Navigation auf uzh.ch
Kokainkonsumenten verhalten sich weniger sozial als Personen ohne Drogenerfahrung. Sie unterliegen zudem häufigen Stimmungsschwankungen bis hin zu ausgeprägten Persönlichkeitsstörungen. Dies berichtete Professor Boris Quednow von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich Anfang Dezember in einem Referat im Rahmen der Veranstaltungsreihe Wissen-schaf(f)t Wissen des Zürcher Zentrums für Integrative Humanphysiologie.
In der Zurich Cocaine Cognition Study untersuchte Quednow mit seinem Team Personen, die entweder Kokain nur gelegentlich einnahmen oder davon abhängig waren, und solche, die es noch nie probiert hatten. Die Teilnehmer der Studie kamen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten, vom Arbeitslosen bis zum Manager. In die Studie aufgenommen wurden Personen, die ausser Kokain nur sporadisch auch andere illegale Drogen eingenommen hatten.
Die beiden Gruppen von Kokainkonsumenten mussten in den letzten sechs Monaten mindestens ein Gramm Kokain pro Monat gebraucht haben. Kokainabhängige Personen konsumieren bis zu zehnmal mehr als Gelegenheitskonsumenten, was zusammengerechnet etwa fünf Kilogramm über die Lebensspanne ergibt.
Bei Kosten von ungefähr 100 Franken pro Gramm ist das eine hohe finanzielle Belastung. «Dafür kriegen Sie schon eine schöne Eigentumswohnung», verglich Quednow. Abhängige mit geringem Einkommen fangen daher oft an, mit Kokain zu handeln, um sich den Konsum weiter leisten zu können.
Kokain wird aus der Coca-Pflanze gewonnen. Diese wird schon seit Jahrhunderten von Bewohnern der nördlichen Andenregion in Südamerika gekaut oder als Tee getrunken. Auf diese Weise hat die Pflanze eine ähnliche Wirkung wie starker Kaffee.
Einen ganz anderen Effekt hat das aus der Pflanze gewonnene reine Kokain. Nach der Einnahme fühlt man sich euphorisch, das Selbstbewusstsein ist gestärkt und man hat das Gefühl, alles meistern zu können. Die Wirkung lässt jedoch schon nach weniger als einer Stunde nach, und viele Konsumenten stürzen im Anschluss in ein seelisches Tief.
Kokainabhängige sind zudem anfälliger auf Angststörungen, Depressionen, Suizid, Psychosen und Persönlichkeitsstörungen. Ausserdem haben Betroffene ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und epileptische Anfälle.
Ursprünglich wurde Kokain als Lokalanästhetikum und zur Behandlung der Morphinabhängigkeit eingesetzt. Dies stellte sich bald als problematisch heraus, denn Kokain hat selber ein enormes Abhängigkeitspotenzial. Es ist gemäss Quednow die zweitgefährlichste illegale Droge nach Heroin. In der Schweiz ist es derzeit die am zweithäufigsten konsumierte Droge nach Cannabis.
Jeder dreissigste Schweizer hatte schon einmal Kontakt mit Kokain. Bei der Online-Umfrage einer Gratiszeitung gab sogar jeder dritte Teilnehmer an, schon einmal Kokain konsumiert zu haben. Es sei daher nicht sehr schwierig gewesen, Teilnehmer für seine Studie zu rekrutieren, berichtete Quednow: «Die meisten meldeten sich über eine Anzeige in der Pendlerzeitung <20 Minuten>.»
Manche Konsumenten erhoffen sich durch den Kokainkonsum eine Leistungssteigerung im Beruf. Quednows Forschung zeigt aber deutlich, dass Kokain die Leistungsfähigkeit, die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis nach und nach immer mehr schwächt. Akut eingenommen, stärkt Kokain zwar das Selbstvertrauen und vertreibt Müdigkeit, eine wirkliche Leistungssteigerung sei aber nur möglich, wenn man vorher eine tiefe Ausgangsleistung hatte, stellte Quednow richtig.
Hauptsächlich wird Kokain wegen seiner kurzzeitig aufheiternden und Selbstwert-steigernden Wirkung eingenommen. Es verursacht zudem eine starke Stimulation des Belohnungszentrums im Gehirn. Bei Langzeitkonsumenten bewirkt diese stetige Überstimulation jedoch, dass ganz alltägliche angenehme Ereignisse weniger Freude auslösen. Bei Quednows Versuchen reagierte das Belohnungszentrum der Kokainkonsumenten beispielsweise viel weniger auf soziale Interaktionen als das der Kontrollpersonen.
In einem anderen Test wurden den Studienteilnehmern verschiedene Bilder gezeigt, wie etwa von einer verschämt lächelnden Frau oder einem verzweifelten Soldaten. Sie sollten angeben, welche Emotion auf dem Bild dargestellt war und wie sehr sie mit der Person mitfühlten. Kokainsüchtige konnten die Emotionen zwar richtig erkennen, fühlten jedoch sehr viel weniger mit den Personen mit.
Je mehr Kokain jemand konsumierte, umso ausgeprägter war dieser Effekt. Nicht erstaunlich ist deshalb, dass auch das soziale Umfeld der Süchtigen bei vermehrtem Konsum immer mehr schrumpft. «Ein Teufelskreis: Je mehr jemand konsumiert, desto weniger Empathie empfindet er und desto kleiner wird entsprechend der Freundeskreis. Dadurch bricht wiederum die soziale Unterstützung nach und nach weg, was weiteren Konsum wahrscheinlich macht», sagte Quednow.
Hoffnung machen die Ergebnisse der Tests, die Quednows Team nach einem Jahr an Kokainabhängigen durchführte, die in der Zwischenzeit ihren Konsum verringert hatten. Diese Personen zeigten eine deutliche Besserung in vielen Bereichen. Die Veränderungen, die die Droge im Gehirn verursacht, können also zum grössten Teil wieder rückgängig gemacht werden, zumindest bei moderatem Konsum. «Diese neue Erkenntnis soll Süchtigen Mut machen, auszusteigen», wünschte sich Quednow. Sie könne genutzt werden, um gezielte Therapieprogramme zu entwickeln.
Diejenigen Studienteilnehmer jedoch, die schon vor dem 18. Lebensjahr mit dem Kokainkonsum begonnen hatten, schnitten in allen Tests schlechter ab und verbesserten sich auch dann kaum, wenn sie mit dem Kokainkonsum aufhörten. Da die Hirnreifung erst Anfang zwanzig abgeschlossen ist, habe das Kokain bei Jugendlichen wahrscheinlich einen Einfluss auf die finale Entwicklung des Gehirns und hinterlasse somit bleibende Veränderungen, so Quednow.
Dieses Ergebnis sei umso erschreckender, wenn man bedenke, dass einer von fünfunddreissig Schülern in der Schweiz angibt, schon einmal Kokain konsumiert zu haben. Frühe präventive Massnahmen seien daher essentiell, mahnte Quednow: «Kinder sollten möglichst schon zu Beginn der Pubertät über die Risiken des Drogenkonsums aufgeklärt werden.»