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Herr Moeckli, in Ihrer Antrittsvorlesung sprechen Sie über Volksinitiativen, die nicht mit dem Völkerrecht vereinbar sind. Worin besteht genau das Dilemma?
Daniel Moeckli: Das Dilemma besteht darin, dass das Volk Verfassungsänderungen angenommen hat, die allenfalls nicht umgesetzt werden können. Die Massnahmen zur Umsetzung von Initiativen wie zum Beispiel der Minarett-, der Verwahrungs- und der Ausschaffungsinitiative können mit dem Völkerrecht in Widerspruch geraten.
Ist denn das Völkerrecht das höherstehende Recht?
Daniel Moeckli: Ja, im Grundsatz geht das Völkerrecht, insbesondere auch die Europäische Menschenrechtskonvention, dem Landesrecht vor. Die Schweiz ist verpflichtet, die von ihr abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge zu beachten.
Trotzdem wurde das Minarettbauverbot aufgrund des Volksentscheides in die Verfassung aufgenommen.
Daniel Moeckli: Der Bau von Minaretten ist verboten, so steht es in der Verfassung. Das allein verletzt jedoch noch nicht das Völkerrecht. Erst bei der Umsetzung kann das zum Problem werden.
Wie ist das zu verstehen?
Daniel Moeckli: Solange nicht ein Baugesuch für ein Minarett abgewiesen wird, kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht aktiv werden, weil allein durch eine neue Verfassungsnorm noch niemand Opfer einer Menschenrechtsverletzung geworden ist. Die Regel ist: Man kann in Strassburg nicht gegen eine Norm Beschwerde einlegen, sondern nur gegen einen Rechtsanwendungsakt. Also zum Beispiel dann, wenn bestimmte Personen daran gehindert werden, ihre Religionsfreiheit auszuüben, weil sie kein Minarett bauen dürfen. Sie können in Strassburg klagen.
Damit in Zukunft keine Volksinitiativen angenommen werden, die dem Völkerrecht widersprechen, will der Bundesrat die Initiativen vorprüfen. Vergangene Woche hat er eine entsprechende Vernehmlassung gestartet.
Daniel Moeckli: In Zukunft sollen das Bundesamt für Justiz und die Direktion für Völkerrecht die Initiativen prüfen. Bevor die Unterschriftensammlung startet, würde auf dem Unterschriftenbogen darauf hingewiesen werden, dass die Initiative dem Völkerrecht widerspricht.
Wäre es sinnvoller, solche Initiativen erst gar nicht zur Abstimmung vorzulegen?
Daniel Moeckli: Auch das erwägt der Bundesrat mit der Erweiterung der Ungültigkeitsgründe. Im Moment können nur Initiativen, die das zwingende Völkerrecht verletzen, für ungültig erklärt werden. Dazu gehören zum Beispiel das Folterverbot, das Rückschiebungsverbot, das Verbot des Völkermordes oder das Verbot der Sklaverei.
Bisher ist aus diesen Gründen nur eine einzige Initiative für ungültig erklärt worden, nämlich die Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik». Sie verstiess gegen das Rückschiebungsverbot, weil sie vorsah, dass Asylbewerber auch in Länder hätten zurückgeschickt werden können, in denen ihnen Folter oder der Tod drohte. Jetzt will der Bundesrat diese Ungültigkeitsgründe um den Kerngehalt der Grundrechte erweitern, dazu gehört zum Beispiel das Verbot der Todesstrafe.
Könnte die Initiative zum Minarettbauverbot unter diesen Bedingungen noch lanciert werden?
Daniel Moeckli: Ja, weil sie nicht unter die oben genannten Ausschlusskriterien fällt. Ich finde das auch richtig. Das Recht, eine Volksinitiative zu lancieren, hat in der Schweiz eine zentrale Bedeutung, und ich bin der Meinung, dass dies auch so bleiben sollte. Das Problem sollte vielmehr auf der Ebene der Umsetzung bzw. Anwendung angegangen werden. Hingegen finde ich einen Hinweis auf dem Unterschriftenbogen, dass die Initiative im Widerspruch zu völkerrechtlichen Bestimmungen steht, sinnvoll – obwohl sich wahrscheinlich nicht sehr viele Stimmbürger dadurch abschrecken lassen würden.
Warum nicht?
Daniel Moeckli: Studien belegen, dass rechtliche Vorgaben die Stimmbürger nicht sonderlich interessieren.
Wie steht der Europäische Gerichtshof zu Grundrechtseingriffen , die direktdemokratisch zustande gekommen sind ?
Daniel Moeckli: Ich habe die betreffenden Urteile des Gerichtshofs untersucht. Volksabstimmungen gibt es ja auch in anderen Ländern, zum Beispiel der Entscheid der irischen Stimmbürger gegen die Abtreibung.
Es zeigt sich, dass das Strassburger Gericht in der Regel direktdemokratischen Entscheiden kein höheres Gewicht beimisst als solchen, die auf repräsentativem Wege zustande gekommen sind. In meiner Antrittsvorlesung werde ich aber auch aufzeigen, dass es Ausnahmen gibt und die Richterinnen und Richter sich in diesem Punkt nicht immer einig sind. Einige bewerten die direktdemokratische Stimme des Volkes höher als andere.