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Forensische Genetik

Affensteak und Antilopenwurst

Die Biologin Nadja Morf untersuchte 250 verdächtige Fleischproben, die an Schweizer Flughäfen konfisziert wurden. Die Ergebnisse der von der Schweizer Tierschutzorganisation Tengwood initiierten Studie sind erschreckend: Zwei Drittel der identifizierten Proben stammen von afrikanischen Wildtieren. Einige der Arten sind vom Aussterben bedroht.
Alice Werner

Verbotene Delikatessen: Das vom Schweizer Zoll konfiszierte Buschfleisch stammt unter anderem von Primaten. Im Bild: Eine Brazzameerkatze. Die afrikanische Affenart wird wegen ihres Fleisches häufig gejagt. (Quelle: Wikipedia)

Nadja Morf arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Forensische Genetik am  Institut für Rechtsmedizin der UZH. Sie muss einen starken Magen haben, denn was sie in den letzten Monaten aus sorgfältig verpackten Aluminiumpäckchen zu Tage förderte, verströmte einen «gottjämmerlichen Gestank». Fleischstücke, mit oder ohne Fellreste, aussen angekokelt, innen roh, halb verfault. Fleischstücke, die weder von glücklichen Kühen noch artgerecht gehaltenen Schweinen stammen, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit von afrikanischen Wildtieren.

Aus dieser Wahrscheinlichkeit Gewissheit zu machen, die Spezies hinter den manchmal bis zur Unkenntlichkeit vergammelten Fleischklumpen aufzuspüren, das war Nadja Morfs Aufgabe im vergangenen Jahr. Im Rahmen ihrer Masterarbeit hatte sie die Verwandtschaftsverhältnisse und Verhaltensweisen einer wilden Population Bornesischer Orang Utans untersucht, mit dem Ziel, die Schutzmassnahmen für diese bedrohte Tierart zu verbessern. Nun kämpft sie an anderer Front mit wissenschaftlichen Waffen für die gleiche Sache: für Artenschutz – was in diesem Fall bedeutet: gegen Gorillaschnitzel und Makaken-Ragout.

Wildtier-Schmuggel an Schweizer Flughäfen

Initiant dieser grossangelegten Studie über den Wildtier-Schmuggel an Schweizer Flughäfen, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Rechtsmedizin und mit Unterstützung des Schweizer Zolls und der Schweizer Veterinärbehörden (BVET) durchgeführt wurde, ist die Tierschutzorganisation Tengwood mit Sitz in Wallisellen. Schon seit einiger Zeit ziehen Bruno Tenger und Kathy Wood, die Köpfe hinter der Organisation, gegen das Geschäft mit exotischen Tieren zu Felde. Bislang fehlten allerdings fundierte wissenschaftliche Daten darüber, welche Tierarten in welchem Umfang illegal via Schweizer Flughäfen nach Europa gelangen.

Über den Pariser Flughafen etwa liegen seit 2010 erschreckende Zahlen vor: Mit jährlich rund 270 Tonnen zentralafrikanischem Dschungelfleisch führt «Charles de Gaulle» die Liste der traditionellen Umschlageplätze für Exotenfleisch an, dicht gefolgt von den internationalen Verkehrsflughäfen in London und Brüssel. Dank dem Engagement von Tengwood ist nun klar: Über die Flughäfen Zürich-Kloten und Genève Aéroport werden jährlich ungefähr 40 Tonnen verbotenes Fleisch in die Schweiz geschleust, rund 13 Tonnen davon stammen von geschützten Tieren.

Aufwendige Detektivarbeit

Grundlage für dieses Ergebnis ist das 2012 vom Zoll sichergestellte Fleisch, das auf verbotenen Wegen, häufig in Rollkoffern, Handtaschen und Kisten, von Privatpersonen importiert wurde. Von allen Funden landeten Proben auf Nadja Morfs Labortisch. «Da ging die Detektivarbeit los», sagt Morf und man merkt, wie engagiert sie von ihrem neuen Forschungsgebiet, der Wildtier-Forensik, ist. Aus dem Fleisch musste die Biologin zunächst DNA-Material extrahieren, dann aus einer brauchbaren Sequenz ein ganz spezielles Gen, das Cytochrom-b-Gen, das zum Beispiel in Zellorganen wie Mitochondrien vorkommt, sicherstellen und vervielfältigen. «Für diese Form der Artenbestimmung brauche ich ein Gen», erklärt sie, «das innerhalb einer Spezies geringe, zwischen den Spezies jedoch eine hohe Variation aufweist.»

Im Labor des Instituts für Rechtsmedizin: Die Biologin Nadja Morf untersucht die beschlagnahmten Fleischstücke mit Hilfe spezieller Gentests.

Mit Hilfe von Zentrifugen, Inkubatoren, PCR-Thermocyclern, Elektrophoresesystemen und bildgebender Software zur DNA-Analyse, zerlegte Morf die Cytochrom-b-Gene in seine vier Einzelkomponenten – und verglich die so entstandene Sequenz mit der Internet-Gen-Datenbank des amerikanischen National Center for Biotechnology Information in Maryland. Nur wenn die Übereinstimmungsquote mit den Referenzdaten mindestens 98% betrug, bestimmte sie die Spezies der vorliegenden Fleischprobe. Fell und Knochen, die zur optischen Identifizierung dienen könnten, wurden von den Wilderern in vielen Fällen vorsorglich entfernt. Mühevoll, wenn nicht gar unmöglich, machte die DNA-Analyse auch die Verarbeitung verschiedener Fleischsorten zu einem Produkt. Ob es sich etwa um eine Löwen-Antilopen-Wurst oder ein Trockenwürstchen aus Riesenratte und Stachelschwein handelt, ist mit standardisierten DNA-Techniken kaum herauszufinden.

Bedrohte Tiere als Delikatesse

Immerhin: 200 von 250 Fleischproben konnte Nadja Morf bestimmen. Davon stammen zwei Drittel von Wildtieren und hiervon wiederum ein Drittel von Tierarten, die laut dem internationalen Abkommen CITES (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora) vom Aussterben bedroht sind und unter besonderem Schutz stehen. Das Herkunftsland der untersuchten Fleischstücke ist – in fast allen 200 Fällen – Afrika, das meiste kommt dabei aus dem Westen des Kontinents. Die 36 identifizierten Spezies bilden die ganze Bandbreite des Tierreichs ab: «Von Säugetieren und Reptilien bis hin zu Vögeln und Fischen.» Die grössten Mengen des konfiszierten Buschfleischs bilden Überreste vom Quastenstachler, einer kurzbeinigen afrikanischen Stachelschwein-Gattung, von der Grossen Rohrratte und einem mit überlappenden Hornzapfen bedeckten Schuppentier, dessen Fleisch im afrikanischen Raum als Delikatesse gilt. Andere identifizierte Exoten sind die Gabunviper, die Stachelrand-Gelenkschildkröte, der Fingerotter, die Ducker-Antilope und verschiedene meerkatzenartige Primaten.

Neue Dienstleitung am Institut für Rechtsmedizin

Bisher gibt es nur wenige Labors in der Schweiz, die auf Wildtier-Forensik spezialisiert sind. Zu ihnen zählt seit neuestem das Labor der Abteilung Forensische Genetik am Institut für Rechtsmedizin. «Es ist toll, dass wir am Institut diese neue Dienstleistung anbieten können», sagt Nadja Morf. Auch zur Aufklärung anderer Straftaten kann die Genspezialistin nun hinzugezogen werden. Bei einigen Kriminalfällen hat sie im Auftrag der Polizei bereits eine Speziesbestimmung durchgeführt.

Morf erinnert sich an einen Fall: «Bei einem Einbruchdiebstahl wurden am Boden zwei Bluttopfen entdeckt. Meine Laborkollegen haben das Blut mit humanspezifischen DNA-Methoden untersucht, aber kein Profil erstellen können.» Dank der neuen, auf Tiere spezialisierten Analysemethoden konnte Morf schliesslich feststellen, dass das Blut von Wellensittichen vergossen wurden – höchstwahrscheinlich von jenen Tieren, die seit dem Einbruch verschwunden sind.

In Zukunft sollen auch Individuum-spezifische Nachforschungen möglich sein. «Dann könnten wir der Polizei zuverlässige Beweise dafür bieten, dass Herr Müller von Nachbars Lumpi, und nicht vom Fritzi oder vom Bello gebissen wurde.»

In erster Linie möchte Nadja Morf aber am Wildfleisch-Schmuggel dranbleiben. Die Aussichten, dass dem kriminellen Treiben auf Schweizer Flughäfen ein Riegel vorgeschoben wird, sind gut. Im Rahmen eines Pilotversuchs des Bundesamts für Veterinärwesen werden zurzeit zwei Artenschutz-Spürhunde ausgebildet. Sie sollen ab kommendem Jahr in den Flughäfen Zürich und Genf eingesetzt werden und illegales Krokodil- und Affenfleisch erschnüffeln. Wie es aussieht, ist der Nachschub für Nadja Morf also gesichert.

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