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An der School of Criminal Justice der State University of New York at Albany, damals der führenden Universität auf diesem Gebiet, forschte ich als Postdoc zu den extremen Unterschieden beim Strafmass zwischen Amerika und Europa und bekam dazu einen Lehrauftrag. Die weltoffene und tolerante Atmosphäre an dieser Hochschule habe ich sehr geschätzt. Für mich war das eine sehr aktive Zeit, viele – teils auch erst später publizierte – Papers sind dort entstanden. An amerikanischen Universitäten gibt es keine Habilitation, umso mehr zählen dort die Publikationen.
Durch Zufall sah ich dort nach einiger Zeit ein Inserat der Universität Lausanne, bewarb mich mit Schulfranzösisch und bekam eine Anstellung, zunächst als Extraordinarius und nach vier Jahren als Ordinarius. Nebenamtlich habe ich in dieser Zeit als Bundesrichter gearbeitet und behielt somit immer auch einen Fuss in der Praxis. Trotz der sehr angenehmen Zeit in Lausanne nahm ich 2006 den Ruf an die Universität Zürich an. Das auch aus persönlichen Gründen, ich stamme aus der Ostschweiz und habe viele Freunde und Bekannte in Zürich. Auch hatte sich die Atmosphäre an der Fakultät grundlegend verändert: Sie war nun offen und tolerant.
Welches war für Sie das schönste Erlebnis in Ihrer Zeit als Professor?
Highlights in meinem Dozentenleben waren die Seminare. Mit interessierten Studierenden über verschiedene Themenbereiche zu diskutieren, habe ich immer als spannend und bereichernd erlebt – vor allem die Momente, wenn aus der Zusammenarbeit plötzlich andere Sichtweisen oder Ideen entsprangen. Viele neue Ideen für laufende Forschungen sind mir bei solchen Gesprächen gekommen.
Auf welche zukünftigen Entwicklungen in Ihrem Fach sind Sie besonders gespannt? Ich bin gespannt, ob wir es in Zukunft schaffen, vermehrt mit Experimenten in der Kriminologie zu arbeiten. Vorbild ist die Medizin, die es im Laufe der letzten Jahre dank des experimentellen Vorgehens geschafft hat, von einer Wissenschaft, die vor allem «eminence-based» war, zu einer Disziplin zu werden, die «evidence-based» arbeitet.
Ein aktuelles Beispiel: Was es bewirkt, wenn man Menschen «behandelt» und wie, ist noch kaum experimentell erforscht – es sind weitgehend «Eminenzen», die sagen, was gut ist und was nicht. Ohne zufällige Zuweisung der Betroffenen zu verschiedenen «Behandlungen» – etwa «alternative» gegenüber herkömmlichen Sanktionen – wird es keinen Fortschritt geben. Dabei muss es nicht immer um Gefangene gehen.
Bei auffälligen, kriminellen Jugendlichen, die immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten, wäre ein denkbarer Ansatz, diese Familien durch Polizeibeamte zu besuchen und die Strafsache mit der ganzen Familie, einschliesslich der betroffenen Kinder, zu besprechen. Dadurch liessen sich möglicherweise familiäre Ressourcen mobilisieren. Von ihren Söhnen wenig und einseitig informiert, versuchen die Eltern in der Regel das Verhalten ihrer Kinder mit allen Mitteln zu rechtfertigen.
Entscheidend wäre nun, dass nicht einfach die Familien aller in Frage kommenden straffälligen Jugendlichen besucht werden, sondern dass per Los die eine Hälfte besucht wird und die andere nicht. Dann sähe man relativ schnell, ob diese gute Idee auch wirklich gut ist. Ohne experimentelles Vorgehen wäre die Medizin heute so ahnungslos wie vor fünfzig Jahren. Meine Hoffnung wäre, dass wir im Strafrecht in den kommenden zwanzig Jahren mehr Sicherheit über die Wirkungen von strafrechtlichen Massnahmen gewinnen.
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