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Schnitzel oder Pommes frites, oder doch lieber ein knackiger Salat mit Sprossen und Nüssen? Entscheidungen wie diese fällen wir täglich unzählige Male. Während uns langsam das Wasser im Mund zusammenläuft, müssen wir die verschiedenen Optionen gegeneinander abwägen. Dabei spielen der Kopf und der Bauch zusammen. Denn einerseits hat diese Entscheidung eine emotionale Komponente – worauf habe ich gerade Appetit? Andererseits gibt es rationale Fragen, die geklärt werden müssen, wie etwa: Soll ich schon wieder Fleisch essen? Oder doch nicht besser den Salat, der weniger Kalorien hat als die Pommes frites, die allerdings gerade heute besonders lecker aussehen, wie ein Blick auf den Nachbartisch verrät?
Ja, das Leben ist nicht einfach, wenn man die Qual der Wahl hat. Und das Gehirn arbeitet auf Hochtouren, wenn wir Entscheidungen fällen müssen. Dabei wird unter anderem der laterale präfrontale Kortex aktiviert. «Diese Hirnregion spiegelt das Risiko», erklärt Philippe Tobler. Tobler ist Assistenzprofessor für Neuroökonomie und Soziale Neurowissenschaft am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich. Er erforscht die neuronale Basis von ökonomischen und sozialen Entscheidungen. Zu diesem Zweck kombiniert Tobler Methoden aus der Verhaltenswissenschaft mit bildgebenden Verfahren, die zeigen, was im Gehirn passiert, wenn wir Entscheidungen fällen müssen.
Toblers besonderes Interesse gilt dabei dem Risiko. Denn jede Entscheidung ist riskant, weil das Ergebnis mehr oder weniger ungewiss ist. Bei der Wahl des Menüs etwa besteht Ungewissheit nicht nur beim potenziellen Genuss, sondern auch bei der Frage, ob man nachher satt ist oder nicht. In unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft erscheint uns eine solche Entscheidung nicht besonders riskant. Evolutionsbiologisch betrachtet ist sie es aber sehr wohl. Denn die Aufnahme der richtigen Nahrung in genügend grossen Mengen kann über Leben und Tod entscheiden. In solchen Situationen hat sich unser altes Gehirn bewährt. Deshalb werden selbst bei der Wahl des Menüs auch Bereiche aktiviert, die wir benötigen, wenns richtig brenzlig wird.
Wenn wir verstanden haben, weshalb wir doch das Schnitzel und nicht den Salat bestellt haben (mehr Genuss plus satt und damit weniger Risiko, am Nachmittag hungern zu müssen), fragen wir uns, was das mit Ökonomie zu tun hat. Auch das lässt sich relativ einfach beantworten: Die Wahl des Menüs ist eine Kosten-Nutzen-Frage: Wie viel Genuss und Sattsein bekomme ich für mein Geld, und welche negativen Effekte handle ich mir dafür ein (Nachmittagsmüdigkeit, Kalorienüberschuss)? Solche Entscheidungen haben damit immer auch eine ökonomische Komponente.
Neuroökonom Tobler interessiert sich dafür, was im Gehirn passiert, wenn wir riskante Entscheidungen treffen müssen. Dazu werden die Probanden liegend in einen Magnetresonanztomographen geschoben. Auf dem Bauch haben sie ein Gerät mit zwei Knöpfen. Über einen Spiegel sehen sie auf einen Bildschirm, der ihnen Wahlmöglichkeiten präsentiert. Sie müssen sich für die eine oder andere entscheiden.
Eines der Risikoexperimente, die Tobler auf diese Weise durchgeführt hat, geht so: Die Probanden müssen sich entscheiden zwischen fünf Franken, die sie sicher bekommen, und der riskanten Variante mit einer 50-zu-50-Chance, zehn Franken oder gar nichts zu erhalten. Die grosse Mehrheit der Versuchspersonen entscheidet sich für die sichere Variante und nimmt die fünf Franken.
Im Verlauf des Experiments wird der Betrag der sicheren Belohnung variiert. «Wenn die sichere Belohnung null ist, wählen natürlich alle die Variante mit der 50-zu-50-Chance, die zehn Franken zu bekommen», sagt Tobler. Wenn nun die sichere Belohnung schrittweise angehoben wird, entscheiden sich immer mehr Personen für die sichere Variante, die meisten bei einem Betrag zwischen drei und vier Franken. «Die Mehrheit der Menschen meidet das Risiko», erklärt Tobler, «für risikoaverse Menschen sind Risiken ein Kostenfaktor, der die Kosten-Nutzen-Rechnung negativ beeinflusst.»
Allerdings sind wir nicht alle risikoavers. Es gibt durchaus solche unter uns, die sich auch bei einer sicheren Belohnung von fünf oder mehr Franken für die riskante Variante entscheiden. Diese Personen sind risikoaffin, sie suchen das Risiko. Das unterschiedliche Verhalten spiegelt sich im lateralen präfrontalen Kortex. Während bei Menschen, die lieber Risiken vermeiden, die Hirnaktivität abnimmt, je grösser das Risiko wird, nimmt sie bei den Risikosuchenden zu. Das zeigt sich optisch: Je grösser das Risiko, umso stärker feuern die Neuronen. «Wir können aufgrund der Hirnaktivität relativ gut vorhersagen, welche Variante gewählt wird», sagt Tobler. Der laterale präfrontale Kortex ist dabei eine gut geeignete Gehirnregion, um unsere Risikoneigung zu studieren, weil sich dort individuelle Differenzen zeigen, erklärt Philippe Tobler: «Andere Hirnregionen werden durch das Risiko ebenfalls aktiviert, die Aktivierung verändert sich jedoch weniger deutlich mit der individuellen Risikoeinstellung.»
Die Zuordnung von Personen zu Risikotypen ist nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern kann auch ganz praktisch sein. Es hilft uns, zu wissen, ob wir nun der «No risk, no fun – ohne Risiko keinen Spass» – oder eher der «Man sollte sich lieber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen»- Typ sind. Beispielsweise, wenn es darum geht, Anlageentscheidungen zu treffen. So sind für risikoaverse Anleger, die gerne gut schlafen, eher sichere Obligationen geeignet, für risikosuchende eher Aktien oder andere Anlagen mit mehr Risiko, aber auch der Chance auf höhere Renditen. Müssen wir uns künftig in den Kopf schauen lassen, um zu wissen, welcher Risikotyp wir sind, bevor wir eine Anlageentscheidung treffen? «Nein», sagt Tobler, «Risikoprofile von Bankkunden lassen sich auch mit einem Verhaltenstest machen.»
Philippe Tobler geht in seiner Forschung noch einen Schritt weiter: Er kann mit Hilfe der gemessenen Hirnaktivierung auch ökonomische Theorien überprüfen, die vorhersagen, wie wir uns in Risikosituationen entscheiden. Das gilt beispielsbeispielsweise für die Erwartungsnutzentheorie (Expected Utility Theory) und Teile der Portfoliotheorie (Mean-Variance Approach der Finanztheorie).
Die Erwartungsnutzentheorie geht davon aus, dass ein Anleger aufgrund der wahrscheinlich zu erwartenden Erträge etwa einer Aktie entscheidet. Die Portfoliotheorie betrachtet den Durchschnitt und die Streuung der Erträge – riskantere Anlagen wie Aktien haben eine grössere Bandbreite der möglichen Erträge, Obligationen eine kleinere. Beide Theorien sollen die Entscheidung des Anlegers vorhersagen können.
Um herauszufinden, ob eine Theorie den biologischen Test besteht, werden die verschiedenen Modelle mit der Hirnaktivierung abgeglichen, während die Leute sich zwischen verschiedenen Optionen entscheiden müssen. «So sehen wir, welches Modell die Hirnaktivierung am besten erklärt», sagt Tobler. Welche Theorie schneidet in diesem Test besser ab? «Man kann beide Theorien benutzen, um das Verhalten vorherzusagen», sagt der Neuroökomom.
Wobei die Portfoliotheorie in einem Experiment, das Tobler in Zusammenarbeit mit Ökonomie-Professor Ernst Fehr durchgeführt hat, etwas besser abschneidet. Das heisst, sie ist biologisch plausibler. Tobler: «Mit der Portfoliotheorie kann man besser beschreiben, was im Gehirn passiert.» Doch: Bei den einen Personen funktioniert die eine Theorie für die Vorhersage des Verhaltens besser, bei den anderen die andere. Weshalb das so ist, weiss Tobler noch nicht: «Es könnte sein, dass die einen eher kognitiv entscheiden, dann wäre die Erwartungsnutzentheorie besser, und bei jenen, die eher emotional entscheiden, die Finanztheorie.» Das sei jedoch im Moment noch «rein spekulativ», betont der Neuroökonom, hier brauche es noch weitere Forschung.
Aus evolutionsbiologischer Perspektive ist die Erkenntnis interessant, dass wir sensitiv auf Risiken reagieren. Das spiegelt sich in der Hirnaktivität: Das Hirn erkennt, dass wir eine riskante Entscheidung fällen müssen und wird entsprechend aktiv. Im Durchschnitt sind wir Menschen eher risikoavers, doch es gibt einige, die kommen erst auf Touren, wenn sie gewisse Risiken eingehen können. Die Frage ist, ob das Sinn macht. Denn wer zu grosse Risiken eingeht, kann daran auch zugrunde gehen, wie etwa das Beispiel von Extremsportlern zeigt.
Früher wurde man vielleicht vom Bären gefressen, wenn man sich allzu keck in dessen Höhle wagte. Da stellt sich die Frage, weshalb die risikosuchenden Vertreter unserer Spezies nicht längst ausgestorben sind. «Ein Risiko einzugehen, kann durchaus Sinn machen», sagt Tobler. Wer etwas wagt, kann zwar umkommen, er kann aber auch gewinnen. Mit Spekulationen an der Börse etwa, einer Unternehmensgründung, indem er auswandert und sein Glück in einem neuen Land sucht, oder eine ungewohnte Speise probiert, die köstlich schmeckt und gesund ist (gegrillte Heuschrecken beispielsweise). Oder indem man auf den Mond fliegt, statt im gut geheizten Büro hinter der Schreibmaschine zu sitzen.