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Im globalen Klima-Monopoly spielt er gewissermassen die Bank: Der Boden beziehungsweise der Humus ist nach dem Meer der grösste Speicher von organischen Kohlenstoffen auf der Erde. Im Humus findet sich weitaus mehr davon als in den Pflanzen. Entsprechend gross ist die Bedeutung des Bodens für die Klimaerwärmung. Denn die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre wird im Wesentlichen dadurch beeinflusst, wie viel Kohlenstoff in Form von CO2 und Methan in die Atmosphäre gelangt und wie viel davon wieder als Humus im Boden gespeichert wird.
Es wäre daher wichtig, zu wissen, wie und in welcher Form organischer Kohlenstoff in den Boden gelangt und wie er über Abbauprozesse wieder in die Atmosphäre freigesetzt wird. Das Problem: Bisher ist wenig über diese Prozesse bekannt. Schlimmer noch: Was man bisher darüber zu wissen meinte – und was auch Eingang in Klimaszenarien gefunden hat – hat sich durch neuere Forschungsergebnisse als entweder falsch oder irrelevant erwiesen. Ein internationales Autorenteam unter der Leitung von Michael Schmidt, Professor am Geographischen Institut der Universität Zürich, hat in einem viel beachteten Artikel in «Nature» die Erkenntnisse der letzten Jahre aus zahlreichen Forschungsgebieten zusammengetragen und damit den bisherigen Annahmen über die Kohlenstoffspeicherung im Humus sozusagen den Boden entzogen.
Schmidt und seine Mitautoren plädieren für einen Paradigmenwechsel: Bisher glaubte man, dass die molekulare Struktur der organischen Stoffe entscheidend dafür ist, wie rasch sie wieder abgebaut werden. Besonders stabile Molekülverbindungen, etwa das für die Verholzung zuständige Lignin, galten als besonders resistent gegenüber dem Abbau durch Mikroorganismen. Neuere Analysemethoden haben nun aber gezeigt, dass tendenziell labilere Moleküle, wie etwa Zucker, unter Umständen sehr viel länger im Boden bleiben können als das chemisch stabilere Lignin. Deshalb ist für die Autoren klar, dass nicht die molekulare Struktur des Ausgangsmaterials, sondern die Umgebung, in der der Abbau stattfindet, darüber entscheidet, wie lange organischer Kohlenstoff im Boden bleibt.
Ideen, besonders ligninhaltige Pflanzen spezifisch dazu anzubauen, um damit mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre im Boden zu binden, hält Schmidt nicht nur aus diesem Grund für wenig erfolgversprechend. «Schon heute gibt es einen Kampf um die Nutzung der Anbauflächen. Wenn man die Wahl hat, entweder Nahrung, Bio- Treibstoff oder CO2-Senken anzubauen, wird man sich kaum für Letzteres entscheiden.»
Zwei weitere Befunde von Schmidt und seinen Mitautoren unterstützen die These, dass nicht die Molekülstruktur des Ausgangsmaterials die Beständigkeit von organischen Kohlenstoffen im Boden bestimmt. Erstens: Die seit Jahrzehnten in den Lehrbüchern beschriebenen Huminstoffe gibt es nicht. Laut gängiger Lehrmeinung sind Humine komplexe und besonders stabile Molekülverbindungen, die nach dem Kohlenstoffabbau in den Boden eingelagert werden und kaum weiter abbaubar sind. «Die Huminstoffe entstehen erst durch die Prozesse, mit denen man sie nachzuweisen versucht», ist Schmidt überzeugt. «Zudem sagen sie nichts über das Ausgangsmaterial aus und sind somit für die Analyse des Kohlenstoffkreislaufs irrelevant.» Die auf der Existenz der Huminstoffe beruhenden Modelle müssen deshalb überdacht werden.
Zweitens: Auch die allgemein als besonders stabil geltende Holzkohle, die zum Teil über Jahrtausende im Boden gespeichert bleibt, kann unter Umständen bereits im Laufe von Jahrzehnten substanziell abgebaut werden. Der Anteil an verkohlten organischen Materialien in vielen Böden ist grösser als früher angenommen und kann bis zu 40 Prozent ausmachen. Deshalb ist auch hier von Bedeutung zu verstehen, unter welchen Umständen Holzkohle im Boden wieder in schädliche Treibhausgase umgewandelt wird.
Samuel Abiven, Senior Scientist am Geographischen Institut und einer der Koautoren des «Nature»-Artikels, untersucht im Rahmen der Char Studies Initiative (CSI) Switzerland, wie Holzkohle unter verschiedenen Bedingungen abgebaut wird. Dazu verwendet er Holzkohle, die mit speziellen Isotopen markiert ist. So lassen sich die Moleküle später in den Mikroorganismen nachweisen und erlauben damit erstmals eine direkte Aussage, welche Mikroorganismen tatsächlich für den Abbau zuständig sind. Zudem kann der Abbau quantitativ über eine Zeitspanne von mehreren Jahren nachverfolgt werden.
Insgesamt haben Schmidt und seine Kollegen acht für die künftige Forschung der Kohlenstoffkreisläufe im Boden wichtige Erkenntnisse zusammengetragen. Die Quintessenz daraus: Die Abbauprozesse sind komplexer und deutlich mehr von Umgebungsfaktoren bestimmt, als die bisherigen Modelle annahmen. Welche Faktoren aber wie auf diese Prozesse einwirken, das ist bisher in den wenigsten Fällen genau untersucht worden.
Der grössere Teil des organischen Kohlenstoffs gelangt nicht über oberirdische pflanzliche Überreste wie Blätter oder Nadeln in den Boden – auch dies eine neuere Erkenntnis. Vielmehr stammt er von Wurzeln oder von im Boden lebenden Mikroorganismen.
«Es ist deshalb wichtig, zu wissen», so Schmidt, «wie der Kohlenstoff innerhalb der Pflanze verteilt ist». Ist mehr Kohlenstoff in den Wurzeln, bleibt auch mehr im Boden zurück. Um die Wege des Kohlenstoffs aus der Luft in den Boden genau zu studieren, haben Schmidt und Abiven ein weltweit einzigartiges Labor entwickelt.
Im MICE (Multi-Isotope Labelling in a Controlled Environment), das im Keller des Geographischen Instituts aufgebaut ist, können mit Hilfe von markierten Isotopen die Kohlenstofftransporte innerhalb der Pflanze und von der Pflanze in den Boden detailliert – Molekül für Molekül nachgewiesen werden.
Damit ist es möglich, die durch die Klimaveränderung erwarteten Szenarien – erhöhter CO2-Gehalt, längere Trockenheit – im Labor zu simulieren und zu beobachten, wie sie sich auf den Kohlenstoffkreislauf auswirken.