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Ein brennendes Haus, Verletzungen, eine Schlange, die einen anzuspringen droht – es sind beängstigende Bilder, die Uwe Herwig für eine Studie seinen Testpersonen auf einer Videobrille zeigt. Sie bleiben nicht ohne Folgen. Kommen uns solche Schreckensbilder zu Gesicht, beginnt das Herz stärker zu klopfen, wir fangen an zu schwitzen, und die Mandelkerne, jene Regionen in unserem Hirn, die für das Entstehen von Angst massgeblich verantwortlich sind, werden aktiviert.
Diese Angstreaktion bestätigen auch die Signale des funktionellen Magnetresonanztomografen in Herwigs Labor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, in dem die Probanden samt Videobrille liegen. Denn im Tomografen lassen sich beinahe in Echtzeit Veränderungen in spezifischen Hirnregionen wie etwa den Mandelkernen messen. Dies möchte der Psychiater dazu nutzen, um Angst- und Depressionspatienten mit einem neuen Neurofeedback-Training künftig wirkungsvoller behandeln zu können.
Angst ist eigentlich ein nützliches Gefühl und im Grunde überlebenswichtig. Etwa wenn sie als blitzschnelles Signal eine Gefahr anzeigt. «Sie ermöglicht uns, rechtzeitig einem heranrasenden Auto auszuweichen», sagt Uwe Herwig. Anders sieht das bei Menschen aus, die ohne reale Gefahren und Bedrohungen von Ängsten und anderen schlechten Gefühlen geradezu überschwemmt werden. Im klinischen Alltag hat es der Psychiater oft mit Patienten zu tun, die mit solchen massiven Ängsten und anderen stark belastenden Gefühlen kämpfen, die ihnen das Leben zur Qual machen.
Depressive gehören genauso dazu wie Menschen, die an einer sozialen Angststörung leiden oder sich unter einem extrem grossen Leidensdruck selber schneiden. Der klassische Weg, diese psychischen Leiden in der Klinik zu behandeln, ist die Psychotherapie. «Dort versuchen wir den Patienten ein Verständnis für die eigenen Gefühle zu vermitteln und ihnen Möglichkeiten an die Hand zu geben, um selbst besser damit umgehen zu können», sagt Uwe Herwig. Denn wenn man die Bedeutung und die Geschichte eines belastenden Gefühls kennt, lässt sich damit auch besser leben.
Das Problem ist, dass die Psychotherapie oft nicht oder nicht rasch zu den gewünschten Erfolgen führt. Denn viele Patienten haben keinen guten Zugang zu ihrer Gefühlswelt, oder die negativen Emotionen, unter denen sie leiden, sind so stark, dass es sehr lange dauert, sie einigermassen in den Griff zu kriegen. Die Psychiater suchen deshalb nach Mitteln, um die Therapieerfolge bei Angst- und Depressionspatienten zu erhöhen.
Eine dieser Methoden, die die Psychotherapie ergänzen und verbessern könnten, ist möglicher- weise das Neurofeedback-Training, das Herwig und seine Kollegin Annette Brühl mit ihrem Team momentan entwickeln. Denn mit Hilfe von Magnetresonanztomograf und Videobrille kön- nen Patienten üben, ihre Ängste und andere negative Gefühle besser in den Griff zu kriegen.
Der Trick dabei: Die Angstsignale aus den Mandelkernen, die die Schreckensbilder in der Videobrille auslösen und der Tomograf misst, werden unmittelbar an die Probanden zurückgemeldet. Die Informationen aus dem Inneren des Kopfs werden mit Hilfe eines Farbcodes in der Videobrille sichtbar gemacht. Stehen die Zeichen auf leuchtend Gelb bis Rot, sind die Nervenzellen in den Mandelkernen höchst erregt, die Angst entsprechend gross. Stehen sie dagegen auf Blau, sind sie wenig aktiv und der Angstpegel tief. Dieses Live-Feedback aus dem Hirn ermöglicht es den Patienten, den besseren Umgang mit der Angst gezielt zu üben.
Uwe Herwig leitet sie dazu an und bietet ihnen verschiedene Strategien an. Sie können beispielsweise für sich selbst ganz nüchtern die aktuelle Situation im Scanner vergegenwärtigen und beschreiben oder schildern, was ihnen auf einem Angst einflössenden Bild auffällt, wenn sie es ganz genau betrachten. «Damit wird der Scheinwerfer der Aufmerksamkeit weg vom Innenleben auf reale Situations- und Umgebungsaspekte gerichtet», sagt Herwig, «die Katastrophengedanken und panischen Empfindungen, die das Bild auslösen kann, stehen so nicht mehr im Zentrum der Wahrnehmung.»
Eine andere Strategie ist, die Angst auslösende Situation anders zu bewerten, beispielsweise indem man ein Bild etwa als Filmszene identifiziert. «Wenn man die Bedeutung einer Situation neu interpretiert, kann sich auch die Einstellung zu dem ändern, was ist», meint der Psychiater. Auch auf diese Weise kann ein neuer Umgang mit Angsterfahrungen ermöglicht werden. Interessant ist nun, dass die Patienten mit dem Neurofeedback sofort Informationen darüber erhalten, wie erfolgreich ihre Strategie im Umgang mit der Angst war.
Denn der Farbcode in der Videobrille gibt beinahe unmittelbar darüber Auskunft, ob es mit der Übung gelungen ist, von Rot zu Blau zu kommen, die Aktivität in den Mandelkernen also herunterzuregulieren. Auf diese Weise können sie lernen, ihre unangenehmen Gefühle besser zu steuern und zu kontrollieren. «Die Erfahrung im Scanner macht den Patienten auch bewusst, dass sie über mentale Techniken verfügen, um die Ängste besser in Schach zu halten», betont Herwig, «das schafft Zuversicht und Vertrauen.» Im Lauf einer Therapie können diese Techniken weiter ausgefeilt und trainiert werden, sodass sie sich auch in Alltagssituationen erfolgreich anwenden lassen.
Noch steht das neue therapeutische Verfahren ganz am Anfang seiner Entwicklung. Erste Studien, die Uwe Herwig und sein Team mit Testpersonen durchgeführt haben, haben aber bereits gezeigt, dass es mit Neurofeedback gelingt, über vier Therapiesitzungen hinweg die Mandelkerne und damit Angstgefühle besser zu regulieren. Diesen grundsätzlich positiven Befund müssen die Wissenschaftler nun mit weiteren Untersuchen genauer beleuchten.
Und sie müssen in einer Placebo-Studie beweisen, dass die verbesserte Steuerung der Gefühle wirklich durch das Neurofeedback ermöglicht wurde und nicht einfach ein Trainingseffekt ist, der sich auch ohne das Verfahren einstellt. Deshalb soll in einem künftig geplanten Experiment ein Teil der Testpersonen mit Neurofeedback-Rückmeldungen konfrontiert werden, die nichts mit der Entstehung von Angst zu tun haben. Würden auch solche Scheinrückmeldungen zu einer verbesserten Emotionsregulation führen, wäre die spezifische Wirksamkeit des Verfahrens in Frage gestellt.
«Wir sind momentan in der Phase, wo wir Erfahrungen sammeln», sagt Uwe Herwig. Bereits in diesem Jahr möchte er aber versuchsweise damit beginnen, erste Patienten an der Psychiatrischen Universitätsklinik im Rahmen eines Programms zur Entwicklung innovativer Therapieverfahren zu behandeln. Bevor Neurofeedback als Ergänzung und Unterstützung der klassischen Psychotherapie in den Klinikalltag einzieht, könnten aber, wenn überhaupt, noch Jahre vergehen.
Schon jetzt ist Uwe Herwig aber davon überzeugt, dass man mit seiner Neurofeedback-Methode zu spannenden Erkenntnissen auch in der Grundlagenforschung kommen kann. Das hat er in Selbstversuchen, die er immer wieder unternommen hat, selbst erfahren können. «Es ist faszinierend, sein eigenes Mandelkern-Signal auf dem Bildschirm zu sehen, und aufgrund dieses Signals sein Gehirn zu steuern und die Kontrolle über seine Gefühle zu gewinnen», sagt der Arzt. Sollte Neurofeedback in Zukunft nicht zu einem Standardinstrument in der Psychotherapie werden, wäre es denkbar, dass einem Teil der Patienten diese Erfahrung dennoch ermöglicht wird. «Das wäre dann eine Art Psychoedukation», sagt Uwe Herwig, «denn mit Neurofeedback können wir ganz viel über unsere eigene Psyche lernen.»