten mehr über das gesellschaftlich viel diskutierte und brisante Thema erfahren. Gerade Berufsgruppen, die mit Recht und Medizin zu tun haben, sehen sich täglich mit Fragen von Eltern konfrontiert, die sich mit modernen medizinisch-technischen Möglichkeiten den ersehnten Kinderwunsch erfüllen möchten. Doch nicht nur rechtliche und ethische Bedenken treten dabei auf, auch unsere Vorstellung von Familie und Verwandtschaft wird grundsätzlich in Frage gestellt.

Zur Tagung eingeladen hatten das «Kompetenzzentrum Medizin – Ethik – Recht Helvetiae», das «Collegium Helveticum» und das Universitätsspital Zürich. Die Rechtsprofessorinnen Brigitte Tag und Andrea Büchler führten durch die Veranstaltung. Verschiedene Referierende umrissen die neuen Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin, die schwierige psychologische, soziale, rechtliche, politische und ethische Fragen nach sich ziehen.

Eine davon: Soll die Eizellspende auch in der Schweiz erlaubt werden, so wie die Samenspenden für Ehepaare? Eine weitere: Wie wirkt sich so genanntes Social Freezing, das Einfrieren von Eizellen, auf die Familie und auf die Familienpolitik aus? Und wie steht es um die Leihmutterschaft, die zwar in der Schweiz verboten, in Ländern wie den USA, Grossbritannien, Russland oder Indien zulässig ist. Aber sollte nicht jedes Kind das Recht haben, seine Leihmutter auch zu kennen? Die Referenten beleuchteten diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven.

Eines wurde dabei sehr deutlich: Familien entstehen nicht mehr nur dadurch, dass Eltern die von ihnen gezeugten Kinder aufziehen, sondern auf ganz unterschiedliche Weise: zum Beispiel durch Adoption, durch Familien-Patchwork, durch medizinisch-teschnische Verfahren – oder auch durch Leihmutterschaft.

Ist die traditionelle Familie vom Aussterben bedroht?

Mit ihrem Referat «Die Mär vom Niedergang der Familie – oder: Ist Blut wirklich dicker als Wasser?», setzte sich die Philosophin Barbara Bleisch kritisch mit dem traditionellen Verständnis von Familie und Verwandtschaft auseinander. Auf die Frage, ob die traditionelle Kleinfamilie vom Aussterben bedroht sei, antwortet Bleich mit einem klaren Nein. Sie plädierte jedoch für ein neues, erweitertes Familienbild.

Die Kernfamilie als normative Vorgabe sei nicht länger haltbar, zumal sich nicht empirisch beweisen lasse, dass nur die traditionelle Familie das Kindeswohl garantiere. Vielmehr seien verlässliche Bezugspersonen und stabile langfristige Beziehungen für Kinder wichtig, das sei aber unabhängig von der sexuellen Ausrichtung der Eltern oder von einer Blutsverwandtschaft. Ein liberaler Vorschlag wäre es, die Familie künftig als multigenerationelle Gruppe, die für ihre Kinder Sorge trägt, zu definieren.

Babys mit zwei Müttern

Im Folgenden ging Bleisch näher auf den Begriff der Blutsverwandtschaft ein. Auch wenn der Begriff archaisch klinge, so sei er doch bedeutsam, wenn auch konzeptionell unscharf. «Warum sind wir so entsetzt, wenn wir von vertauschen Kindern im Spital erfahren?», fragte sie. «Die Blutsverwandtschaft steht wie ein erratischer Block in der Landschaft liberaler Familientheorie».

Die Blutsverwandtschaft ist zur unklaren Grösse geworden, seit es die Leihmutterschaft gibt. Durch die so genannte Mitochondrienspende, bei der Zellmaterial einer dritten Person übertragen wird – ist es sogar möglich geworden, dass ein Kind zwei genetische Mütter und einen Vater hat.

Warum bin ich überhaupt?

Häufig werde die Blutsverwandtschaft angeführt, um Identität herzustellen, führte Bleisch aus. Die Frage: Wer bin ich? beziehe sich dabei auf die genetische Abstammung. Die Familiengeschichte diene dabei als narrativer Kontext. Doch dieses Konzept stimme so nicht, meinte Bleisch, denn Identität entwickle sich in ganz unterschiedlichen Beziehungen. «Rituale und Narrative benötigen keine genetische Verwandtschaft». Bleisch schlug einen Perspektivenwechsel in der Debatte über Familie vor: Die Frage nach den eigenen Wurzeln, rufe eine zweite Frage auf, nämlich die Frage: Warum bin ich überhaupt? Es ist die Frage nach der schieren Existenz und die Frage, wer ist für die eigene Existenz verantwortlich?

«Wunschkinder passieren ja nicht einfach so, sie sind oft ersehnt, erhofft und gemacht». Eine Lebensgeschichte beginnt nicht in der Petrischale, sondern in der austragenden Mutter, sagte Bleisch, und plädierte für eine Erweiterung der Schweizer Gesetzgebung. Das Kind habe ein Recht auf die Kenntnis des biografischen Anfangs, es müsse wissen, warum es gewünscht wurde und wer seine allererste Bezugsperson war. Deshalb sei es auch notwendig, die Leihmutterschaft anzuerkennen.