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Die Antibiotika, die für eine solche «Nachbesserung» in Frage kommen, gehören zur Gruppe der Aminoglykoside. Sie bekämpfen Krankheitserreger an einer empfindlichen Stelle: ihren Ribosomen. Das sind gewissermassen die Bauunternehmer der attackierten Bakterien, denn sie produzieren Eiweisse, wichtige Bau- und Betriebsstoffe der Zelle.
Nun sind allerdings auch die menschlichen Zellen mit Ribosomen ausgestattet, die jenen der Bakterien täuschend ähnlich sehen. Deshalb dockt das Medikament zuweilen auch bei ihnen an, was zu Schädigungen führt. So zeigen Aminoglykoside ototoxische Nebenwirkungen, die von einem Hörverlust bis hin zur Taubheit führen und auf irreversible Schädigungen der Sinneszellen im Innenohr zurückgehen.
«Wir haben nun den Wirkungsmechanismus von Antibiotika dieser Gruppe so modifiziert, dass sie viel besser zwischen den menschlichen Ribosomen und den Ribosomen der Krankheitserreger unterscheiden können», erklärt Professor Erik C. Böttger, Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie der Universität Zürich. Seine Forschungsgruppe identifizierte anhand einer Reihe von Verbindungen, die an der ETH synthetisiert wurden, die 4’-Hydroxyl-Position in der molekularen Struktur des Medikaments als jene Stelle, die angepasst werden muss, damit der Wirkstoff künftig nicht mehr irrtümlich am menschlichem Ribosom andockt. Sodann entwickelten die Arbeitsgruppen ein Modell, wie die Struktur an dieser Stelle zu verändern sei.
Als entscheidend für den Erfolg erwies sich ein experimentelles Testsystem, das die Gruppe Böttger entwickelt hatte und das es erlaubte, aus den Hunderten von der Gruppe von Professor Andrea Vasella vom Laboratorium für Organische Chemie an der ETH synthetisierten Verbindungen die passenden zu identifizieren. An der Arbeit beteiligten sich weitere international führende Forschungsgruppen, so unter anderem der Strukturbiologe Venkatraman Ramakrishnan am MRC Labatory of Molecular Biology in Cambridge, der 2009 für seine Ribosomenforschung mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet worden war.
Die Resultate sind in einem Artikel vom 28. Januar 2014 in der Online-Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht worden. Sie zeigen auf, dass die entstandenen Antibiotika viel zielgerichteter wirken als ihre Vorgänger: Menschliche Zellen wurden durch den veränderten Wirkstoff kaum mehr geschädigt, während die antibiotische Wirkung gegen Krankheitserreger erhalten blieb, wie Versuche an mit Staphylococcus aureus infizierten Mäusen nachwiesen.
Diese Resultate sind das Ergebnis von mehr als zehnjährigen Forschungsarbeiten. «Wir haben auf biochemischer Ebene gezeigt, wie sich die Wirkung durch eine erhöhte Selektivität verbessern lässt», so Böttger. Als nächster Schritt folgen nun toxikologische Untersuchungen, bevor es an die eigentliche Medikamentenentwicklung gehen kann, in der die Effektivität und die antibakterielle Potenz optimiert werden.
Die verbesserten Antibiotika sind auf Paramomycin aufgebaut. Dieses Mittel gehört zur Klasse der Aminoglykoside, die in den 1940er-Jahren entdeckt wurde. Es handelt sich um potente Antibiotika, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Hintergrund getreten sind. Das hat nicht nur mit der Gehörschädigung und der (reversiblen) Schädigung der Nieren, sondern auch mit der Verabreichungsform zu tun. Als neue Antibiotika auf den Markt kamen, die man ganz einfach als Pille schlucken konnte, verdrängten sie bald die Aminoglykoside, die intravenös gespritzt oder über eine Infusion gegeben werden müssen. In der Folge wurde ihre Weiterentwicklung in den 1980er-Jahren eingestellt.
Inzwischen ist der Rückgriff auf diese Antibiotikagruppe angesichts der immer weiter um sich greifenden Resistenzen jedoch unumgänglich geworden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Aminoglykoside in die Gruppe der Medikamente hochgestuft, die im Kampf gegen resistente und multiresistente Krankheitserreger von «entscheidender Bedeutung» (critically important) sind. Einsatzgebiete sind zum Beispiel Herzklappenentzündungen oder multiresistente Tuberkulose.