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Zurzeit steht China still. Am gestrigen 23. Januar hat in der Volksrepublik das neue Jahr begonnen. Es ist das wichtigste Fest im Kalender – unmöglich, die zweiwöchige Feier wegzudenken. Doch genau dies geschah 1967 und in den folgenden Jahren der Kulturrevolution: Statt Knallkörpern hallten Revolutionsparolen durchs Land, verordnete Arbeitseinsätze ermahnten zur Fortführung der Grossen Proletarischen Kulturrevolution. Und statt dem heute üblichen, marktwirtschaftlich gefärbten Neujahrsgruss «Glück und Reichtum» wünschte man sich damals «Mögest Du dieses Jahr dem Vorsitzenden Mao in Peking begegnen».
Die Episode zeigt, in welchem Ausmass die revolutionäre Propaganda das Alltagsleben der Chinesinnen und Chinesen durchdrang. Doch nicht nur Maos Revolutionäre trugen die Parteiparolen in den hintersten Winkel des Landes. Auch Vasen, Wecker, Teekrüge, Bettwäsche, Spielzeug und andere Gegenstände verbreiteten die revolutionäre Botschaft. Allein fünf Milliarden Mao-Abzeichen in rund 50'000 verschiedenen Typen wurden während der Kulturrevolution hergestellt. Die Produktion der metallenen Abzeichen verschlang derart viel Rohfstoffe, dass der Vorsitzende sein Volk mit der Losung «Gebt mir meine Flugzeuge zurück!» zur Mässigung auffordern musste.
Geschichten wie diese aus der Zeit der Kulturrevolution erzählt nun bild- und materialerreich eine Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Sie trägt den Titel «Die Kultur der Kulturrevolution. Personenkult und politisches Design im China von Mao Zedong». Der Kern der ausgestellten Bestände stammt aus der Sammlung von Helmut Opletal. Der Österreicher ist ein Zeitzeuge: Er weilte seit 1973 als Austauschstudent und später als Korrespondent für den ORF und andere deutschsprachige Medien immer wieder in China. Seine Sammlung aus der Mao-Zeit ist eine der umfassendsten und reichhaltigsten ausserhalb Chinas.
Ergänzt und angepasst wurde die Schau aus dem Museum für Völkerkunde Wien von Martina Wernsdörfer, Ostasienkuratorin am Völkerkundemuseum. Für Zürich hat sie ein Kapitel Lokalgeschichte hinzugefügt. Von der Empfänglichkeit für Maos Ideale hierzulande zeugt eine grosse Trauerfeier im Volkshaus Zürich anlässlich des Tods Maos im September 1976. In den folgenden vier Ausstellungskapiteln «Kult», «Terror», «Alltag» sowie «Unabgegoltenes» wird die Kulturrevolution sodann mit einer Vielzahl von Objekten zum Leben erweckt, die alle ihre eigene Geschichte erzählen.
Sie machen deutlich, dass sich die Kulturrevolution als Wunschbild und blutige Realität nicht zu einem Bild zusammenfügen lässt. So glorifizieren bedruckte Lebensmittelbüchsen Heldentaten wie die kommunistische Untergrundtätigkeit gegen die japanischen Besatzer. Auf einem Wecker schwenken Rotgardisten im Sekundentakt eine Mao-Bibel, und ein «Anti-Imperialismus-Spiel» erzieht Kinder auf martialische Weise zum Klassenkampf. Bettwäsche mit rauchenden Kaminen, Dampfschiffen und Traktoren beschwören den technologischen Fortschritt.
Die überraschende Vielfalt des revolutionären Designs erklärt sich dadurch, dass kein einzelner Stratege es schuf. Vielmehr nahm das ganze Volk an der Ausarbeitung der visuellen Kultur und ihrer Eingliederung in den Alltag teil. Die Blickrichtung der Ausstellung auf das Propagandadesign verhindert jedoch nicht eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen jener Ära. Fotografien von der Verbrennung buddhistischer Heilsbilder, der Aburteilung politischer Gegner oder der Demütigung «bourgeoiser Elemente» zeugen von grossem Leid. Fünf Arbeiten zeitgenössischer chinesischer Künstler spiegeln ferner die kritische Befragung der Geschichte.
Auch wenn eine öffentliche Debatte über die Kulturrevolution von der Führung der Volksrepublik nicht gewünscht wird, so zeigt sich in China doch ein wachsendes Interesse an dieser Epoche. Es reicht von roter Nostalgie als Reaktion auf die entfesselte Marktwirtschaft bis hin zur Aufarbeitung einzelner Schicksale durch Literaten wie Liao Yiwu. Auf eine Bewertung der Kulturrevolution verzichtet die Zürcher Ausstellung daher bewusst. «Es liegt nicht an uns, China zu sagen, wie es seine Geschichte aufarbeiten sollen», sagt die Kuratorin. Stattdessen will die Ausstellung dazu auffordern, mit unverstelltem Blick an die chinesische Geschichte heranzutreten.