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Die meisten Opfer von Verbrennungsunfällen können heute gerettet werden. In diesem Bereich hat die Medizin in den letzten Jahren unglaubliche Fortschritte erzielt. Leider hatte sie bisher jedoch sehr wenige Möglichkeiten, um die Stigmatisierung zu verhindern, mit der die Betroffenen fortan hatten leben müssen.
Die Haut ist unsere Oberfläche, sichtbar für alle und äusserst attraktiv, wenn sie gesund und glatt ist. Doch nach einer Verbrennung bleibt die «gerettete Haut» oft als wüste Landschaft zurück, voller Verzerrungen und Verfärbungen. Schuld sind wuchernde Narben, die sich bisher nicht verhindern liessen.
Nun gibt es erstmals Hoffnung. Dem Zellbiologen Ernst Reichmann und seinem Team an der Tissue Biology Research Unit (TBRU), der Forschungsabteilung der Chirurgischen Klinik am Universitäts-Kinderspital Zürich, ist es gelungen, eine komplexe menschliche Haut herzustellen, die aus Ober- und Unterhaut inklusive selbsterneuernden Stammzellen, Blutgefässen und Pigmentzellen besteht.
In den vorklinischen Studien an Ratten und Schweinen funktionieren diese transplantierten Hautstücke aus dem Labor schon bestens, und Ernst Reichmann ist zuversichtlich, dass dies auch beim Menschen so sein wird.
Bisher behelfen sich die Chirurgen bei Verbrennungen in der Regel mit sogenannter Spalthaut, meist vom Kopf des Patienten. Mit einem speziellen Apparat, dem Dermatom, wird dort die Oberhaut inklusive einer dünnen Schicht Unterhaut bahnenweise «abrasiert» und auf der verbrannten Körperstelle eingesetzt.
Für den Kopf ist das kein Problem; weil die Unterhaut grösstenteils noch vorhanden ist, wächst die Haut wieder vollständig nach. Auch die darunter liegenden Haarwurzeln bleiben unversehrt. Anders an der transplantierten Stelle: «Dort schrumpft und vernarbt der Ersatz», erklärt Reichmann, «weil die Schicht Unterhaut zu dünn ist.»
Ganz anders Reichmanns Vollhaut, die folgendermassen hergestellt wird: Ein Stückchen Haut des Patienten wird in Schichten zerteilt und dann «verdaut», das heisst mit Hilfe von Enzymen in die einzelnen Zelltypen zerlegt: in Unterhautzellen (Fibroblasten), Oberhautzellen (Keratinozyten), Pigmentzellen und Blutgefässzellen. Nun müssen diese Zellen dazu gebracht werden, sich wieder zu vermehren.
Ernst Reichmann hat das Geheimnis dazu entdeckt, als er noch in der Krebsforschung arbeitete. Damals war es ihm gelungen, Brustgewebszellen in Kollagen-Gelen zu züchten, einem Eiweissfasergeflecht, das auch in der menschlichen Haut eine prominente Rolle spielt. Heute, zwölf Jahre später, ist das Wachstum einer ganzen neuen Brust zwar immer noch Utopie.
Doch das Wachstum einer neuen, vollständigen Haut in und auf Kollagen ist Realität. «Blutgefässzellen zum Beispiel bilden – vorausgesetzt, sie wachsen in der richtigen Mikroumgebung – selbstständig ein ganzes Netz von Kapillaren aus», erklärt der Zellbiologe. Diese Blutgefässe sollen nach der Transplantation dafür sorgen, dass die neue Haut sehr schnell durchblutet wird.
Auch so blass wie in den Anfängen ist die künstliche Haut heute nicht mehr. Inzwischen zeigen mikroskopische Aufnahmen, wie sich die Melanozyten (Pigmentzellen) in der Haut verästeln. Durch diese Ästchen fliesst bei Anregung durch UV-Strahlen der Farbstoff Melanin zu den Oberhautzellen, wo er sich wie eine Schutzkappe über den Zellkern und somit über das Erbgut legt.
Damit soll in Zukunft auch den Menschen geholfen werden können, die an der sogenannten Weissfleckenkrankheit (Vitiligo) leiden. Bei dieser Autoimmunerkrankung produzieren einzelne Hautareale plötzlich kein Pigment mehr, was ebenfalls sehr entstellend wirken kann.
Wenn im kommenden Sommer am Kinderspital die ersten bis zu 10 mal 10 Zentimeter grossen Hautstücke bei menschlichen Patienten eingesetzt werden, enthalten diese allerdings noch keine Pigmente. «Wir können mehr, als wir dürfen», sagt Professor Reichmann dazu.
Die Auflagen für die Anwendung beim Menschen sind äusserst streng. Die kantonale Ethikkommission und Swissmedic verlangen eine weite Palette von vorklinischen Studien. Für eine einfache Ersatzhaut aus Unter- und Oberhaut sind diese Studien nun beinahe abgeschlossen. Doch mit den Pigmentzellen sei es nochmals eine andere Sache: «Hier wird Swissmedic natürlich fragen: Seid ihr sicher, dass daraus keine Melanome entstehen?» Um hier die Sicherheit zu beweisen, wird nochmals eine Menge Forschungsarbeit nötig sein.
Ausserdem braucht es für die Produktion von biologischen Transplantaten für den Menschen ein Speziallabor. «Wir haben das Glück, dass in Zürich vom Schweizerischen Zentrum für Regenerative Medizin soeben solche Reinräume eingerichtet wurden», freut sich der Zellbiologe.
In einem ersten Schritt sollen am Kinderspital nun 20 junge Patientinnen und Patienten neue «Haut-Grafts» erhalten, die in diesem Labor aus ihren eigenen Körperzellen gewachsen sind. Je 40 weitere Patienten kommen in Berlin und Amsterdam dazu. Das europäische Netzwerk für die geplanten klinischen Studien wird von der TBRU koordiniert.
Den brandverletzten Kindern endlich besser helfen zu können, stand von Anfang an im Vordergrund, als die Tissue Biology Research Unit vor zwölf Jahren von Martin Meuli und Urs Stauffer, dem aktuellen und dem vormaligen Direktor der Chirurgischen Klinik am Kinderspital, sowie Ernst Reichmann ins Leben gerufen wurde. Die gleiche Motivation treibt Clemens Schiestl an, den Leiter des Zentrums für brandverletzte Kinder am Kinderspital, der eng mit der Tissue Biology Research Unit zusammenarbeitet.
Doch die Forschungsabteilung des Kinderspitals wagt auch den Spagat zwischen klinischen Studien und Grundlagenforschung. «Wenn man das tut, bewegt man sich immer am Rand seiner Kapazitäten und braucht Unmengen Geld», räumt Ernst Reichmann ein, «aber die Grundlagenforschung hilft uns sehr, Innovationen für die klinische Anwendung zu entwickeln.» Gegenwärtig beschäftigen den Zellbiologen insbesondere die Stammzellen. «Wenn wir die Haut in Einzelzellen zerlegen und dabei die Stammzellen verlieren, vermehrt sich nachher die Oberhaut nicht mehr», erklärt Ernst Reichmann. Die Folge wäre ein permanentes Loch.
Das europaweite Projekt, das die TBRU koordiniert, wurde von der Europäischen Union mit sechs Millionen Euro unterstützt. Immer noch zu wenig, wie sich zeigte. Weil jedoch auch die Medizinische Fakultät der Universität Zürich die Forschung der TBRU schwerpunktmässig unterstützt, ist die zusätzliche Finanzierung weitgehend gesichert.
Die Tissue Biology Research Unit hat 2001 als kleines Labor mit drei Mitarbeitenden begonnen. Inzwischen hat sie sich zur europäisch anerkannten Erfolgsgeschichte mit 14 Mitarbeitenden und mehreren Labors gemausert. Einzig Schweissdrüsen und Haarzellen können die Zürcher Forscher in ihre innovative Haut noch nicht einbauen. «Aber», meint Ernst Reichmann mit einem Schmunzeln, «Haare am Körper brauchen wir ja auch nicht unbedingt.»