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Afrika

Kampfzone Kongo

Ende März hat der Uno-Sicherheitsrat einstimmig eine Resolution verabschiedet, die einer Eingreiftruppe im Kongo erlaubt, offensiv gegen die Rebellen im Osten des Landes vorzugehen. Der Politgeograf Timothy Raeymaekers forscht in der Krisenregion und kennt die Ursachen des Konfliktes. 
Thomas Buomberger
«Der Kongo-Konflikt ist auch ein Konflikt um Bodenschätze»: Politgeograf Timothy Raeymaekers.

Man möchte nicht unbedingt seine Ferien dort verbringen, wo Timothy Raeymaekers in den vergangenen Jahren immer wieder auf Forschungsreise gegangen ist. Zwei Jahre seines Lebens hat er schon in Nordkivu verbracht, im Grenzgebiet zwischen Ostkongo und Uganda. Dort erforscht er das alltägliche Leben in einer seit Jahrzehnten von Konflikten heimgesuchten Gegend. «Mich interessiert, wie die Menschen, die in der Grenzgegend leben, mit der wirtschaftlichen Situation umgehen und wie ihre Entscheidungen die politische Ordnung beeinflussen. Im Gegensatz zum Bild von Chaos und Zerstörung, das wir hier im Westen haben, begegnen die Menschen den Problemen auf aktive Weise», sagt Raeymaekers.

In Konfliktzonen muss die Bevölkerung neue Wege des wirtschaftlichen Überlebens und des sozialen Funktionierens finden, was Kreativität  und Flexibilität bedingt. Denjenigen, die den Konflikt als Chance sehen, gelingt das am besten. Die Grenzbewohner betreiben Landwirtschaft, sind im Kleinhandel tätig und haben in der Stadt noch irgendetwas laufen. Sie legen also ihre Eier nicht alle in den gleichen Korb, zumal sie nie wissen können, wann sie das nächste Mal von Milizen zu Zwangsabgaben genötigt werden.

Der Willkür bewaffneter Banden ausgesetzt

«Rund zwei Dutzend verschiedene Milizen bewegen sich in diesem Gebiet», sagt Politgeograf Timothy Raeymaekers, der als Oberassistent am Geografischen Institut der Universität Zürich arbeitet. Praktisch bedeutet das, dass die verschiedenen Parteien, dazu gehören die zwei Dutzend Milizen, um Macht und Einfluss kämpfen. «Sie alle wollen die Friedensdividende ernten und einen Platz in der Verwaltung oder im Militär erkämpfen, was ihnen natürlich auch Zugang zu Rohstoffen ermöglichen würde.» Den verschiedenen bewaffneten Gruppen gehe es darum, regionale Märkte aufzuteilen und die Bevölkerung auszupressen, sei das mit Steuern, Strassenabgaben oder Zugriff auf Rohstoffe.

Das hat zur Folge, dass viele Bauern und Kleinhändler, die sich im Grenzgebiet ein bescheidenes Einkommen erarbeiten, wegen dieser Erpressungen immer häufiger gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und in die Slums der Städte ziehen. Zu denjenigen, die am stärksten der Willkür bewaffneter Banden ausgesetzt sind, gehören Kleinhändler, oft Bäuerinnen oder körperlich Behinderte, die den grenzüberschreitenden Mikrohandel besorgen.

Sie bringen zum Beispiel Getränke und andere Güter des täglichen Bedarfs über die Grenze. Sie sind von Zöllen befreit, weil sie in anderen Erwerbszweigen keine Chance hätten. Diese Kleinhändler stehen auf der untersten Stufe des Handels, sind die schwächsten Glieder und müssen den Milizen Steuern abliefern. Schutz und Sicherheit erhalten sie aber nicht, im Gegensatz zu den Grosshändlern, die sich mit ihren Abgaben Sicherheit erkaufen können. Zudem haben diese vermögenden Händler sowohl gegenüber den Milizen als auch der Zentralregierung Verhandlungsmacht und Einfluss.

Prokrustesbett von Rechtsnormen und Regelungen

Staaten, in denen die Zentralmacht keine Kontrolle über das ganze Land ausübt oder wo verschiedene Akteure um Macht und Geld kämpfen, bezeichnen wir im Westen als «failed states», als gescheiterte Staaten, etwa Somalia oder teilweise die Demokratische Republik Kongo. Die internationalen Gemeinschaft und NGOs unternehmen denn auch immer wieder Anstrengungen, nach einem Konflikt Ordnung zu schaffen. Doch diese Versuche haben oft – wie Kritiker bemängeln – die Form von «social engineering» angenommen, die politischen Realitäten in Afrika werden in ein Prokrustesbett von Rechtsnormen und Regelungen nach westlichen Vorstellungen gezwängt.

Die Widersprüchlichkeit westlicher Interventionen zeigt sich etwa im Umgang mit «illegalen» Rohstoffen, Stichwort «Blutdiamanten» oder Coltan, das bei der Produktion von Handys unentbehrlich ist. Boykotte von Rohstoffen aus Krisen und Kriegsgebieten werden oft als Lösung empfohlen.

Problemstoff Coltan

Doch Raeymaekers, der sich schon seit zehn Jahren mit dem Problemstoff Coltan beschäftigt, ist gegen solche Mittel, weil sie die falschen treffen würden. «Embargos sind kontraproduktiv, weil sie kriminelle Organisationen dazu ermuntern, sich auf ihre Umgehung zu spezialisieren.» Das militarisiere und kriminalisiere die Wirtschaft noch mehr. Zudem würde den kleinen Schürfern und Zwischenhändlern vor Ort ihre Arbeit genommen. Selbstverständlich müssten sich die Dinge ändern. Raeymaekers schlägt Produktions- und Vermarktungsmethoden vor, die die Rechte – insbesondere der Kinder – und die Einkommen der lokalen Bevölkerung stärken würden.

Das wären die Bildung von Produktionsgenossenschaften, mehr Transparenz durch ein Fairtrade-Label sowie Zusammenschlüsse von Arbeitern, damit sie gegenüber den Unternehmen eine bessere Position hätten. «Es gibt internationale Initiativen, die Produktion und Handel von Coltan regeln wollen», sagt Raeymaekers, «aber der Weg ist noch weit.» Gefordert sind nicht nur die Produzenten von Elektronikgeräten, sondern Kasachstan und China als grösste Importeure und Verarbeiter von Coltan. Die Hälfte des weltweit geförderten Coltans stammt aus Kongo und den Nachbargebieten.

Die richtigen Fragen stellen

Was treibt Raeymaekers an, sich in eine der gefährlichsten Gegenden für seine Forschung zu begeben, und was gehen uns diese Konflikte in Afrika an? Er zögert lange mit einer Antwort, sagt dann: «Durch meine Forschung erfährt man etwas über einen Konflikt, der weitgehend unterschätzt wird. Er ist gewalttätiger und blutiger als andere Konflikte, die häufiger in den Medien sind. Ich versuche eine neue Perspektive zur Lösung dieses Konflikts zu geben, die auf langfristiger lokaler Feldforschung basiert, indem ich mit den Leuten und den Opfern vor Ort spreche und nicht nur auf die Milizen und die Profiteure fokussiere.»

Timothy Raeymaekers wird bald wieder ins kongolesisch-ugandische Grenzgebiet reisen, um zu forschen. Wie steht es mit der Angst angesichts waffenstarrender Milizen? «Ich war noch nie in einer lebensgefährlichen Situation. Um das zu vermeiden, habe ich Vertrauen zu den verschiedensten Gruppen und Leuten aufgebaut, auch zu solchen, die im Westen als Gauner und Kriegsprofiteure betrachtet werden.»

Allerdings habe es lange gedauert, bis er dieses Vertrauen gewonnen habe. Als er 2001 zum ersten Mal dort war, hätten sich die Leute gewundert, was dieser weisse Typ rumzuschnüffeln habe. Mit Hilfe von Kollegen an der lokalen Universität habe er dann die ersten Kontakte herstellen können. «Dank ihnen habe ich gelernt, die richtigen Fragen zu stellen.» So würde ein Händler lieber auf die Frage nach seinen wirtschaftlichen Problemen antworten als auf die Frage, wie viel Coltan er verkauft hat.