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Hirnforschung

Den Verlockungen ausgeliefert

Wie entwickelt sich das Gehirn von Jugendlichen? Darüber referierte Lutz Jäncke im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des Zürcher Zentrums für Integrative Humanphysiologie. Für den UZH-Neuropsychologen ist klar: Jugendliche können nicht im vollen Umfang die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Ihr Stirnhirn ist noch nicht ausgereift.
Magdalena Seebauer
Lutz Jäncke beruhigte die anwesenden Eltern: «Die Jugendlichen, die jetzt keine Bindungen haben wollen, kommen im Alter von 25 Jahren zurück.»

Nicht umsonst ist Lutz Jäncke, Professor für Neuropsychologie an der UZH, bei den Studierenden beliebt und wurde er mit mehreren Preisen für seine Vorlesungen ausgezeichnet. Wenn er auftritt, ist für Unterhaltung gesorgt. Er versteht es, Wissenschaft nicht nur auf verständliche, sondern auch auf höchst amüsante Weise zu vermitteln.

Am vergangenen Montag referierte er im Careum im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Wissen-schaf(f)t Wissen» über die Gehirnentwicklung Jugendlicher. Er berichtete von einer US-Studie, welche die Hirnreifung von Kindern und Jugendlichen über einen Zeitraum von 15 Jahren untersuchte. Dabei zeigte sich, dass bei Jugendlichen das Stirnhirn (Frontalkortex) noch nicht vollends ausgereift ist. Dort sind Funktionen wie Selbstdisziplin, Aufmerksamkeit, Motivation und die Planung des Verhaltens biologisch verankert.

Die Hirnforschung zeige auch, so Jäncke, dass das Stirnhirn von Mädchen bis zu einem Alter von ungefähr elf Jahren und bei Knaben bis ungefähr zwölf Jahren im Volumen wächst. Dann beginnt es wieder zu schrumpfen. Als Ursache nimmt man an, dass überflüssige Verbindungen zwischen Nervenzellen gekappt werden.

Der Neurowissenschaftler betont: «Das ist der dramatischste Umbau des Stirnhirns im ganzen Leben.» Dieser falle zeitlich genau mit dem Eintritt ins Gymnasium zusammen, gab Jäncke zu bedenken. Bei Mädchen beginne dieser Prozess früher, weshalb sie in unserem Schulsystem meist im Vorteil seien.

Viel Erregung, wenig Bindung

Das Erwachsenwerden bringt neben körperlichen auch zahlreiche psychische Veränderungen mit sich. Die Suche nach aufregenden Erlebnissen erreicht ihr Maximum in der Pubertät. Ganz entgegengesetzt verläuft das Bedürfnis nach Bindung. Es ist bei der Geburt maximal und bei Heranwachsenden minimal.

Doch Jäncke beruhigte die anwesenden Eltern: «Die Jugendlichen, die jetzt keine Bindungen haben wollen, kommen im Alter von 25 zurück. Im Übrigen werden Ihre Kinder fast so werden wie Sie. Man nähert sich dem Vorbild viel dramatischer an, als man denkt.»

Die Suche nach aufregenden Erlebnissen nimmt in der Kindheit zu und erreicht ihr Maximum in der Pubertät. Das Bedürfnis nach Bindung verläuft entgegengesetzt.

Selbstdisziplin über alles

Eine US-Studie untersuchte, wie sich unterschiedliche Schulleistungen erklären lassen. Überraschenderweise zeigte sich, dass der Intelligenzquotient nur gerade 10 Prozent der Variabilität vorhersagen konnte. Viel aussagekräftiger war die Selbstdisziplin der Jugendlichen – gemessen unter anderem an der Anzahl geschwänzter Schulstunden.

Dabei steht die Selbstdisziplin im Widerstreit mit emotionalen Erregungen. Bei Jugendlichen ist das Stirnhirn noch nicht so weit ausgereift, um den Verlockungen etwas entgegenzusetzen. «Die Jugendlichen können daher nicht in vollem Umfang Eigenverantwortung für ihr Handeln übernehmen», so Jäncke: «Entsprechend sind Jugendliche in grosser Gefahr, Süchte zu entwickeln, von Alkohol und Drogen bis zum masslosen Aufenthalt in der digitalen Welt.»

Intelligentere Gamer?

Betreffend Internetnutzung erregte 2011 eine Studie Aufsehen, gemäss der computerspielende Jugendliche eine grössere Gehirnmasse haben. Jäncke kritisierte die Interpretation der Medien, die Gamer seien überdurchschnittlich intelligent.

«Computerspiele lösen anatomische und funktionelle Veränderungen in jenen Hirnteilen aus, die an der Verarbeitung von Belohnungen beteiligt sind», so Jäncke. Verliert ein Gamer ein Spiel, wird sein Lustzentrum im Gehirn aktiviert und stachelt ihn zum nächsten Spiel an. Nach dem Motto: «Diesmal gewinne ich!» Häufiges Gamen führt so auch zu einer Vergrösserung des Lustzentrums im Gehirn. «Die Jugendlichen in dieser Studie haben sich quasi zu Spielsüchtigen trainiert», so Jäncke.

Erziehung durch Vorbilder

In Anlehnung an den legendären Film «Denn sie wissen nicht, was sie tun» mit James Dean ist für Jäncke klar: Jugendliche können nichts für ihr Verhalten. Ihr Stirnhirn ist noch nicht voll ausgereift.

Von aussen müssen daher die entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt werden, damit Jugendliche ihre Selbstdisziplin, ihre Motivation und ihr Lernverhalten trainieren können: «Das ist Erziehung. Und Erziehung funktioniert nur durch die Vorbildfunktion der Eltern und der Gesellschaft.»