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Antibiotikaresistenz

Resistente Bakterien erobern die Schweiz

In Schweizer Gewässern, im Darm der Menschen und in Nutztieren siedeln immer mehr antibiotikaresistente Bakterien. Sie bedrohen die Gesundheit von Mensch und Tier. Professor Roger Stephan vom Institut für Lebensmittelsicherheit und -hygiene der UZH plädiert für ein schnelles Umdenken beim Einsatz von Antibiotika. 
Marita Fuchs
«Antibiotika sollten vermieden werden, wo es nur geht», Veterinärmediziner Roger Stephan.

Der Kopf glüht, der Bauch grummelt, die Glieder zittern. Sind wir krank – und Bakterien daran Schuld –, schlucken wir ein Antibiotikum, und schnell geht’s wieder besser. Das Wundermittel blockiert eine für das Bakterium lebenswichtige Funktion, verursacht beim Menschen jedoch kaum Nebenwirkungen. Deshalb sind zum Beispiel die so genannten Betalactam-Antibiotika aus der Humanmedizin nicht mehr wegzudenken. Sie werden in unterschiedlichen Wirkstoffklassen angeboten. Darunter gibt es auch die so genannten Breitbandantibiotika, die besonders erfolgreich verschiedenste Bakterientypen bekämpfen.

Doch die Bakterien wehren sich gegen die Superwaffe und mutieren zu immer raffinierteren Varianten, denen Antibiotika nichts mehr anhaben können. Von multiresistenten Bakterien spricht man dann, wenn sie gegen mehr als drei Klassen von Antibiotika resistent sind. Forscher warnen schon lange: Je mehr und je unsorgfältiger Antibiotika eingesetzt werden, umso mehr resistente Bakterienstämme entwickeln sich.

Belastete Gewässer

Doch wo kommen multiresistente Bakterien in der Schweiz vor? Roger Stephan, Professor für Lebensmittelsicherheit und -hygiene an der UZH, hat erstmals das Vorkommen und die Übertragungswege resistenter Bakterienstämme in der Schweiz umfassend untersucht. Die Resultate seiner jüngsten Studie zum Vorkommen resistenter Bakterien in Schweizer Gewässern wurden in der Zeitschrift Applied and Environmental Microbiology im Mai 2013 veröffentlicht.

Das Ergebnis lässt aufhorchen: Bei Gewässern unter 1‘000 Metern fanden die Forscher in 36 Prozent der Wasserproben multiresistente Keime. Urbane Räume waren am stärksten belastet. Am häufigsten kamen resistente Bakterien im Rhein vor, im Abschnitt zwischen Basel und der Aaremündung. Besonders eklatant: Hier fanden die Forscher auch eine extrem resistente Bakterienvariante, die sich selbst mit der höchsten Betalactam-Antibiotika-Wirkstoffklasse nicht mehr behandeln lässt.

Sechs Prozent der Bevölkerung mit multiresistenten Bakterien

Der Gewässerstudie gingen andere voraus, die zeigen, dass resistente Bakterien auch in der Schweiz im Vormarsch sind. Vor drei Jahren untersuchte Stephan 600 gesunde Schweizerinnen und Schweizer im Alter von 20 bis 65 Jahren. Bei 5,8 Prozent der Probanden liessen sich Keime im Darm nachweisen, die neben anderen auch Resistenzfaktoren gegen fast alle oben erwähnten Betalactam-Antibiotika trugen.

Diese resistenten Bakterien stören den Gesunden nicht weiter, weil sie oft Teil der normalen Darmflora sind. Kommt es jedoch zu einer Infektion, so kann es Komplikationen geben, weil die Antibiotika nicht wirken. Das vor allem, weil antibiotikaresistente Bakterien – sind sie erst einmal im Körper – relativ einfach ihre Fähigkeit zur Resistenz durch Gen-Übertragung an andere Bakterien weitergeben. Daraus können sich auch unterschiedliche Bakterienvarianten entwickeln.

Belastetes Federvieh

Doch wie kommen die Keime zum Menschen? Seit Jahren vermuteten Forscher einen Zusammenhang zwischen resistenten Keimen und dem Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung. Der Veterinärmediziner Roger Stephan und sein Team haben genauer hingeschaut und analysiert, welche Bakterienvarianten bei Schafen, Rindern, Hühnern und Schweinen vorkommen und ob sie sich mit den Varianten decken, die er beim Menschen gefunden hat.

Im Darm der untersuchten Nutztiere entdeckten die Forscher ebenfalls multiresistente Bakterien. Vor allem Hühner stachen heraus: In 64 Prozent der untersuchten Vögel liessen sich multiresistente Bakterien im Darm nachweisen. «Eine bedenkliche Zahl», findet Roger Stephan.

Man sollte aber die Hühnerhaltung nicht allein für das Auftreten multiresistenter Bakterien verantwortlich machen. Die Forscher konnten zeigen, dass viele resistente Bakterien, die im menschlichen Darm gefunden wurden, beim Huhn gar nicht vorkommen. Es muss also noch andere Quellen geben, über die der Mensch mit multiresistenten Bakterien kolonisiert wird.

Verbreitetes multiresistentes Darmbakterium im Kormoran

Roger Stephan und sein Team untersuchten daher auch das Vorkommen von multiresistenten Bakterien in Wildtieren wie Hirsch, Gämse und Steinbock, Tauben und Kormoranen. Beim Wild kamen praktisch keine antibiotikaresistenten Keime vor, dagegen bei relativ vielen Tauben und – was die Forscher besonders erstaunt hat – bei einigen Kormoranen. Der Kormoran ist ein Fischjäger, der keinen nahen Bezug zum Menschen hat und am Wasser lebt. Ein weiteres Indiz für die Belastung der Gewässer.

Umdenken dringend erforderlich

Bilanzierend stellt Stephan fest, dass das Vorkommen von antibiotikaresistenten Bakterien zunimmt. Es gibt jedoch nicht einen Verursacher, wie etwa die häufig angeführte Tierhaltung, sondern viele, zum Beispiel auch Krankenhäuser. «Bei mangelhafter Durchsetzung dringender Korrektur- und Schutzmassnahmen droht die Welt auf ein postantibiotisches Zeitalter zuzusteuern, in dem gewöhnliche Infektionen nicht mehr geheilt werden können», fürchtet Stephan.

Tiergesundheit hat ihren Preis

Mittel für den Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen seien Aufklärung – sowohl in der Medizin als auch der Öffentlichkeit – und strengere Vorgaben beim Verschreiben von Medikamenten. Breitband-Antibiotika sollten nur dann eingesetzt werden, wenn schmalere nicht ausreichend wirken. «Antibiotika sollten vermieden werden, wo es nur geht», so Roger Stephans Appell.

Auch die Landwirtschaft und die Veterinärmedizin müssten ihren Beitrag leisten. Dabei gehe es vor allem um Präventionsmassnahmen zur Aufrechterhaltung der Tiergesundheit, die eine Antibiotikum-Intervention bei erkrankten Tieren verhindern. Tiergesundheit, so Roger Stephan, hat aber ihren Preis. Dieser müsse auch durch das Kaufverhalten der Konsumenten mitgetragen werden.