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Über Mittag mal schnell ins Weltall düsen und seinen Sandwich mit Ausserirdischen teilen, das dürfte aufgrund der Pausenreglements der meisten Unternehmen schwierig werden – denn wer hat für seinen Lunch schon zehn Millionen Jahre Zeit?
Eine effizientere Möglichkeit, mit extraterrestrischem Leben in Kontakt zu treten und gleichzeitig den knurrenden Magen zu befriedigen, bot die zweite Ausgabe des «Zmittagslabors», dem «Stammtisch für Wissenshungrige» im Cabaret Voltaire.
Passend zum Datum (Freitag, 13. September) war als Gastredner Philipp Theisohn eingeladen, SNF-Förderprofessor am Deutschen Seminar der Universität Zürich. Theisohn, Kenner auf so unterschiedlichen Fachgebieten wie Schweizer Literatur, Realismus, Science Fiction und Franz Kafka, sprach zwar nicht über schwarze Katzen, sondern über den Weltraum als literarischen Imaginations- und Kommunikationsraum einschliesslich seiner höchst bizarren Bewohner. Doch liegen Aber- und Alienglauben letztlich nicht recht nah beieinander?
In prägnanter Kürze begann Theisohn zunächst mit einem Abriss über die kulturgeschichtliche Auseinandersetzung des Menschen mit dem ausserirdischen Raum in Dichtung, Geschichtsschreibung, Religion und Wissenschaft. Seit die Idee des Aliens im 16. Jahrhundert populär wurde beschäftigt den Menschen die reale und fiktive Erkundung der Galaxis.
Nicht allein die Konstellation der Planeten interessiert uns, sondern auch, wie man auf ihnen lebt beziehungsweise leben könnte – und ob dies irgendwo auf der Milchstrasse oder in einer der anderen der hundert Milliarden Galaxien nicht tatsächlich schon der Fall ist. Die Hoffnung des Menschen konzentriert sich dabei seit je auf intelligente Lebensformen: weniger auf Kleinkram wie Mikroben und einfache Tierchen als auf fortschrittliche Aliens, die technisch fit genug für eine Reise zur Erde wären.
Das grosse Problem, so Theisohn, das auch in seinem Fall der Grund für eher geringe Erfahrungen mit Ausserirdischen sei, liege in der interstellaren Kommunikation. Wie in aller Welt lassen sich Bewohner fremder Planeten kontaktieren? Und: Was für Zeichen muss der Mensch ins All schicken, um von ausserirdischen Kulturen überhaupt als Botschaft erkannt zu werden?
Der Mensch wäre wohl kein Mensch, wenn er nicht auch mal was wagen würde, auf gut Glück sozusagen. Oder, wie Theisohn es formulierte: «Die Vorstellung extraterrestrischer Zivilisation ist immer auch mit einer kommunikationstheoretischen Herausforderung verbunden, mit einem Nachdenken über Kodierungs- und Dekodierungsprozesse, die einem Informationsaustausch mit Ausserirdischen zugrunde liegen müssen.»
Eine für die Zuhörer völlig logische Überlegung. Wohl niemand im Raum ging ernsthaft davon aus, ein Planetenwesen wie E.T. beherrsche Schweizerdeutsch. Was also tun? Einfach nur ins All lauschen?
Philipp Theisohn beschrieb einen mässig erfolgreichen Versuch der SETI-Gemeinde um den verstorbenen US-Astronomen Carl Sagan (das Kürzel SETI steht für Search for extraterrestial Intelligence). Auf Grundlage der Überlegung, die Menschheit würde vor allem durch elektromagnetische Strahlung, in erster Linie durch Radiowellen, im Weltall Spuren hinterlassen, suchte der Astrophysiker Jerry R. Ehman im Rahmen eines SETI-Projekts nach einer Frequenz, auf der Aliens zurücksenden könnten. Am 15. August 1977 empfing er aus Richtung des Sternbildes Schütze ein Radiosignal, das mit dem 30-fachen der Standardabweichung signifikant stärker als das Hintergrundrauschen war. Die Ursache des so getauften «Wow!-Signals» ist bis heute nicht geklärt – das Zeichen wiederholte sich allerdings nie wieder, was nicht gerade für wissenschaftliche Evidenz spricht.
Lauschen allein scheint also zu passiv, will man mit Aliens in Kontakt treten. Daher stellte Philipp Theisohn dem immer vergnügteren Publikum unternehmungslustigere (Forschungs-)Versuche vor, etwa «The Voyager Golden Records», Datenplatten, die an Bord der beiden 1977 gestarteten Raumsonden Voyager 1 und 2 ihre Reise zum Mittelpunkt des Universums antraten. Auf der vergoldeten Kupferplatte befanden sich neben 115 analog gespeicherten Bildern (vom Great Barrier Reef über alltägliche Supermarktsituationen bis hin zu Abbildungen stillender Mütter) zahlreiche Audiodateien. Interessant dabei die Auswahl, die ja auch dazu diente, bei den Aliens einen guten Eindruck zu hinterlassen: gesprochene Grüsse in 55 Sprachen einschliesslich Walgesängen, typische Geräuschen von der Erde, Musikstücke (von polynesischen Rhythmen über Mozart bis Chuck Berry) und eine in österreichischem Englisch vorgetragene Friedensbotschaft des damaligen UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim.
«Aus kulturtheoretischer Sicht», brachte Theisohn seine belustigten Zuhörer wieder auf wissenschaftlichen Boden, «stellt sich hier durchaus ein Problem: Kommunikation in dieser Form nimmt totalitäre Züge an. Wir zwingen potentiellen Planetenbewohnern jene Sicht auf die Menschheit auf, die uns die liebste ist.»
Im 1985 erschienenen und später mit Jodie Foster verfilmten Carl-Sagan-Roman «Contact» ist diese Haltung ad absurdum geführt: Hier erhalten Aliens Nachrichten von der Erde, die unter anderem eine Abbildung Hitlers bei seiner Olympiarede 1936 enthält. Sie schicken dieses Bild, das sie als netten Gruss verstanden haben, als ebensolchen zurück.
Zeichen richtig zu deuten, ist ja schon in manch zwischenmenschlicher Kommunikation ein Wagnis. Zwischen Menschen und Ausserirdischen, so haben die gespannten Zuhörer in dieser Mittagspause gelernt, können Missverständnisse aber wirklich gefährliche Folgen haben. Theisohn führt dieses semiologische Problem anhand einer Szene aus Tim Burtons «Mars Attacks!» (1996) noch einmal bildlich vor: Auf US-Boden landet ein Raumschiff voller Marsianer. Die gesamte politische Elite Amerikas steht Spalier, um die glupschäugigen Wesen willkommen zu heissen. Und dann macht der Botschafter der Aliens den schönen Empfang kaputt, indem er die entzückende Friedenstaube nicht in ihrem Symbolwert erkennt und mit seiner Laserpistole abschiesst.
Merken wir uns also: «Aliens sind nicht unbedingt Hermeneutiker.» Und: «Wer den Kontakt zu Ausserirdischen sucht, der sucht vor allem nach einer Sprache im Kosmos.» So wie die Astrobiologen, die einer interdisziplinären Naturwissenschaft folgend, nach eher chemischer Sprache suchen, oder die Exolinguisten, die Schrift als etwas Universelles betrachten und Überlegungen anstellen, wie es sich mit Tentakeln und Klauenhänden schreibt.
Philipp Theisohn bleibt lieber bei seinen Forschungsgebieten: der Literatur, der Kulturtheorie, der Wissenspoetik. Seit Juli läuft sein SNF-Förderungsprojekt «Conditio extraterrestris. Das bewohnte Weltall als literarischer Imaginations- und Kommunikationsraum zwischen 1600 und 2000». In drei Subprojekten – «Kosmographisches Erzählen», «Interstellare Kommunikation», «Der ausserirdische Leser» – will er unter anderem Aufschluss über die kulturtheoretischen Grundlagen heutiger und kommender Weltallexpeditionen gewinnen. Das klingt galaktisch abgefahren und lässt auf weitere spannende Vorträge hoffen zu echten und ausgedachten Versuchen der Menschheit, Aliens auf die Erde zu locken.
Ob er selbst zu den Gläubigen oder Zweiflern gehört, liess der Professor nicht durchblicken. Angesichts der kaum zu bewältigenden raumzeitlichen Schwierigkeiten im All ist das vielleicht auch gut so.
Die SETI-Forscher lauschen übrigens immer noch, seit über 50 Jahren, in die dunklen Weiten. Ergebnis bislang: Zero. E.T.s Grüsse lassen auf sich warten.