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Dass Fasten gegen Epilepsie wirkt, wussten schon die alten Griechen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde darauf basierend die «ketogene Diät» entwickelt, die zur Linderung epileptischer Anfälle führt. Diese Diät ist arm an Kohlehydraten und reich an Fettstoffen und Proteinen. Epilepsie ist Ausdruck von krankhaft hyperaktiven Nervenzellen, welche durch die Diät beruhigt werden – aber wie? Man hat nie verstanden, was auf der Ebene der Nervenzellen tatsächlich passiert.
Doch jetzt scheint die Antwort greifbar. Forschende des Zentrums für Neurowissenschaften Zürich (ZNZ) und der McGill University entdeckten in einer gemeinsamen Studie einen wegweisenden Zusammenhang zwischen Energieproduktion und Signalübertragung in Nervenzellen.
«Die ketogene Diät verändert die Energieproduktion von Nervenzellen offensichtlich so, dass dadurch antiepileptische Signale verstärkt werden», erklärt Jean-Marc Fritschy, Koautor der Studie, Professor am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der UZH und Leiter des ZNZ.
Ein menschliches Gehirn besteht aus rund hundert Milliarden Nervenzellen, wovon jede 10'000 Kontaktstellen, sogenannte Synapsen, zu anderen Nervenzellen unterhält. Hier werden Signale übertragen, die letztlich in ihrer Gesamtheit etwa Sinneseindrücke, Gemütszustände oder Entscheidungen darstellen.
Die Signale können anregender oder hemmender Natur sein. Man darf sich das sinnbildlich vorstellen wie das Bremsen und Beschleunigen während einer Autofahrt: Nur mit beiden Eingriffen wird die Fahrt am Ziel enden – nur mit Hemmung und Anregung von Nervenzellen wird die richtige Botschaft im Gehirn formuliert.
Die Hirnaktivität benötigt viel Energie. Diese wird von den zelleigenen Kraftwerken, den Mitochondrien, durch Umsetzung von Sauerstoff bereitgestellt. Der Stoffwechsel nennt sich Zellatmung, nebst Energie fallen dabei auch Nebenprodukte an: sogenannte reaktive Sauerstoffspezies (ROS), auch «freie Radikale» genannt. Hier stiessen die Forscher auf einen überraschenden Zusammenhang, welchen sie jüngst in der renommierten Zeitschrift Nature Communications darlegten.
Freie Radikale sind extrem reaktive Moleküle und für Nervenzellen potenziell schädlich. Die internationale Forschergruppe um Professor Derek Bowie (McGill) und Dr. Shiva K. Tyagarajan (UZH) wollte die Reaktion von Nervenzellen testen, wenn sie einer künstlichen Erhöhung freier Radikale ausgesetzt sind – und staunte.
Erwartet hatten die Forscher einen biochemischen Prozess als Schutzmassnahme, der die freien Radikale abfangen und deaktivieren würde. Stattdessen erkannten sie, dass der Überschuss an freien Radikalen die hemmende Signalübertragung der Nervenzelle begünstigt.
Jean-Marc Fritschy spricht von einem «sehr überraschenden Phänomen», definiere es doch die Rolle von freien Radikalen in Nervenzellen völlig neu. Bisher wurden sie stets mit «dem Bösen» assoziiert: Alterung und Degeneration von Nervenzellen, Begleiter von Erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Alzheimer oder Parkinson.
Doch die Entdeckung revolutioniert das Bild der freien Radikale grundsätzlich. Sie sind nicht bloss reaktive Moleküle, die potenziellen Schaden im Gehirn anrichten. Sondern üben als Botenstoffe Einfluss auf die Kommunikation von Nervenzellen aus. Damit entfalten sie auch eine heilende Wirkung, was am Beispiel von Epilepsie deutlich wird.
Zu stark angeregte Nervenzellen senden falsche Signale, Symptome davon sind epileptische Anfälle. Eine Beruhigung kann in Form von verstärkt hemmender Signalübertragung geschehen – darauf zielt die ketogene Diät. Als Folge der kohlenhydratarmen Ernährung stellt sich eine anormale Energieproduktion in den Nervenzellen ein, mit einem Stoffwechsel, der offenbar einen Überschuss an freien Radikalen erzeugt. Die hemmende Signalübertragung wird so begünstigt, womit die «Selbstberuhigung» von hyperaktiven Nervenzellen eintritt.
Die Wirkungsweise der bis in die Antike zurückreichenden Therapie scheint somit erstmals verstanden. Epilepsie dürfte dabei nicht das einzige Phänomen sein, bei welchem die neue Entdeckung im Gehirn mitspielt. Vielmehr sehen sich die Forscher mit einem spektakulär neuen Prinzip konfrontiert, das ganz allgemein im Hirn stattfinden dürfte.
Die jetzt gemachte Entdeckung ist umso bedeutender, als Zusammenhänge zwischen Stoffwechsel und Signalübertragung in Nervenzellen nach wie vor ein weitgehend unerforschtes Gebiet sind. Die neue Studie verspricht interessante weitere Forschung – und lässt nicht zuletzt auf klinische Anwendungen in der Behandlung von Nervenkrankheiten hoffen.