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Auf der Fährte der Regenwaldbewohner

Indigene Völker im Amazonasgebiet wissen, wo Wild zu jagen ist und wo Kräuter gegen Fieber wachsen. Doch ihre Nutzung des Regenwaldes ist auf keiner Landkarte eingetragen. Flurina Wartmann, Doktorandin am Geographischen Institut der UZH, entwickelt Kartierungsmethoden, um diese Nutzung sichtbar zu machen.
Paula Lanfranconi

Wenn Flurina Wartmann erzählt, sie kaue bei der Arbeit ab und zu Kräuter, um die Waldgeister zu besänftigen, erntet sie öfters schräge Blicke. Ihr Forschungsgebiet liegt am Rio Beni, einem Amazonaszufluss im Nordwesten Boliviens. Dort leben die Takana, ein indigenes Volk, welches sich ursprünglich durch Jagen und  Sammeln ernährte.

1995 errichtete die Regierung dort den Madidi-Nationalpark mit einer Fläche von rund 19'000 Quadratkilometern und einer enormen Biodiversität. «Die indigene Bevölkerung bezog man damals bei der Planung nicht ein, deshalb gibt es immer wieder Nutzungskonflikte», sagt Flurina Wartmann.

Vermeintlich ungenutzt

Einer der Gründe für diese Konflikte bestehe darin, dass lokale Gruppen ihr Wissen meistens mündlich weitergeben und keine schriftlichen Quellen oder Karten über ihre Nutzung des Regenwaldes existieren. Externe Experten zeichnen dann offizielle Karten, ohne die lokalen Namen für Landschaftstypen und deren Nutzung einzubeziehen.

«In solchen Karten», sagt die Geographin, «erscheinen deshalb grosse Regenwaldgebiete als ungenutzt, obwohl die Bevölkerung diese Waldflächen durchaus für ihren Lebensunterhalt benötigt oder ihnen kulturelle Bedeutung beimisst.» Solche Karten würden dann digitalisiert und in Geographischen Informationssystemen (GIS) als Planungsgrundlage für Projekte und Entwicklungsvorhaben verwendet.

Die Doktorandin kennt diese  Problematik aus eigener Erfahrung. Nach ihrem Master in Geographischen Informationswissenschaften hatte sie in Afrika und Südamerika gearbeitet und miterlebt, wie die lokale Bevölkerung in Schutzgebieten bei der Planung übergangen worden sei. Ihr selbst ist Partizipation wichtig. So bildete sie in Workshops Parkwächter und Dorfvertreter aus und vermittelte ihnen, wie sie GPS-Geräte zur Kartierung von lokalem Wissen verwenden können.

Hilfe vom Schamanen

Flurina Wartmanns Forschungsalltag ist abenteuerlich. Mücken und Zecken drangsalieren die junge Geographin. Einmal, erzählt sie, sei sie in eine ziemlich ungemütliche Situation geraten. Sie hatte, wie immer, Flusswasser getrunken. Doch diesmal war das Wasser durch Exkremente eines Tapirs kontaminiert. Die mitgebrachten Medikamente halfen nicht. «Da», erzählt Flurina Wartmann, «braute mir ein Schamane einen Tee aus bitterer Baumrinde und schon nach einer Viertelstunde ging es mir viel besser.»

Die Geographin ist tagelang mit lokalen Leuten im Regenwald unterwegs. Sie fotografiert die besuchten Orte und erfragt mittels Interviews, wie diese benannt und genutzt werden. So hat sie festgestellt, dass die Takana die jeweils dominierende Nutzpflanze verwenden, um ein bestimmtes Waldstück zu benennen. In einem «Jatatal» zum Beispiel wächst die Jatata-Palme, welche die Takana zum Decken ihrer Hütten verwenden. Wird ein solches Waldstück indes zur Schutzzone erklärt, sind sie gezwungen, auf Wellblech auszuweichen.

Der Zorn der Geister

In einem weiteren Schritt bittet die Geographin Dorfbewohner, eine Karte ihrer Umgebung zu zeichnen. So würden Waldpfade und Wasserläufe sichtbar, die auf keiner offiziellen Karte eingetragen seien. Spannend sei aber auch, was nicht auf die Karte komme, sagt die Forscherin. Heilige Orte, zum Beispiel so genannte Salitrales - Salzleckstellen, an denen viele Tiere vorbeikommen. «Würde man diese Stellen einzeichnen, könnte eine solche Karte von Aussenstehenden für Jagdzwecke missbraucht werden und so den Zorn der Geister wecken.»

Solche heiligen Orte bringen Flurina Wartmann immer wieder in ein Dilemma zwischen ihrer Rolle als Wissenschaftlerin und ihrem Verständnis für die lokale Perspektive. Sie versteht sich als Übersetzerin zwischen indigenem und wissenschaftlichem Wissen. Und als Pionierin: «Es gibt erst wenige Arbeiten, welche Geographische Informationssysteme mit ethnografischer und linguistischer Feldforschung verbinden.» Inzwischen hat sie ein Vokabular mit über 160 Landschaftsbegriffen erarbeitet und daraus eine bebilderte Broschüre für Dorfschulen erstellt.

Flurina Wartmanns Projekt wird vom Forschungskredit der UZH unterstützt. Im Rahmen ihrer weiteren Arbeit will sie erforschen, wie die indigenen Konzepte am besten auf einer Karte und in einem GIS darzustellen sind. Mit solchen Karten, so hofft sie, würde die indigene Nutzung des Regenwaldes auch bei der räumlichen Planung besser berücksichtigt. «Es kann doch nicht länger sein, dass nur eine Art von Wissen zählt», sagt sie in ihrer engagierten Art.

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